Türsteher in Konstanz erschossen

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Mitarbeiter der Spurensicherung untersuchen den Tatort. Beim Konstanzer Club Grey schoss am frühen Sonntagmorgen ein Iraker mit einem M16 um sich. Er traf einen Türsteher tödlich.Bild Key

Ein 34-jähriger Iraker schoss mit einem US-Sturmgewehr vor einem Club in Konstanz um sich. Hintergrund soll ein Streit im persönlichen ­Umfeld sein.

von Phillip Zieger

Fassungslosigkeit. Besucher sitzen auf den Gehsteigen nahe der Diskothek Grey. Sie können nicht begreifen, was wenige Stunden zuvor geschehen ist. «Ich stehe immer noch unter Schock», sagt ein junger Mann. Er hat die Schüsse aus nächster Nähe mitbekommen, als ein 34-Jähriger am Sonntagmorgen seine Schnellfeuerwaffe wahllos auf die Menschen richtete. Einen Türsteher hat er tödlich getroffen, ein Polizist ist knapp mit dem Leben davongekommen. Der Angreifer selbst ist tot.

Es sollte ein runder Ausklang des ausgelassenen Discobesuchs werden. Eine halbe Stunde noch, dann sollte das «Grey» schliessen. 2500 Menschen fasst die grösste Konstanzer Disco im Industriegebiet. Giuliano Protopapa hatte sich mit Freunden kurz vor 4.30 Uhr gerade auf den Heimweg gemacht und sich noch auf der Treppe vor der Einrichtung unterhalten. Es fallen Schüsse. Er wie auch weitere Besucher gingen anfangs davon aus, dass es sich um die Explosion von Böllern handelte. Was knallte, waren die Schüsse aus dem Schnellfeuergewehr des 34-jährigen Irakers. Er war zur Disco zurückgekehrt, in der er zuvor bereits den Abend und die Nacht verbracht hatte, wollte wohl Rache. Mit dem Betreiber, seinem Schwager, lag er im Streit. Offenbar seit geraumer Zeit. Der Mann mit anerkanntem Asylstatus hob das Gewehr. Einen Türsteher traf er im Eingangsbereich des Gebäudes tödlich am Kopf. Kollegen versuchten wohl noch, diesen zu retten. Der Horror, wie Besucher es ausdrücken, nahm seinen Lauf. Panik brach unter den Anwesenden aus. «Jemand hat geschrien: Der hat eine Waffe in der Hand», sagt Giuliano Protopapa aus Kreuzlingen. Es ist keine gewöhnliche Waffe, sondern ein M16, das Standard-Sturmgewehr der US-Armee. Legal kann man ein solches Gewehr nicht besitzen, wie die Polizei erklärte. Der Angreifer verfeuert ein ganzes Magazin.

In Toilette versteckt

Viele Besucher erreichten das Freie. Oder sie suchten in der Diskothek nach einer Möglichkeit, dem Täter zu entkommen. «Ich habe mich in der Toilette versteckt», sagt ein junger Mann, hörbar noch beeindruckt vom Erlebten. Er habe sich mit einer weiteren Person in einer Kabine eingeschlossen. Als sich die Möglichkeit ­geboten habe, sei er geflüchtet. Ein ­Disco-Mitarbeiter habe den Notausgang geöffnet. Der Zeuge sagt, er sei sofort weit weg vom Geschehen, habe unterwegs noch Verletzte am Boden liegen sehen. Währenddessen hört er weitere Schüsse.

Spezialhelm lenkt Kugel ab

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angreifer den Kassenbereich wieder verlassen und war auf den Parkplatz zurückgekehrt. Dort lieferte er sich einen Schusswechsel mit der Polizei. Einen Beamten traf er am Kopf. Sein Glück: Der Polizist trug einen Spezialhelm, der die Kugel ablenkte. Er liegt mit einem Streifschuss schwer verletzt im Krankenhaus, befinde sich aber nicht in Lebensgefahr, erklärte Bernd Schmidt, Pressesprecher der Polizei. Der 34-jährige Angreifer, so Polizei und Staatsanwaltschaft, sei ebenfalls getroffen worden. Kurze Zeit später sei er im Krankenhaus gestorben.

Entgegen ersten Gerüchten sei der mutmassliche Täter nicht in die Diskothek eingedrungen und habe dort nicht geschossen, erklärt Johannes-Georg Roth am Nachmittag während einer Pressekonferenz. Der Leiter der Kon­stanzer Staatsanwaltschaft, die Polizei, das Landeskriminalamt und der Kon­stanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt haben die bisherigen Ermittlungen zusammengefasst. «Das ist ein schwerer Tag für Konstanz», sagt Manfred Jäger, Staatssekretär im Landes­innenministerium.

Wenige Stunden nach der Tat ist das Gelände um die Diskothek noch grossräumig abgesperrt. Das eingeflogene Spezialeinsatzkommando (SEK) zieht wieder ab, die vermummten Spezialkräfte kehren nach Stuttgart zurück. Ein Helikopter kreist schon nicht mehr über der Stadt. Er war aufgestiegen, weil anfangs unklar war, ob der mutmassliche Täter Komplizen hatte. «Das können wir zwischenzeitlich ausschliessen», erklärt Polizeisprecher Bernd Schmidt bereits am Vormittag. Autofahrer wie auch die Stadtbusse müssen einen Umweg um das «Grey» nehmen. Das Gebiet ist Tatort. Spuren dürfen zur Rekonstruktion des Hergangs nicht verwischt werden.

«Es sind viele Personen, die durch das Geschehen belastet und traumatisiert sind.»

Fritz Möhrle, Notfallseelsorger

In der Nähe ist ein Einsatzzentrum errichtet worden. Notfallseelsorger betreuen Discogäste, denen der Schock ins Gesicht geschrieben steht. Eine Sondersituation: «Es sind viele Personen, die durch das Geschehen belastet und traumatisiert sind», sagt Notfallseelsorger Fritz Möhrle. Die Zahl der Betroffenen ist durch die Tat in einer Grossraumdiskothek enorm. Als die Polizei eintraf, drei Minuten nach dem ersten Alarm, waren im Innenraum noch 60 bis 80 Personen, viele weitere auf dem Parkplatz. Aus diesem Grund seien Kollegen auch aus den kooperierenden Landkreisen Tuttlingen und Sigmaringen nach Konstanz gerufen worden, erklärt Möhrle.

Betreuung für Augenzeugen

Eine herausfordernde Lage auch für alle Einsatzkräfte, Polizei wie Rettungsdienste. 70 Kollegen vor Ort zählt Einsatzleiter Dennis Eichenbrenner. Kollegen, das sind Mitarbeiter seines Roten Kreuzes aus Konstanz, aber auch der Malteser, der Johanniter und des ASB auch aus Singen. Die ersten Kollegen am Einsatzort kümmerten sich um die Verletzten. Es sei sofort klar gewesen, dass es sehr viele Personen zu betreuen gebe, blickt Eichenbrenner zurück.

Die Augen- und Ohrenzeugen erhalten bei Bedarf jegliche Unterstützung in der Bewältigung des Erlebten, medizinische Betreuung und Versorgung mit Essen und Trinken in der eigens eingerichteten Betreuungsstelle, einem grossen Zelt mit Sitzgelegenheiten. «Solche Einsätze sind selten und für alle Kräfte belastend.» Wird das Erlebte zu belastend, erhalten sie ebenfalls seelsorgerischen Beistand.

Im März starb ein Schaffhauser

Für Giuliano Protopapa aus Kreuzlingen ist das erneut ein schwer zu verarbeitendes Erlebnis. Jetzt die Schiesserei in der Diskothek, erst kürzlich war er ebenfalls während eines tödlichen Angriffs in einem Konstanzer Lokal anwesend. In einer Shisha-Bar, wenige Hundert Meter vom neuen Tatort entfernt, stach ein 17-Jähriger auf einen 19-jährigen Schaffhauser ein. Das Opfer starb noch vor Ort. Vorausgegangen war, so die letzten Ermittlungen der Polizei, eine Auseinandersetzung. Der 19-Jährige soll ein Mädchen aus der Gruppe des 17-Jährigen angetanzt haben. Bereits nach dieser Tat habe er sich gesagt, so schnell werde er nicht wieder ein Vergnügungslokal mit vielen Menschen betreten. Am Sonntagmorgen sollte Protopapa erneut zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sein.

 

 

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