Nach acht Jahren hört die erste Munotwächterin der Geschichte auf: Das wird sie am meisten vermissen

Sie war die erste Munotwächterin der Geschichte. Karola Lüthi erlebte eine Pandemie auf der Festung, setzte ein Zeichen am Frauenstreik und muss sich nun an das Leben in einem stinknormalen Mehrfamilienhaus gewöhnen. Ein persönlicher Rückblick.
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Etliche Male hat Karola Lüthi die Munotglocke zum Erklingen gebracht. Langweilig ist ihr das nie geworden, im Gegenteil: Das Glockenläuten habe sie immer geliebt. Am Mittwoch läutet sie die Glocke zum letzten Mal. Nach acht Jahren hängt sie das Amt als Munotwächterin an den Nagel.
Beim Amtsantritt haben Sie gesagt, ein Traum gehe in Erfüllung. War das Amt als Munotwächterin tatsächlich ein Traumjob?
Karola Lüthi: Ich konnte eine traumhafte Lage geniessen, habe traumhaft schöne Momente auf dem Munot erlebt. Und ja, es war wirklich ein ganz spezieller Job. Natürlich gab es auch strenge Momente. Was dieses Amt wirklich alles umfasst, das konnte ich mir am Anfang gar nicht ausmalen. Aber ich bin sehr zufrieden, dass ich mich getraut habe, mich zu bewerben. Die Zeit als Munotwächterin war lässig und abenteuerlich.
Anfangs war es nicht ganz so, wie Sie es sich vorgestellt haben. Was waren die grössten Herausforderungen?
Mein Mann Ruedi und ich waren damals schon verheiratet, aber wir sind dann zum ersten Mal zusammengezogen. Das war für uns eine neue Situation, doch wir hatten gar keine Gelegenheit, über den Haushalt zu diskutieren, sondern mussten direkt anpacken. Jeder Handgriff war neu. Ich hatte gewusst, worauf ich mich einlasse, aber als es dann richtig losging, war das schon auch anstrengend. Ich bin viel herumgerannt, hoch und runter. Am Anfang habe ich gegessen wie ein Scheunendrescher. (lacht)
Auf dem Munot waren Sie ganz alleine. Sie hatten keinen Chef, der Ihnen sagte, wo es langgeht. Wie schwierig war das für Sie?
Ich hatte zum Glück einen lieben Mann an meiner Seite, der tatkräftig mitgeholfen hat. Das ist auch wichtig bei diesem Job, dass man zu zweit ist. Jedoch muss man sich selbstständig organisieren. Zum Glück liegt mir das aber ganz gut. Da bin ich meinem Mann auch ab und zu auf die Nerven gegangen, wenn ich ihm gesagt habe, wie etwas abzulaufen hat. Aber wir waren ein gutes Team.
«Ferien im Sommer kamen für uns nie infrage.»
Nacht acht Jahren ist nun Schluss. Warum ausgerechnet jetzt?
Früher war es ja so, dass der Munotwächter irgendwann pensioniert wurde und deren Frauen klaglos mitverschwunden sind. Bei uns war die Situation eine andere. Ruedi ist ein paar Jahre älter als ich. Irgendwann hat er mich darauf hingewiesen, dass er bald 65 werde, und ich dachte mir: Mist, wir haben uns noch gar keine Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll. Da waren wir in einem Dilemma. Schliesslich haben wir bei der Stadt angefragt, ob mein Mann ein Jahr über das Rentenalter hinaus weiterarbeiten dürfe und ich danach ebenfalls aufhöre. Und so ist es nun herausgekommen. Er geht etwas verspätet und ich etwas verfrüht in Pension.

Hätten Sie denn noch Lust gehabt, weiterzumachen?
Klar, ich habe eine riesige Freude an diesem Job. Aber man braucht eben auch jemanden an seiner Seite.
Was muss man eigentlich können, um als Munotwächterin zu bestehen?
Es ist hilfreich, wenn man gut mit Leuten kann. Ich habe so viele verschiedene Arten von Menschen kennengelernt in meiner Zeit als Munotwächterin. Daher braucht es eine gewisse Offenheit. Auch ein historisches Interesse finde ich wichtig. Und es ist sicherlich nicht schlecht, wenn man gerne putzt. Das nimmt nämlich einen grossen Teil der Arbeit ein. Dafür ist man schliesslich auch angestellt. Aber eigentlich ist es das Wichtigste, sich dieser Aufgabe voll und ganz zu verschreiben, denn der Job erfordert viel Präsenz. Ferien im Sommer kamen für uns nie infrage.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie in Ihrer Rolle als Wächterin angekommen sind?
Das hat drei Jahre gebraucht. Das ist doch erstaunlich lange, oder? Normalerweise fühlt man sich in einem Job schneller wohl. Ich erinnere mich noch genau, wie ich nach drei Jahren dachte: So, jetzt habe ich es im Griff.
Haben Sie eine Vermutung, warum es drei Jahre gebraucht hat?
Jedes Jahr macht man auch eine Saison mit. Gerade der Sommer ist viel fordernder als der Winter. Der erste Sommer war sehr aufregend und ich musste mich zurechtfinden. Im zweiten Jahr hatte ich dann schon Erfahrungen gesammelt und wusste allmählich, wie der Hase läuft.
Sie waren die erste Frau in diesem Amt. Hat das damals bei Ihrem Amtsantritt spezielle Reaktionen ausgelöst?
Es hat wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit erregt. Wenn die Stadt einen Mann als Munotwächter eingestellt hätte, wäre das Interesse wohl geringer gewesen. Ich fand es echt cool, dass die Stadt sich getraut hat, eine Frau einzustellen. Es ist ein Zeichen, dass sich die Zeiten ändern. Ich denke, das hält die Tradition auch lebendig.
Zum Frauenstreik im Jahr 2019 haben Sie darauf verzichtet, die Glocke zu läuten. Daraufhin gab es positive wie auch negative Reaktionen. Würden Sie es rückblickend noch mal so machen?
Ja, definitiv. Die Idee war einfach zu gut. Ich hatte nie im Sinn, Schindluder auf dem Munot zu treiben. Ich muss auch zugeben: Bevor ich das durchgezogen habe, hatte ich etwas Schiss. Aber ich stehe voll und ganz hinter der Aktion. Ich wollte ein starkes Zeichen gegen Ungerechtigkeit setzen.
Wie haben Sie damals den Trubel um die Aktion erlebt?
Damals habe ich mich von den sozialen Medien ferngehalten. Das habe ich mir nicht angeschaut. Anfeindungen und Hassnachrichten brauchte ich nicht. Was ich gelesen habe, waren die vielen Mails, die ich bekommen habe. Es gab kritische Worte, aber auch viel Zuspruch, was mich sehr gefreut hat. Leider habe ich auch nicht unterschriebene Briefe mit bösen Worten gegen mich bekommen. Das war schon etwas gruselig.

Auch die Coronapandemie fiel in Ihre Amtszeit. Während vier Wochen war der Munot geschlossen. Was für ein Gefühl hatten Sie damals?
Als die Pandemie losging, hatten wir kurz vor Ostern wahnsinnig viele Besucher. Man wusste wenig über das Virus und dann war so ein Menschenauflauf schon beängstigend. Danach wurde der Beschluss gefällt, den Munot zu schliessen.
Das muss ein ungewohntes Bild gewesen sein: prächtiges Wetter und ein menschenverlassener Munot.
Absolut. Es war sehr unheimlich. Es gab völlig ungewohnte Situationen. Zum Beispiel ist die Tür auf der Munotzinne zur Gastronomie geschlossen, wenn niemand von uns auf der Zinne ist. Sonst verirren sich die Touristen in die Küche. In dieser Zeit mussten wir sie aber nicht abschliessen. Dann kam es manchmal vor, dass ich von der Wohnung auf die Zinne geschaut habe und mich erschreckt habe, dass die Tür offen war. Da wollte ich gleich losrennen, um sie abzuschliessen, bis mir dann wieder einfiel, dass sowieso niemand ausser uns hier ist.
Apropos Schreckmomente: Der wohl grösste, den Sie erleben mussten, war wohl im Jahr 2021, als eine Besucherin für ein Selfie über das Geländer auf der Zinne geklettert ist. Die Frau stürzte, eine Birke im Munotgraben rettete ihr das Leben. Wie haben Sie diesen Schock verdaut?
Ich weiss noch, wie mich eine Nachbarin anrief und meinte, eine Frau schrie um Hilfe. Ich bin sofort runtergerannt und war voller Adrenalin. Sie konnte schliesslich selbstständig vom Baum runterklettern und eine Ambulanz hat sich dann um sie gekümmert. Aber dieser Schock hat schon eine Weile nachgewirkt. Wenn sich danach Leute dem Geländer genähert haben, hatte ich das Gefühl, mich trifft der Schlag. Das dauerte etwas, bis sich das wieder gelegt hat.
Über die Sicherheit auf dem Munot wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Gutachten beurteilten, wie viele Menschen es auf der Zinne verträgt. Wie sehen Sie das?
Wenn wir viele Besucher haben, dann sind es meistens friedliche und tolle Anlässe wie etwa das Kino. Natürlich kann immer etwas passieren, aber ich finde, der Munotverein hat viel Mühe in das Sicherheitskonzept gesteckt. Zum Beispiel wurden Massnahmen getroffen, damit viele Menschen im Brandfall sicher und geregelt die Reitschnecke hinuntergehen können. Ganz generell habe ich aber keine Angst vor einem Brand auf der Zinne. Das ist ja keine geschlossene Turnhalle. Wir haben sehr viel Platz.
«Das Läuten der Glocke hat eine lange Tradition und es war ein Privileg, mich in diese Tradition einreihen zu dürfen.»
Was war eigentlich das Schönste an Ihrer Tätigkeit?
Es war immer sehr besonders, wenn die Besucher auf dem Munot mich kennengelernt haben. Viele Menschen hatten eine grosse Freude, wenn Sie erfahren haben, dass da oben noch jemand wohnt und jeden Abend die Glocke von Hand läutet. Ich durfte mich ein bisschen wie eine Burgkönigin fühlen, auch wenn der Munot keine Burg ist und ich keine Königin bin. Dieses Gefühl, über allem zu thronen, war ganz aussergewöhnlich. Und dann ist da noch das Munotglöggli. Das wird mir ganz besonders fehlen.
Warum denn?
Es ist der Ausdruck vom Amt als Wächterin. Es sind zwar jeden Abend nur fünf Minuten, aber das Munotglöggli hat mein Herz berührt. Das Läuten der Glocke hat eine lange Tradition und es war ein Privileg, mich in diese Tradition einreihen zu dürfen.
Nun kommen einige Veränderungen auf Sie zu. Sie sind bereits umgezogen. Nach so vielen Jahren auf dem Munot leben Sie jetzt in einem stinknormalen Mehrfamilienhaus. Das muss doch unerträglich sein.
So weit würde ich nicht gehen, aber es ist sicher ein komisches Gefühl. Auf einmal höre ich Geräusche von Nachbarn. Das hatte ich in den letzten acht Jahren nicht (lacht). Aber natürlich wird mir der Munot als Zuhause fehlen. Gerade ausserhalb der Öffnungszeiten war es wunderschön, den Munot für sich alleine zu haben.

Mit der Pensionierung wird sich Ihr Alltag grundlegend verändern. Mit was für einem Gefühl blicken Sie dem entgegen?
Das wird eine riesige Umstellung. Da geht es, glaube ich, allen gleich. Viele fragen sich, was sie machen sollen, was ihr Status sein wird. Auch uns beschäftigen diese Fragen, zumal der Munot uns die letzten Jahre sehr vereinnahmt hat. Ich habe vor der Pensionierung Respekt, aber bin vor allem auch neugierig, wie es sein wird, wenn ich etwas mehr Zeit habe. Und ich bin mir sicher: Mir wirds nicht langweilig. Dafür interessiert mich zu vieles.