«Das Tattoo ist vergängliche Kunst»

Janosch Tröhler | 
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Wie ist es, sich ein Tattoo stechen zu lassen? Unser Reporter wagt den Selbstversuch und entdeckt überraschende Ansichten zur Körperkunst.

Zugegeben, ich habe schon einige Zeit mit dem Gedanken gespielt, ein Tattoo stechen zu lassen. Aber dann folgen all die Entscheidungen: Wo soll die Farbe unter die Haut? Welches Motiv? Und wie sieht das Budget aus? Das war mir stets zu mühsam und so blieb der Gedanken Theorie.

Trotzdem hat mich die Idee nie ganz losgelassen. An den «Tattoo Days» in der BBC Arena Schaffhausen packte ich die Gelegenheit beim Schopf und wagte den Selbstversuch.

Körper als Leinwand

Tags davor platzte ich ins «Moonlight Tattoo-Studio» am Herrenacker. Hier arbeitet Quirino, genannt «Q». Seine geometrischen Muster haben mir auf Anhieb gefallen und ich entschied mich spontan für eine seiner Vorlagen.

In der kleinen Halle der BBC Arena reiht sich Stand an Stand. Es liegen Vorlagen und Alben mit Portfolios der Künstler herum. Die Luft ist erfüllt vom beständigen Surren der Tätowier-Maschinen. Ein Geräusch, das je länger je harmloser klingt. Zumindest für die noch ahnungslosen Ohren wie die meinen.

Q schaut sich nochmals meinen linken Unterarm an. Dann verkleinert er die Vorlage zu einer Schablone. Wie genau das Tattoo am Schluss aussehen wird, weiss ich nicht. Es ist mir aber auch egal. Ich mochte stets das Konzept des Körpers als Leinwand für den Künstler.

Impfungen und Schürfungen

Ich würde mich nicht als empfindliche Person bezeichnen. Deshalb bin ich ziemlich gelassen, als ich auf die säuberlich desinfizierte Liege niedergehe. «Bist du nervös?», fragt mich Q. «Nicht wirklich», antworte ich. «Es ist gut, nervös zu sein. Das Adrenalin dämpft den Schmerz», meint er trocken.

Dann geht es los. Ein wenig erinnert mich die Situation an den Zahnarzt. Ein penetrantes Geräusch, das Warten auf den Schmerz. Mit dem einzigen Unterschied, dass am Ende nicht weisse Zähne, sondern schwarze Haut resultiert.

Der erste Kontakt mit den Nadeln fühlt sich an wie eine Impfung. Ein kleiner, feiner Stich. Nicht der Rede wert. Dann kommen plötzlich Erinnerungen an die Kindheit und das aufgeschürfte Knie nach dem Skateboard-Unfall hoch.

An Schmerz gewöhnt man sich nicht. Die Handflächen werden feucht und es läuft mir kalt den Rücken hinab. Ich schliesse die Augen, versuche ruhig zu atmen und mich zu entspannen. Hin und wieder verfalle ich beinahe in eine Art Meditation. Bis der Schmerz wieder mit neuer Gewalt durch meinen Körper zuckt wie ein greller Blitz.

Vergängliche Kunst

Menschen mit Tattoos erzählen gerne, dass sie nach dem ersten Motiv süchtig geworden sind. Wie das sein kann, kann ich nicht nachvollziehen, während die Nadeln unablässig durch meine Haut bohren.

«Es ist ein Sammeln», meint Q. Irgendwann habe man sich an das neue Tattoo gewöhnt, es werde einen Teil von einem. Dann braucht man wieder ein Neues. Q kommt aus Kalifornien und hat dort als Künstler sein Geld verdient – «Graphic design, you know». Ein Freund habe ihm dann eines Tages alles geschenkt, was man zum Tätowieren braucht.

Die Liebe brachte Q dann in die Schweiz. Er war nicht immer in Schaffhausen, doch hier gefällt es ihm am besten. «Es ist so relaxed.» Er kehrt immer wieder nach Kalifornien zurück. Bevor er abreist, postet er auf Facebook, dass er kommt. Innerhalb eines Tages ist er dann ausgebucht.

«Was fasziniert dich am Tätowieren», frage ich ihn, um den Schmerzen etwas auszuweichen. «Es ist eine vergängliche Kunst. Wenn der Mensch stirbt, ist sie fort.»

Diese Aussage brennt sich in mein Gedächtnis. Es gibt immer jene, die einem den «Unsinn» ausreden wollen: «Das hast du dein Leben lang! Und wenn du erst Siebzig bist...»

Der Standpunkt von Q unterscheidet sich fundamental. Er betrachtet das Tattoo nicht aus Sicht des Tätowierten, sondern aus der eines Künstlers. Ich werde fast etwas melancholisch, dass das Werk, das er gerade in meinen Unterarm sticht, nicht so alt werden wird wie etwa die «Mona Lisa».

Vom KZ zur Popkultur

Die Menschen haben sich seit Jahrtausenden Farbe unter die Haut getrieben. Ötzis mumifizierte Haut ist übersät mit Tattoos und viele indigene Völker markieren ihren Körper lebenslänglich aus religiösen oder gesellschaftlichen Gründen.

In der westlichen Hemisphäre hat sich die Tätowierung erst in einem negativen Kontext präsentiert. Das Nazi-Regime nummerierte KZ-Häftlinge auf ewig. In Bosnien wurden bis 1890 katholische Mädchen tätowiert, um einen Übertritt zum Islam zu verhindern.

Lange blieben Tattoos stigmatisiert. Matrosen und Sträflingen liess man sie durchgehen. In den 1990ern eroberte die Körperkunst die breite Masse bis zu einem Grad, der das Individualismus-Argument ins Lächerliche zieht.

Die Gründe für eine Tätowierung hätten sich nicht so sehr verändert, meint Q. Es geschehe oft aus persönlichen Gründen, um Lebensabschnitte zu verewigen. Wer sich ein Kreuz stechen lässt, zeigt seinen Bezug zum Christentum. Und «Knasttränen» von ehemaligen Insassen sind heute noch aktuell.

Mein Tattoo ist fertig, und ich bin es ebenfalls. Der Körper müde, erschöpft, kraftlos. Aber auch erleichtert und zufrieden mit dem Werk. «Wie heisst es noch: Wer schön sein will, muss leiden», meine ich matt.

Q schmunzelt. «Das ist das Schöne am Tattoo: Man muss es sich verdienen. Vor der Nadel sind alle gleich.»

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