Das Eltern-Paradoxon

Ralph Denzel | 
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Man beschwert sich oft, trotzdem würde man seine Kinder um nichts in der Welt je wieder hergeben. Bild: unsplash

Vor einiger Zeit hatte ich eine interessante Unterhaltung mit einem guten Freund. «Na, wie geht es dir? Wie geht es deinem Sohn?» Eine gefährliche Frage, denn diese öffnet Tür und Tor für Eltern, vor allem Alleinerziehende, damit sie sich den angestauten Frust von der Seele reden können. Wie Wasser aus einem geborstenen Damm flossen die Worte und ich erzählte meinem Gegenüber alles, was ich die letzten Wochen erlebt hatte. Ein Kompendium über meine Erlebnisse, den Stress, die Frustration, die Sorgen, meinen chronisch leeren Geldbeutel, mein Schlafdefizit – alles, was Kinder von einem abverlangen.

Manchmal scheint mir die Elternschaft ein bisschen Ähnlichkeit mit einem «Stockholm-Syndrom» zu haben

Nach einer Weile schaute er mich an und sagte: «Ok, da bin ich aber wirklich froh, habe ich keine Kinder.» Meine Reaktion: «Das tut mir wirklich sehr leid für dich, denn es gibt nichts Tolleres als Kinder zu haben.» Mein Kumpel: «Hast du dich nicht gerade darüber beschwert, wie unendlich anstrengend Kids sind?!».

Ich nenne dieses Phänomen das «Eltern-Paradoxon». Manchmal scheint mir die Elternschaft ein bisschen Ähnlichkeit mit einem «Stockholm-Syndrom» zu haben, also sprich, wenn Geiseln eine enge emotionale Verbindung zu ihren Peinigern aufbauen. Das Wort «Peiniger» ist dabei bewusst gewählt. Kinder können gnadenlos sein und die Bedürfnisse der Eltern so ausblenden, als hätten sie keine. Schleppt sich Papa zum 49. Mal eine Rutsche hoch und es geht nicht schnell genug, fragt mein Sohn nicht: «Brauchst du eine Pause?», sondern wird mich mit der eiskalten Beharrlichkeit eines Achtjährigen weiter antreiben, damit es endlich schneller geht.

Kinder zu haben ist frustrierend, wenn sie wegen Kleinigkeiten anfangen zu streiten, unfair, wenn sie ihren Zorn an einem auslassen, obwohl man nichts dafür kann, unangenehm, wenn sie mit dreckigen Schuhen in die frischgeputzte Wohnung kommen, dabei ihren Müll einfach fallen lassen und dann Aufmerksamkeit fordern, obwohl man selbst seit mehreren Stunden auf den Beinen ist und einfach nur einige Minuten die Füsse hochlegen möchte.

Warum tut man sich sowas freiwillig an? Weil es nichts Schöneres gibt.

Frust, Wut, strapazierte Nerven, hohe Kosten, Unordnung – die Liste ist noch nicht einmal im Ansatz fertig und könnte sich noch um einige Punkte weiterführen lassen. Warum tut man sich sowas freiwillig an? Weil es nichts Schöneres gibt. Denn unter all diesen negativen Emotionen steckt auch eine so pure und allumfassende Liebe zu diesem kleinen Wesen, welches mich «Papa» nennt, dass ich das alles ertragen kann und ja, teils sogar gerne mache.

Natürlich vermisse ich meine Freizeit von früher, ich hätte gerne wieder eine Wohnung, in der kein Spielzeug herumliegt, bei dem die Couch nicht mit undefinierbaren Flecken verschmiert ist. Ich würde gerne mal wieder an einem Wochenende einfach lange schlafen, um dann am Abend mit Erwachsenen wegzugehen. Ich würde gerne mal wieder meinen Kühlschrank, meine Snacks und mein Leben nur für mich haben, ohne Teilen zu müssen. Aber wenn das bedeuten würde, dass ich dafür auch meinen Sohn nicht mehr habe, dann lehne ich dankend ab.

Ich beschwere mich, ich bin oft frustriert und ich denke mir manchmal, wie leicht es doch war, als ich noch keine Miniaturausgabe von mir in meinem Leben hatte – aber ich würde diese um nichts in der Welt je wieder hergeben.

Macht das keinen Sinn? Tja, willkommen beim Eltern-Paradoxon.

Hier schreibt Ralph:

 

38 | Alleinerziehender Papi | schreibt über die Alltagstücken als Alleinerziehender

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