Das Gefängnis stösst an seine Grenzen

So stark wie nie in den letzten 30 Jahren ist das Schaffhauser Gefängnis derzeit belegt. Zurückzuführen ist das auf mehr Untersuchungshaft und auf mehr kurze Haftstrafen.
Leer sind die 46 Gefängniszellen im kantonalen Gefängnis gegenwärtig selten. Rund 92 Prozent betrug die durchschnittliche Auslastung in den vergangenen Monaten. Innert vier Jahren ist die Zahl der sogenannten Verpflegungstage auf das fast Anderthalbfache gestiegen (siehe Grafik).
Was das für die vergleichsweise kleine Anstalt bedeutet, fasst Gefängnisleiter Lorenz Ammann in Worte: «Das Gefängnis stösst an seine Kapazitätsgrenze. Wir müssen die Situation täglich neu beurteilen und flexibel handeln.» Das bedingt eine permanente Koordination innerhalb des Strafvollzugskonkordats Ostschweiz, also mit Haftanstalten in den Kantonen Zürich, Thurgau, beider Appenzell, Glarus und Graubünden. Dadurch sei es bislang zwar noch nicht zu einem echten «Stau» bei der Belegung gekommen, sagt Ammann. Aber der Personal- und Administrationsaufwand im Schaffhauser Gefängnis habe deutlich zugenommen. Inhaftierte müssten aus Kapazitätsgründen vermehrt ausserkantonal untergebracht werden – umgekehrt könnten aufgrund der hohen Belegungszahlen weniger Insassen von anderen Kantonen übernommen werden.
Maximal sechs Monate
Das Gefängnis an der Beckenstube in der Stadt Schaffhausen ist die einzige Haftanstalt im Kanton und ein richtiges «Universalgefängnis». Hier werden Personen in Polizeihaft genommen oder in Untersuchungs- und Sicherheitshaft gesetzt. Gefängnisstrafen von bis zu sechs Monaten Dauer werden hier vollzogen. Dazu kommen Strafmassnahmen in Halbgefangenschaft und die Ausschaffungshaft.
Die einzelnen Haftarten müssen getrennt vollzogen werden. Gleiches gilt für die Unterbringung von männlichen und weiblichen sowie von erwachsenen und jugendlichen Insassen. Den Straf- und Massnahmenvollzug von mehr als sechs Monaten Dauer lagert der Kanton in Institutionen im Konkordat aus – weil das räumlich beengte Gefängnis kaum Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Therapie- und Wiedereingliederungsangebote für Häftlinge anbieten kann.
Doch wo liegen die Gründe für die starke Zunahme von Gefängnisaufenthalten? Laut Ammann geht der Anstieg vor allem auf zwei Haftgruppen zurück: die Untersuchungshaft und die Ersatzfreiheitsstrafen, wo Personen, statt eine Geldstrafe zu zahlen, eine – meist sehr kurze – Gefängnisstrafe antreten.
Nicht nur ein lokales Phänomen
Daniel Sattler, Departementssekretär im Volkswirtschaftsdepartement, dem das Gefängnis unterstellt ist, weist darauf hin, dass es in den vergangenen 30 Jahren immer wieder Schwankungen in der Belegung gegeben habe. «Aussergewöhnlich hohe Zahlen gab es auch in den Jahren 1991 und 2005, ohne dass man wirklich sagen könnte, was die Gründe dafür sind.» Und es handle sich mitnichten nur um ein lokales Phänomen: «Die Schwankungen bei den Verpflegungstagen waren in allen Gefängnissen der Schweiz immer vergleichbar», sagt Sattler.
Landesweit nahm die Belegung der Gefängnisse in den letzten Jahren zu. Dies mag demografische Gründe haben. Aber auch die vermehrt bandenmässig und gut organisiert zuschlagenden Kriminalitätstouristen aus dem Ausland sorgen für volle Zellen. Dies führt zu mehr und längerer Untersuchungshaft. In Schaffhausen, sagt der Erste Staatsanwalt Peter Sticher, komme es nicht selten vor, dass die Polizei eine mehrköpfige Gruppe verhafte, die dann im Gefängnis untergebracht werden müsse. «Aber auch mehr vollendete und versuchte Gewaltverbrechen, etwa Tötungsdelikte, führen zu längerer Untersuchungshaft.» Dass die neue Strafprozessordnung, die seit 2011 in Kraft ist, zu einer Zunahme der Zahl der Untersuchungshäftlinge führt, kann Sticher indes in Übereinstimmung mit Beobachtungen in anderen Kantonen nicht bestätigen.
In der Tat sind im ganzen Strafvollzugskonkordat Ostschweiz derzeit die Gefängnisse voll, wie das «St. Galler Tagblatt» letzte Woche berichtete. Meist ist es allerdings eher der geschlossene Vollzug von längeren Haftstrafen, wo es Platzmangel und daher Wartezeiten gibt. Landesweit sind in den nächsten Jahren deshalb 2000 neue Vollzugsplätze geplant.
Sicherheit nicht mehr genügend
Mehr Fälle und längere Strafdauer – im Schaffhauser Gefängnis sassen 2015 insgesamt 500 Personen während 14 388 Verpflegungstagen ein. «Wir haben durchschnittlich zwei bis drei Ein- und Austritte pro Tag», sagt Ammann. «Wer von der Polizei festgenommen wird, kommt zuerst zu uns. Die Haftdauer variiert von wenigen Stunden bis zu mehreren Monaten.» Die starke Belegung wirkt sich auf den Betrieb aus: Die Kosten für Energie, Wäscherei und Verpflegung steigen. Und ebenso die Personalkosten. 2017 werden sich die gesamten Kosten für den Betrieb der Institution inklusive Unterbringung von Häftlingen in ausserkantonalen Institutionen gemäss Budget auf 3,14 Millionen Franken belaufen. 2011 lagen sie noch um 700 000 Franken tiefer.
Moderater Ausbau geplant
Im über 100-jährigen Schaffhauser Gefängnis steht im nächsten Jahr ein Update der Sicherheitstechnik an. «Diverse Systeme müssen wir altershalber ersetzen», sagt Ammann. Aus Gründen der Gefängnissicherheit darf er nicht sagen, um welche es sich handelt. Im Hinblick auf die Realisierung des Polizei- und Sicherheitszentrums würden aber nur diejenigen Massnahmen ergriffen, welche für die Aufrechterhaltung des Gefängnisbetriebes absolut notwendig seien.
Die Kreditvorlage für das seit 2009 in Planung befindliche Polizei- und Sicherheitszentrum soll noch dieses Jahr dem Kantonsrat unterbreitet werden. «Bereits jetzt ist klar, dass ein moderater Ausbau auf 55 zeitgemässe Gefängniszellen erfolgen soll», sagt Daniel Sattler. Diese sollen für alle bisher abgedeckten Inhaftierungsgruppen geeignet sein – während längere Haftstrafen weiterhin in ausserkantonalen Institutionen verbüsst werden.
Ersatzstrafen: Lieber in den Knast als Geldbusse zahlen
Im Kanton Schaffhausen hat das Amt für Justiz 2015 rund 2000 sogenannte Vollzugsfälle neu erfasst. Meistens geht es dabei um Ersatzfreiheitsstrafen. Sie werden dann ausgesprochen, wenn eine Busse oder eine Geldstrafe trotz Betreibung nicht bezahlt wird. «Ihre Zahl ist in den letzten Jahren stark angestiegen, und die Tendenz ist ungebrochen», sagt Andreas Jenni, Leiter des Amts für Justiz und Gemeinden. «In diesem Jahr sind wir bereits bei etwa 2200 Fällen.»
Der Ersatzfreiheitsstrafe liegen meist eher geringfügige Delikte wie Transportvergehen (Schwarzfahren) oder Verkehrsdelikte wie Geschwindigkeitsüberschreitungen zugrunde. «Immer mehr Leute sind nicht willens oder nicht in der Lage, die Geldstrafe oder Busse zu zahlen», sagt Jenni. «Wo früher noch bei der zweiten Mahnung oder spätestens bei der Betreibung bezahlt worden ist, wird heute oft gewartet, bis der Haftbefehl ausgestellt ist.»
Dieses Verhalten führt zu einem verstärkten administrativen Aufwand. Allerdings sind es dann nur wenige Personen, die tatsächlich den Gang hinter Gitter antreten – wie viele genau, darüber wird keine Statistik geführt. «Im Durchschnitt brauchen wir für den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafen zwei bis drei Plätze», sagt Jenni.(lbb)
Kantonales Gefängnis Zahlen und Fakten
- Errichtet: 1914
- Zellen: 46, davon 38 dauerhaft nutzbar; 8 Polizei- und Sicherheitszellen
- Hafttypen: Vorläufige polizeiliche Festnahme, Untersuchungs-/ Sicherheitshaft, Freiheitsstrafen bis 6 Monate, Halbgefangenschaft
- Mitarbeiter: 16