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Mutter und Lehrerin Eva-Maria Brunner schreibt in ihrer Kolumne «Kind und Kegel» über Mandarinen in der Vorweihnachtszeit

Immerhin setzt sie Farbakzente in diesen nebelgrauen Tagen, wo man nicht einmal genau sagen kann, in welcher Jahreszeit man sich befindet. Orange glänzt sie, ist im besten Fall prall und kernlos und aus der Vorweihnachtszeit nicht wegzudenken. Aber seien wir mal ehrlich, eigentlich ist sie ziemlich ­unscheinbar, diese Mandarine.

Habe ich gerade «Vorweihnachtszeit» geschrieben? Lange Zeit war ich eine vehemente Verfechterin des Grund­satzes, dass Mandarinen erst ab dem ­Samichlaustag gegessen werden sollten. «Schliesslich sollen die Kinder lernen, wann welche Frucht reif ist, daher würde ich nie …» Bei Sätzen von Eltern mit: «Nie werde ich …», ist Vorsicht ­geboten. Auch in diesem Falle hielt mein Vorsatz dem Realitätscheck nicht stand. Die Mandarinen, die man sich Anfang Januar einzuverleiben versucht, schmecken trocken und wenig aromatisch. Dass der Nachwuchs sie auf dem Zvieriteller mumifizieren liess und sich lieber den letzten übrig gebliebenen Guezli widmete (auch ­trocken, aber wenigstens mit viel ­Zucker und ohne lästige Vitamine), konnte ich insgeheim wirklich nachvollziehen. Und so gibt es also im Hause Brunner seit ein paar Jahren ab den Herbst­ferien Mandarinen. Dass sie dann ­wesentlich besser schmecken, ­bestätigte eine nicht repräsentative ­Umfrage im Bekanntenkreis.

Ich war kurz davor, zu dieser These eine Früchtelieferantin oder einen ­Ernährungsberater zu befragen, doch eigentlich hält sich meine Faszination für diese Zitrusfrucht in Grenzen. Ich behaupte, dass in kinderlosen Haushalten bedeutend weniger Mandarinen konsumiert werden. Für die kleinen orangen Kugeln sprechen, wie so oft beim Leben mit Kindern, vor allem pragmatische Gründe. Mandarinen passen in jede Handtasche als Notfallsnack. Sie sind gut geschützt durch ihre Schale und beim Verzehr braucht es nicht eine halbe Rolle Haushaltpapier wie bei ihrer grossen Schwester, der Orange. Bereits kleinere Kinder könnten sie selbständig schälen, auch wenn sie bisweilen zu bequem dafür sind oder «den Anfang nicht finden» (ja, solche Sätze hört man als Mutter oder Kindergärtnerin). Die Schale ­duftet fein und Flecken fallen beim Kirschenessen deutlich auffäl­liger aus.

Aber eben, geschmacklich spannend finde ich sie nicht. Granatäpfel oder Gojibeeren erobern Kochzeitschriften und die Herzen von ernährungsbewussten, kosmopolitisch geniessenden Trendsettern. In meinen vielen Kochbüchern findet sich gerade mal ein ­einziges Rezept für Mandarinensaft, als Verwendung übrig gebliebener (!) Früchte. Jamie Oliver schreibt dazu «es ist ein besonders tolles Getränk in Verbindung mit Champagner». Ach, Jamie, wer hätte das gedacht.

Ja, um den Sex-Appeal der Mandarinen ist es nicht gut bestellt. Bei Erdbeeren denken wir an diese eine Szene in «Pretty Woman», bei Orangen vielleicht an die Netflix-Serie «Sex Education». Mandarinen in tragenden Filmrollen? Nicht, dass ich wüsste.

So sucht man also als Familienmensch den Anfang der Mandarinen und assoziiert mit Äpfeln nicht Versuchung, sondern überlegt, wie sich daraus eine Krone schnitzen lässt. Knabbert man an Parties unter Erwachsenen Erdnüsse, ohne den darin versteckten Samichlaus begrüssen zu müssen, weiss man es wirklich zu schätzen. Möchten wir ein süsses Gericht, welches uns die Kinder nicht wegessen? Rhabarber in den Kuchen, und sie machen einen grossen Bogen drumherum.

Fast tut sie mir ein bisschen leid, die Mandarine. Ich nehme mir nicht einmal die Mühe, sie mit ihrem korrekten Namen anzusprechen. Sorry, Clementine.

«Und so gibt es also im Hause Brunner seit ein paar Jahren ab den Herbstferien Mandarinen.»

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