Kooni hat den Jazz gescannt

Die Handschrift der Illustratorin Kooni prägt die Optik des diesjährigen Jazzfestival-Plakats und -Programmheftes. Wir schauten ihr beim Tätowieren zu.
Kooni, 31 Jahre
Lea Wäckerlin alias Kooni ist freie Illustratorin und lebt in einer WG in Hamburg. Die gebürtige Schaffhauserin absolvierte eine Lehre als Mediamatikerin, arbeitete danach ein Jahr in einer Werbeagentur und ein Jahr auf einem Bauernhof. Später besuchte sie den Gestalterischen Vorkurs an der F+F Zürich und studierte anschliessend Illustration Fiction in Luzern. Direkt nach dem Studium zog sie nach Hamburg. Nun geht sie ihrer Kunst nach und arbeitet Teilzeit im Café Kaffeeklappe.
Das laute Rattern der Tattoomaschinen mischt sich mit den Hip-Hop-Beats aus den Lautsprechern. Es ist früher Samstagabend, und im TapTab in Schaffhausen sind drei Tätowierer am Werk. Von 16 bis 20 Uhr kann man sich ab 50 Franken für ein lebenslanges Motiv entscheiden. Im Musikraum geht rund ein Dutzend Leute ein und aus. Einige lassen sich Tinte unter die Haut stechen, andere schauen zu, schlürfen an einem Drink.
In einer dunklen Sofaecke sitzt ein langhaariger junger Mann, sein Bein ist auf einem mit Frischhaltefolie eingepackten Stuhl hochgelagert. An seinen Fesseln tätowiert die Künstlerin Kooni, hoch konzentriert, exakte, dunkle Linien. Kooni, auch bekannt als Lea Wäckerlin, hat das diesjährige Plakat des Jazzfestivals illustriert.
«Ich bin bald fertig mit dem letzten Tattoo, dann muss ich mir etwas zu essen holen, danach hab ich Zeit für das Interview», sagt Kooni, die auf dem Kopf eine Stirnlampe trägt.
Die 31-Jährige ist in Schaffhausen nicht unbekannt. Ursprünglich kommt sie aus dem kulturellen Untergrund. Ihre Comic-hasen waren vor einigen Jahren an so manchen sich bietenden Stellen anzutreffen: zum Beispiel auf der Rückseite von Strassenschildern, Klotüren in Clubs oder an verschiedenen Fassaden.
In Flammen aufgegangen
Kooni zeichnet, seit sie denken kann. Auch mit dem Jazz ist sie früh in Berührung gekommen. Im CD-Regal ihrer Eltern stand das Album «Blue Library of Bubbles» von Roberto Domeniconi, welches sie als Kind rauf und runter hörte. Später hat sie das Musikfilmdrama «whiplash» gesehen. Mit dem Auftrag für das Jazzfestival hat sie den Jazz besser kennengelernt: «Ich fühle mich, als hätte ich gerade mal an der Oberfläche der weiten Jazzwelt gekratzt.»
Tattoos sticht sie erst seit drei Jahren. Durch ihre damals schon ziemlich tätowierten Freunde ist die Wahlhamburgerin zum Tätowieren gekommen: «Sie haben gesagt, es wäre voll cool, eine Zeichnung von mir tätowiert zu haben, und ich solle mir endlich eine Tätowiermaschine kaufen.» Im Internet hatte sie sich dann eine billige Maschine gekauft und ein Jahr lang mit dieser gestochen, bis die Maschine wortwörtlich in Flammen aufging.
Tinten- und Blutreste
Kooni wischt die Tinten- und Blutreste an den Utensilien ab. Was der Antrieb für ihre Kunst sei? «Alles.».Häufig inspirieren sie erlebte Alltagssituationen oder lustige, zwischenmenschliche Momente. «Viele Bücher, Kunst von anderen Menschen, Film, Dokus, Reisen, alles treibt mich an», so Kooni.
«Der Laie mag dies vielleicht als Blödsinn abtun, den Fachmann freut es.»
Das Kooni mit offenen Augen durch die Welt geht, hat auch ihr ehemaliger Dozent Markus Weiss beobachtet. «Kooni hatte schon immer einen Hang zum lustigen Experiment und üppigen Dilettieren. Der Laie mag dies vielleicht als Blödsinn abtun, den Fachmann freut es», sagt der Zürcher Künstler.
Der Auftrag für das Jazzfestival war gestalterisch sehr frei. Beim Erstellen des Festivalplakats hat Kooni zuerst experimentiert: Auf einem Scanner hat sie Wassergläser umhergeschoben, um einen Hintergrund zu kreieren. Diesen hat sie massiv bearbeitet, er sei kaum erkennbar. So wollte sie Chaos und einen abstrakten Raum schaffen, um auch die Musik zu illustrieren und die Nacht und die Konzerthalle als Sphäre darzustellen.
«Ich habe Jazz gehört und mit dem Pinsel Formen gezeichnet.» Diese Formen, die den Jazz repräsentieren sollen, hat sie ausgeschnitten und ins Bild eingesetzt.
Gleichzeitig hat sie über drei Wochen Musiker, Tiere, Instrumente und Wesen des Jazz gezeichnet. Diese Figuren hat sie wimmelbildmässig im Bild versteckt. Schliesslich hat sie Handschrift auf Papier auf den Scanner gelegt und während des Scannens verschoben, um Farbverschiebungen zu erzeugen.
«Jetzt ist die Schrift recht schlicht und dilettantisch hineingesetzt, jedoch passt es meiner Meinung nach genau rein.» Ihr ehemaliger Dozent Weiss findet es mutig, in der visuellen Kommunikation handschriftlich zu arbeiten: «Es ist sehr atypisch. Und recht radikal.»
Radikal ist auch Koonis Arbeitseinstellung: «Wenn ich mal keinen Bock auf einen Auftrag habe, lehne ich ihn ab. Nein sagen zu können, ist für mich ein gewaltiger Luxus.»
Um diese Freiheit und die finanzielle Sicherheit unter einen Hut zu bringen, hilft sie ein, zwei Tage pro Woche in einem Café aus. Mit dem Gehalt deckt sie die Miete ab. «In einem Gebiet zu arbeiten, das gar nichts mit Zeichnen zu tun hat, gibt mir einen wichtigen Ausgleich.»
Obendrein finanziert sie ihr Leben querbeet, durch verschiedene Illustrations- aufträge, Bilderverkäufe, Tattoos und neu auch Vasen und Schalen, die sie selbst getöpfert hat.
Das erste Mal auf einer Orange
Ob auf Papier, Karton oder Haut, alles sei für sie Zeichnen. «Tätowieren ist Zeichnen auf der Haut oder besser gesagt unter der Haut», sagt Kooni. Zuerst hat sie das Stechen mit Tinte auf einer Orange geübt, und dann war auch schon der erste Mensch dran. Am Anfang war sie nervös, doch benutze sie beim Zeichnen auch keinen Radiergummi und sei darin geübt, «Fehler» ins Motiv zu integrieren. «Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ein Tattoo nicht ganz so perfekt gelingt. Aber meine Freunde nahmen dieses Risiko in Kauf und haben zum Teil auch ein, zwei misslungene», sagt die Künstlerin lachend.
An diesem Abend missglückt keines der Tattoos. Die gestochenen Motive könnten kaum unterschiedlicher sein: Kooni hat unter anderem eine Pflanze in der Vase, einen Gipfel mit Gesicht oder ein gewollt verzittertes «Nike»-Markenzeichen tätowiert.
«Ich habe quasi das Bild gekauft und habe es nun am Arm und nicht an der Wand.»
Kooni trägt selbst auch Tattoos: «Ich sehe dies als eine Art Bilderkauf eines Künstlers. Ich habe quasi das Bild gekauft und habe es nun am Arm und nicht an der Wand.» Die Illustratorin sticht ihren Kunden nur ihre eigens kreierten Motive – jedes nur ein einziges Mal. Ihre Motivauswahl wie auch bereits gestochene Werke präsentiert sie unter dem Namen @kooni_gllh auf Instagram: Mit ein paar Klicks kann man bei ihr einen Termin vereinbaren.
Ausser den bevorstehenden Tattoo- Terminen hat Kooni keine grossen Zukunftspläne. «In Zukunft will ich unbedingt frei bleiben und meine eigenen Ideen verwirklichen. Ich plane mein Leben nicht, sondern schaue, was passiert», sagt die Zeichnerin.
Es ist kurz vor neun Uhr, die Bar füllt sich. Kooni packt den letzten Krimskrams in ihren Koffer. Auf dem Deckel klebt ein Sticker: «Der Hustle ist hart» – es ist nicht leicht, sich durchzuschlagen – schon morgen geht’s mit dem Auto zurück nach Deutschland.