Eine Brücke zwischen den Kulturen

Maria Gerhard | 
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Der Chinesische Verein Schaffhausen hat für Kinder eine Chinesischklasse etabliert. Dort lernen sie neben Mandarin auch etwas über die Kultur, aus der ihre Eltern kommen.

Eifrig gehen die Zeigefinger nach oben. Ein kleiner Junge reckt seinen Arm besonders aufgeregt in die Höhe. Lehrerin Li Shixin hält Karten mit chinesischen Schriftzeichen hoch. «Was bedeutet das?», fragt sie auf Mandarin. Die Symbole stehen etwa für Mensch, Lachen, Mitte, Weinen. Die zwölf Buben und Mädchen erkennen jedes wieder. Und das, obwohl es erst ihre dritte Unterrichtsstunde in der Chinesischklasse ist.

Regelmässig werden die Kinder am Freitagabend von ihren Eltern in die Aula des Schulhauses Alpenblick gebracht, um die chinesische Sprache zu vertiefen. Initiiert hat die Klasse der Chinesische Verein Schaffhausen, der erst im Mai gegründet wurde. Die Unterrichtseinheiten werden vom kantonalen Erziehungsdepartement als HSK-Kurse (Heimatliche Sprache und Kultur) anerkannt. Aufgenommen werden Kinder zwischen 4 und 15 Jahren. «Es wird irgendwann zwei Klassen geben, eine für Kleinkinder und eine für ältere Schulkinder», sagt Li Shixin, die im Vorstand des Vereins ist. So könne man noch gezielter auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Doch das hänge auch von weiteren Anmeldungen ab.

Sprache der Zukunft

Immer mehr gemischte oder chinesische Familien hätten den Wunsch, dass ihre Kinder Mandarin erlernen. Li Shixin kommt ursprünglich aus Peking, ihr Mann ist Schweizer. Ihr Sohn geht ebenfalls in die Klasse. «Wenn er meine Sprache nicht spricht, dann kann er auch keine wirkliche Verbindung zu meiner Familie und zu der Kultur aufbauen, aus der ich komme», sagt sie. Gleichzeitig sei Mandarin auch eine Sprache der Zukunft. China werde als ­Wirtschaftsmacht immer bedeutender. So werde ja auch der Austausch zwischen Schaffhausen und China in wirtschaftlichen und kulturellen Belangen zunehmen. Je nachdem, was die Kinder einmal für einen Beruf ergreifen wollten, könne sich das Erlernte später auszahlen.

Die Kleinen haben jetzt Pause, unter Johlen packen sie Brote, Äpfel und Bananen aus ihrem Schulranzen aus. Haben sie während des Unterrichts noch Mandarin gesprochen, unterhalten sie sich jetzt teilweise auf Schweizerdeutsch. «Soll ich dir helfen, das aufzuessen?», fragt ein Bub einen anderen und schaut verstohlen auf dessen Packung Salzstangen. Der andere teilt bereitwillig. Etwas abseits verfolgen Matthew, 8 Jahre alt, und Tim, 4 Jahre alt, das Treiben. Die beiden müssen sich erst noch etwas mehr eingewöhnen. Mit ihren Eltern wohnen sie in Neunkirch. Ihre Mutter Ma Jing ist in Schanghai, der grössten Stadt Chinas, aufgewachsen. Dort hat sie auch ihren Mann Jonas, einen Schweizer, kennengelernt. Als Kunststofftechnologe war er in der Metropole für Georg Fischer tätig. Nach der Hochzeit sind sie zurück in die Schweiz gegangen. «Schanghai ist eine tolle, sehr lebendige Stadt», sagt Jonas Hüssy, «aber mit Kindern kann man dort nicht leben.»

Es geht ums Schreiben und Lesen

Also werden Matthew und Tim mit den hiesigen Gebräuchen und Sitten gross. «Natürlich sind meine Kinder Schweizer, aber sie sehen eben nicht so aus», sagt Ma Jing, «wenn sie auf ihre Herkunft angesprochen werden, sollen sie doch etwas über die Kultur wissen, die auch ein Teil von ihnen ist.» Und gleichzeitig würden ihren Grosseltern in China nur die Landessprache beherrschen. Ihr Mann nickt zustimmend. Zu Hause spricht er mit den Kindern Schweizerdeutsch, seine Frau indes Mandarin. Deshalb können sich die Kinder schon sehr gut ausdrücken. «Aber es geht uns vor allem ums Schreiben und Lesen», sagt Jonas Hüssy.

Die Klasse habe sie beide überzeugt. «Die Kinder lernen schnell», sagt Ma Jing. Das liege auch an der Art, wie die Inhalte vermittelt würden. «In China ist der Unterricht meist sehr steif, sehr streng», sagt sie, «aber hier werden die Kinder eher spielerisch an den Schulstoff herangeführt.» Dazwischen werde gezeichnet und gesungen. Letzteres steht gerade auch an diesem Freitagabend auf dem Programm. Die Buben und Mädchen stellen sich in einer Reihe auf und singen ein altes chinesisches Kinderlied, das übersetzt so viel heisst wie: «Finde einen Freund». Eine Mutter – ihr Kind ist heute zum ersten Mal dabei, und sie wollte es noch nicht allein lassen – singt im Hintergrund leise mit. Danach proben die Kleinen noch einen Auftritt mit chinesischen Masken und zwei Drachen aus Papier, deren langer Körper von den Kindern an Stecken geführt wird. Am Sonntag wird nämlich der chinesische Generalkonsul Zhao Qinghua in Zürich das erste Mal, seit er in der Schweiz ist, Schaffhausen beehren (siehe Kasten). «Wir sind schon sehr gespannt», sagt Li Shixin, «und es gibt noch einiges vorzubereiten.»

Die Himmelskaiserin

Neben der Sprache wird den Schülern auch etwas über die Geschichte und die Traditionen des Landes beigebracht. So fiel die erste Unterrichtsstunde nach dem chinesischen Mondkalender zufällig auf das Qixi-Fest, das Fest der Liebenden. «Dazu habe ich der Klasse eine alte Legende erzählt, die bei uns sehr bekannt ist», sagt Lehrerin Li Shixin. Niulang, ein armer Kuhhirte, und Zhinü, eine Fee, verlieben sich, heiraten und leben mit ihren Kindern glücklich auf der Erde. Als die Himmelskaiserin das erfährt, ist sie erzürnt über die Liaison. Sie bringt die Fee zurück in den Himmel. Niulang folgt ihnen und holt sie auch ein. Da zieht die Himmelskaiserin mit ihrer goldenen Haarnadel einen Himmelsfluss, die Milchstrasse, durch den das Liebespaar endgültig getrennt wird. Niulang und Zhinü weinen bitterlich. Als die Elstern das sehen, fliegen sie zum Himmelsfluss und bilden eine Brücke, damit das Paar zueinanderfinden kann. Die Himmelskaiserin rührt das, und so erlaubt sie den Liebenden, sich jedes Jahr einmal an der Elster-Brücke zu treffen. Für die Kinder ist indes die Chinesischklasse eine Brücke – zwischen den zwei Kulturen, in denen sie aufwachsen.

Wer sich für den Unterricht in der Chinesischklasse interessiert, kann sich bei Li Shixin melden: [email protected].

Drachen und Zusicherung einer Zusammenarbeit

Mit einem kulturübergreifenden Programm wurde am Sonntag in der Kanti-Mensa die Lancierung des Chinesischen Vereins Schaffhausen und dessen erstes grosses Projekt, eine chinesische Schule, gefeiert. Zur Begrüssung führten die kleinen Schulkinder mit schillernden Drachen sich windende Formtänze auf. Es folgten Ansprachen und ein Konzert auf vier Guqins, traditionellen chinesischen Zupfinstrumenten.

Der Schaffhauser Regierungspräsident Christian Amsler und der chinesische Generalkonsul in Zürich, Zhao Qinghua, freuten sich über das Erreichte und sicherten sich auch zukünftig Zusammenarbeit zu. Besonders freue ihn der erklärte Zweck des Chinesischen Vereins, die eigene Kultur zu pflegen und gleichzeitig den Landsleuten die Integration in Schaffhausen zu erleichtern, betonte Amsler. Vor dem Apéro unterhielt der Comedy-Zauberer Shorty die Anwesenden mit flinken Fingern und trockenem Humor und baute sie fliessend in sein Programm mit ein. (dca)

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