Ein unbequemer Gegner für die deutsche Bundeskanzlerin

Schaffhauser Nachrichten | 
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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Bild: Key

Martin Schulz verkörpert so ziemlich das Gegenteil von Kanzlerin Merkel. Für sie ist der Ex-EU-Politiker dennoch unangenehm.

von Christoph Reichmuth

Minutenlang applaudierten sie, als Martin Schulz gestern der SPD-Fraktion einen Besuch abstattete. «Wenn wir Sozis den Menschen zeigen, dass wir an sie denken, dann gewinnen wir die Wahl!», rief der Kanzlerkandidat in spe Parteigenossen zu einem harten Wahlkampf 2017 auf. Die überraschende Ernennung des ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD (die SN berichteten) sorgte in den Reihen der Genossen gestern für Aufbruchstimmung. «Es gibt eine grosse Euphorie», sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Beinharter Verteidiger

Eine gehörige Portion Zuversicht kann den Sozialdemokraten nicht schaden. Auf 20 Prozent ist die einst so stolze Volkspartei in Umfragen zusammengeschrumpft. Martin Schulz, eben gerade zurückgekehrt nach mehr als 20 Jahren Arbeit in der Europäischen Union, soll in den verbleibenden acht Monaten bis zur Bundestagswahl zumindest verhindern, dass die älteste Partei Deutschlands in ein nächstes Desaster hineinschlittert. Schulz, innenpolitisch völlig unerfahren, hat bei seiner Vorstellung angedeutet, mit welcher Politik er vergraulte Wähler zurück ins Boot holen will. Die Themen Sicherheit, Gerechtigkeit, Europa, die Gefahr von Rechtspolitikern werden in den Fokus gerückt. Schulz muss sich einarbeiten in einige Themen, die er bisher aus der Ferne verfolgt hat, etwa die Rentenpolitik, Steuerfragen oder Altersarmut.

Der Wahlkampf verspricht durch die Nomination des Rheinländers nun zumindest ein wenig spannender zu werden – auch wenn die Kräfteverhältnisse zwischen der SPD (20 Prozent) und den Unionsparteien (37 Prozent) unterschiedlicher kaum sein könnten. Schulz (61) verkörpert ziemlich genau das Gegenteil von der ein Jahr älteren Kanzlerin Angela Merkel. Während die promovierte Physikerin noch zu DDR-Zeiten eine akademische Laufbahn einschlug und sich nach der Wende in der Bundespolitik an der Seite Helmut Kohls an die Spitze arbeitete, blickt Schulz auf eine schwierige Jugend zurück, in der er zweimal in der Schule sitzenblieb und letztlich eine Ausbildung zum Buchhändler absolvierte. Den Traum des Fussballprofis musste der beinharte Verteidiger wegen einer schweren Knieverletzung begraben, wegen Arbeitslosigkeit und Alkoholsucht stand Schulz mit Mitte 20 vor dem absoluten Nichts. Er rappelte sich auf, machte einen Entzug und schaffte es aus eigener Kraft vom Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Würselen bis zum Präsidenten des EU-Parlaments in Strassburg. «Ein filigraner Techniker war er nicht. Aber er war die Lokomotive, die uns alle mitgerissen hat», erinnerte sich ein ehemaliger Mitspieler in einem umfassenden «Spiegel»-Por-trät 2013.

Ihm hören die Leute zu

Diese Lokomotive soll Schulz nun für seine Partei sein, seinen unbequemen Spielstil soll auch Merkel zu spüren bekommen. Der redegewandte Rheinländer ist quasi der Anti-Elitäre, der in seiner langen internationalen Karriere zwar die Telefonnummern sämtlicher hochrangiger Staatschefs gesammelt hat und mit allen Einflussreichen per Du ist, den Feierabend aber lieber bei einer Currywurst und Pommes verbringt als in einem steifen Fünf-Sterne-Haus. Er spricht oft, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, auch deshalb ist er beliebt. Mit seiner unverblümten, direkten Art zu reden hat er es geschafft, dass ihm die Leute auch bei vermeintlich trockenen Themen zuhören.

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