Ein getanzter Appell an die Gesellschaft

Tina Beyeler hält mit der Choreografie zu ihrem Tanzstück «Black Box» das, was der Name verspricht: Sie ist mal schwarz, mal kompakt, mal kantig und oft unergründlich.
von Anna Bürgin
Der fünfte Abend der Eröffnungsfeierlichkeiten im Theater Bachturnhalle stand ganz im Zeichen des zeitgenössischen Tanzes. Direkt nach der Türöffnung um 18.15 Uhr strömen die ersten Gäste in die hübsche Bar. Genehmigen sich einen Drink, unterhalten sich angeregt, gespannt darauf, was Choreografin Tina Beyeler ihnen wohl später auf der Bühne servieren wird.
45 Minuten später erfahren sie es, mitunter sogar am eigenen Leib. Die Stühle vor der Bühne sind, kurz bevor das Licht ausgeht, bis auf den letzten Platz besetzt. Dann wird es schwarz und zeitgleich still im Saal. Das Gefühl in einer «Black Box» zu stecken – kurz fühlbar für jeden einzelnen, bevor die Bühne sanft beleuchtet wird. Oder besser gesagt, die leeren Stühle, die sich darauf befinden. Für jede Tänzerin steht einer bereit, nur um später sinnbildlich daran gefesselt zu werden.
Die Musik, die jetzt erklingt, ist zu Beginn fast so düster, wie die Beleuchtung selbst. Eine Protagonistin nach der anderen schlängelt sich dazu halb kriechend, halb tanzend in anmutigen Bewegungen um die Stühle, bis alle acht auf der Bühne sind. Ab jetzt geben Onna Millns, Lara Frei, Rebekka Stamm, Nives Heuberger, Alena Roth, Anik Eckhart, Henni Egestorff und Demi Merkli alles, um auf die Dramatik der aktuellen Situation aufmerksam zu machen. Sitzen auf den Möbeln oder liegen darunter, tanzen um sie und auf ihnen herum. Die Bewegungen sind ausdrucksstark, dann wieder monoton. Abrupt. Kantig. Werden synchron, aber auch solo ausgeführt. Jugendliche Gefühle sind im Spiel, dazu gibt es immer wieder strafende Blicke für das Publikum.
In diesem sitzen neben Kulturbegeisterten auch Familienmitglieder der Tänzerinnen. Denn für einmal bediente sich die Inhaberin der «TanzTheaterSchule» für einen Auftritt an ihren Schülerinnen selbst. Die Anfrage dazu ereilte Tina Beyeler just während des zweiten Lockdowns. Das Thema der Show war für sie schnell klar: «Black Box», passend zu den Empfindungen der Jugendlichen, die sie für die Choreografie einsetzen wollte. Aber auch passend zu Zeiten von Isolation und Unsicherheit. Die Frage «wo führt das alles hin?» schreit sie am vergangenen Mittwoch dann auch anhand ihrer Tänzerinnen förmlich in die Zuschauer hinein.
Raum für Interpretation
«Wichtig für mich war, dass jede einzelne Tänzerin sich einbringt, ihre Ideen mit dem Körper umsetzt», sagt die passionierte Tänzerin. So seien die Mädchen in den Proben von ausführenden Schülerinnen zu mitarbeitenden Künstlerinnen geworden.
Die abstrakte Inszenierung liess den Zuschauern aber auch Raum für Interpretation. Während sie sich nach der Aufführung wieder in der Bar treffen und Tina Beyeler zum gelungenen Zusammenspiel von Musik (passend zur Räumlichkeit war eines der Stücke eine technoide Bachinterpretation) und Choreografie gratulieren, feiern einen Stock höher in der Künstlergarderobe die jungen Tänzerinnen ausgelassen – und jetzt wieder mit lachenden Gesichtern – ihr Debüt.