Der Tasten- und Theatermann

Der Pianist Joscha Schraff ist aus der Schaffhauser Jazz- und Theaterszene seit einigen Jahren kaum wegzudenken. Dafür wird ihm am Samstag der Walther-Bringolf-Musikpreis der Stadt überreicht.
Porträt: Walther-Bringolf-Musikpreis
Der Walther-Bringolf-Musikpreis der Stadt Schaffhausen wird alle zwei Jahre als Auszeichnung für bemerkenswerte künstlerische Leistungen in Musik und Musiktheater vergeben und ist mit einer Preissumme von 5000 Franken dotiert. Die öffentliche Preisverleihung an Joscha Schraff findet am Samstag, 2. November 2019, ab 20 Uhr auf der Haberhaus-Bühne statt. Im Rahmen der Preisverleihung musiziert Joscha Schraff mit dem Saxofonisten Niculin Janett (Janett Schraff Duo).
Ein Saxofonist düdelt aus den Lautsprechern sein Solo, es riecht nach frischem Kaffee, die ersten Gäste lesen Zeitung und essen ein Gipfeli – in der Schaffhauser Fassbeiz herrscht an jenem Mittwochmorgen eine relaxte Atmosphäre. Das «Fass» – das ist für den Jazzpianisten Joscha Schraff eine Heimstatt, nicht bloss eine Wirkungsstätte. «Ich wurde hier von Anfang an mit offenen Armen empfangen und konnte meine Ideen stets mit viel Unterstützung umsetzen.» Die Jazz-Reihe, die er selber und öfters auch gemeinsam mit Musikerfreunden von anderswo hier bestreitet, sie hat innert weniger Jahre einen festen Platz in der Kulturagenda der Stadt eingenommen.
Nicht nur dafür hat der 28-Jährige jetzt den Walther-Bringolf-Musikpreis der Stadt Schaffhausen erhalten. Denn eng mit dem Fass verknüpft ist auch Schraffs zweite kulturelle Betätigung: das Theater. «Ich habe schon als Jugendlicher beim Momoll-Theater mitgespielt und komponiere jetzt die Musik dazu, die Theaterbühne ist wirklich die zweite Leidenschaft für mich.» Hier im Fasskeller ist er mit der neueren Theatergruppe Szenario um die Schauspielerin Miriam Sina Schlatter involviert (und schreibt auch die Bühnenmusik) «Geplant ist auch, dass ich demnächst noch stärker in der Produktions- und Regiearbeit mithelfe» sagt er. «Ich habe so lange bei Jürg Schneckenburger gelernt, dass mich das jetzt selber reizt. Darauf freue ich mich riesig.» Und dreimal hat er, sowohl musizierend als auch schauspielernd, am Schaffhauser Sommertheater mitgewirkt. Zuletzt diesen Juli, wo er unter anderem eine singende Säge betätigte.
Als Tasten- und Theatermann ist er also stadtbekannt, der Joscha, wie ihn hier im Fass alle nennen. Doch als Musikpädagoge hat er auch noch ein drittes Standbein. An der Pädagogischen Hochschule bildet er als Klavierdozent jene aus, die wiederum für die musikalische Grundbildung der heranwachsenden Generationen in der Verantwortung stehen. Mehr Jazz an der Volksschule? «Ich sehe mich nicht als Jazz-Apostel», sagt er. «Wichtig ist, dass Schulkinder und Jugendliche mehr tun als nur Liedli singen, sondern überhaupt dazu gebracht werden können, selber Musik zu machen. Und dafür braucht es eben die Lehrpersonen.»
Lehrer, das war auch sein eigener Berufswunsch. «Aber die Musik war dann doch stärker.» Zum Glück! Ein wenig war es ihm ja in die Wiege gelegt: Geboren als Sohn eines Klavierlehrers wuchs Schraff mit fünf Geschwistern in Gächlingen auf. «Bei uns zu Hause stand gleich beim Hauseingang ein Klavier, eines von vielen Instrumenten im Haus.» Alle Kinder spielten ein Musikinstrument – «es war bei uns so gut wie nie leise» – aber schliesslich sollte nur der Drittgeborene einen Beruf daraus machen. Nach dem Klavierunterricht bei Marianne Sigrist durfte er in der vierten Klasse endlich zum Jazzpianisten Thomas Silvestri in die Stunde («vorher waren meine Hände noch zu klein»).
Sich voll dem Jazz verschreiben konnte er schliesslich in der Kanti. Sein Rezept: «üben, üben, üben.» Er übte sogar so viel und auf Kosten des Schulstoffs, dass er mal eine Klasse wiederholen musste. «Das war prima, jetzt hatte ich noch mehr Zeit zum üben», sagt er lachend. Nach der Matur die Frage: Basel, Bern, Zürich? Die Wahl fiel schliesslich auf den Master of Jazz an der Zürcher Hochschule der Künste. «Ich wohnte damals noch im Elternhaus und pendelte an die Limmat. Im Zug konnte ich sehr gut Theorie büffeln.»
Kann man Jazz überhaupt lernen? «Hm, strittige Frage. Mein Weg, eine eigene Sprache zu entwickeln, war, andere Jazzmusiker zu analysieren, ihre Solos transkribieren und nachspielen aber auch Musikrichtungen wie Klassik, Pop, Folk zu studieren.» Wynton Kelly, Bill Evans, Kenny Barron und vor allem Keith Jarrett und Brad Mehldau hätten ihn besonders inspiriert. Und da Jazz überwiegend Improvisation ist, also im Moment entsteht: «Mit der Zeit verschmilzt alles zu dem, was aus mir herauskommt im Moment des Musizierens.»
Und wie tönt die eigene Sprache, wie klingt ein echter Schraff? «Den eigenen Stil zu beschreiben, ist schwer. Ich habe mal gesagt, im Grund mache ich Free Jazz, weil ich mich nicht festlegen lasse.» Experimentell-abstraktes, aber auch ein allzu traditioneller Jazz ist seines nicht. Melodien, fassliche Harmonien, Anklänge an Pop, Klassik, aber auch Soundtracks von Filmen, das trifft es schon eher.
Nachzuhören ist dies auf nunmehr drei Studioalben, denn über die Jahre ist eine beeindruckende Zahl von eigenen Kompositionen entstanden – vornehmlich für seine eigenen Formationen mit ehemaligen Studienkollegen, dem Joscha Schraff Trio, dem Joscha Schraff Quartett, dem Janett Schraff Duo und vielen mehr,mit denen er an zahlreichen Konzerten in der Schweiz und in Deutschland auftritt.
In Zürich hielt es ihn aber nicht lange: Nach fünf Jahren Studium kam er 2015 zurück in die Munotstadt. Bietet Schaffhausen für einen jungen Jazzer überhaupt einen fruchtbaren Boden? Denn abseits des wichtigen Jazzfestivals einmal im Jahr gibt es hier keine allzugrosse Jazzszene. «Ja eben, das sind perfekte Voraussetzungen um selber Dinge anzureissen, die es hier noch nicht gibt, im Gegensatz zu anderen Städten», antwortet er mit einem schelmischen Lächeln.
Eine Heimkehr war es nach dem Studium aber vor allem der Liebe wegen: Schraff und seine langjährige Lebenspartnerin Jeanine haben letztes Jahr geheiratet. «Sie hatte früher bei meinem Vater Klavierunterricht. Sie ist sehr musikalisch und meine strengste Kritikerin.» Jeanine studierte Medizin und arbeitet als Chiropraktikerin. «Ich habe enormes Glück, dass sie voll hinter meinen musikalischen und Theaterengagements steht.»