Eine Meisterleistung der Humanität

Die Heimschaffung von Internierten im Ersten Weltkrieg ist fast völlig aus dem Gedächtnis verschwunden. Stadtarchivar Peter Scheck hat in einem Vortrag daran erinnert.
von Wolfgang Schreiber
«Yes we can» oder «Wir schaffen das» – hundert Jahre bevor Politiker aus unserer Zeit mit solchen Slogans die Bevölkerung auf ihre Seite gezogen und zu grossen Taten aufgerufen haben, ist es der Schaffhauser Bevölkerung gelungen, Flüchtlinge, genauer: evakuierte französische Kinder, Frauen und alte Männer, in Empfang zu nehmen, zu trösten, zu verpflegen, mit Kleidern auszustatten und auf der Weiterreise nach Genf zu begleiten. 145 000 Menschen sind in der Zeit von 1915 bis 1917 betreut worden.
Die französische Regierung bedankte sich nach dem Krieg bei der Schaffhauser Bevölkerung mit 120 Ehrenmedaillen. Es gab auch Anerkennungsschreiben wie das des Botschafters Paul Beau in Bern: «Ich glaube, es wäre kein Volk fähig gewesen, für Fremde so viel zu tun, wie die Schweiz für meine unglücklichen Landsleute getan hat mit so viel Hingebung, Eifer und zarter Rücksicht.» Von einem französischen Komitee wurde zudem das sogenannte Franzosendenkmal (Fäsenstaubpromenade) gestiftet.
Auch eine Sonderausstellung
An diese «Meisterleistung der Humanität der Schaffhauserinnen und Schaffhauser», wie Richard Ammann, Präsident des Historischen Vereins, sagte, und daran, wie sie das geschafft haben, hat am Dienstagabend im bis auf den letzten Platz besetzten Vortragssaal des Museums zu Allerheiligen Stadtarchivar Peter Scheck erinnert. Er erwähnte auch, dass das Museum im Zeughaus ab Juli mit einer Sonderausstellung an die Heimschaffung von Internierten in den Jahren von 1914 bis 1917 erinnern wird.
Der Referent gab zuerst einen kurzen Überblick über die militärische Situation an der Westfront und betonte dann: «Wir legen den Fokus nun auf ein Gebiet, das in den Schulen kaum behandelt wird: auf das Leiden der Zivilbevölkerung.» Im Ersten Weltkrieg haben die Deutschen die Bevölkerung aus den von ihnen besetzten Kampfgebieten im Norden Frankreichs vertrieben. Frauen, Kinder und alte Männer wurden evakuiert. 1914 beschloss der Bundesrat, bei der Heimschaffung dieser Zivilinternierten zu helfen. Die Evakuierten aus Nordfrankreich durften über die Schweiz in das von Deutschland noch unbesetzte Frankreich via Genf zurückkehren. Einzige Eingangspforte für die in Zügen aus Deutschland hergeführten Evakuierten war Schaffhausen.
Bern ernannte für Schaffhausen Stadtpräsident Carl Spahn und den auf Charlottenfels residierenden Privatier Henri Moser als eidgenössische Kommissäre, die den Empfang und den Weitertransport der Hälfte der angereisten Evakuierten zu organisieren hatten. Die andere Hälfte der Eingereisten wurde in Zürich betreut. Spahn und Moser richteten ein Büro unter der Leitung von Fritz Maurer ein, das die Organisation übernahm. Stadtpräsident Spahn lud mit Plakaten die Stadtschaffhauser Bevölkerung ein, an den Bahnhof zu kommen und zuzusehen und zu erleben, wie die ersten Evakuierten eintrafen. Die Bevölkerung war ob des Zustands der Evakuierten so betroffen, dass sie sich spontan zur Hilfe meldete. So konnte Fritz Maurer bald auf über 150 Schaffhauserinnen und Schaffhauser zurückgreifen und einen Rund-um-die-Uhr-Dienst von Freiwilligen organisieren. Auch die Landbevölkerung beteiligte sich an der selbstlosen Hilfe und sandte Lebensmittel in die Stadt. Es wurde aus heutiger Sicht fast Unglaubliches geleistet.