Eine «kindische Lümmelei»: Die Geschichte des Fussballs in der Region

Ralph Denzel | 
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Das Spielfeld auf dem Ebnat, ungefähr 1910. Bild: Stadtarchiv

Ende des 19. Jahrhunderts hält der Fussball Einzug in die Region - sehr zum Missfallen der Stadt und vieler älterer Bürger, die den Sport als «Unsinn von faulen Engländern» bezeichnen.

Das Wochenende gehört dem runden Leder. Wenn abertausende Fans weltweit in die Fussballstadien pilgern, ihre Mannschaft mit Fangesängen anfeuern und die Tore ihrer Helden in den Stollenschuhen bejubeln. Es ist ein Multimilliardengeschäft, mit Umsätzen, die teilweise an die Bruttoinlandsprodukte von kleinen Ländern heranreichen. Auf dem Rasen werden Helden geboren, «Schlachten geschlagen», grosse Triumphe und bittere Niederlagen erlebt – Fussball in seiner reinsten Form ist Emotion, Nervenkitzel und Spannung.

Das war jedoch nicht immer so. Als das Spiel mit dem Ball langsam erst aufkam und in die Schweiz überschwappte, war der Blick vieler Eidgenossen auf diesen Export aus England eher kritisch. Wir blicken zurück und zeigen Ihnen, wie der Fussball in die Region kam.

Vom Anfang des runden Leders

Wahrscheinlich rollte der erste Ball im 3. Jahrhundert vor Christus im alten China. Wie die Regeln waren, ist nicht überliefert – nur, dass es zur militärischen Ausbildung genutzt wurde. Die Anstrengung den Ball zu jagen, Gegnern auszuweichen – alles etwas, dass die Leute damals brauchten. Aber auch in Südamerika gibt es schon frühe Überlieferungen dazu, dass dort eine Vorart von Fussball gespielt wurde. 

Fußballspieler aus einem Wandbild in Tepantitla bei Teotihuacán, Mexiko, ca. aus dem sechsten Jahrhundert. Bild: Wikimedia

Der moderne Fussball, wie wir ihn kennen, hatte seinen Ursprung allerdings in England. Dort wurde er schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Leibesertüchtigung an Universitäten genutzt, ähnelte aber mehr dem Rugby als dem Fussball wie wir ihn heute zum Beispiel im Lipo-Park sehen. So durfte ein Ball in die Hand genommen werden, auf dem Platz standen bis zu 20 Männer – pro Team – und einen Schiedsrichter gab es nicht.

Erst mit der Gründung der Football Association (FA) 1863 wird der Fussball wirklich modern. Die Abseitsregel wurde erfunden, die Spieleranzahl begrenzt, später das Handspiel verboten und ein Unparteiischer eingeführt. Langsam ähnelt das Spiel dem, was wir heute kennen. In die Schweiz schwappt der Fussball dann vor allem über englische Internatsschüler, die das Spiel aus ihrer Heimat zu den Eidgenossen bringen. Vor allem im Raum St. Gallen breitet es sich schnell aus und wird von dort auch in der restlichen Ostschweiz berühmt.

«Simpelhafte Kindereien»

Das erste Mal wird in den «Schaffhauser Nachrichten» 1894 von einem «Fussballturnier» gesprochen. Dieses soll beim eidgenössischen Turnfest in Lugano stattfinden. Im selben Jahr heisst es auch im Bericht über ein Turnerfest in Zürich: «Um neben unsern ureigensten Spielen auch diejenigen zur Anschauung zu bringen, die in neuerer Zeit aus dem Auslande zu uns gekommen sind, wird ein Fussballmatch ausgefochten werden.»

Das erste Länderspiel der Geschichte fand 1872 zwischen England und Schottland statt - und endete 0:0. Bild: Wikimedia

Der Exportschlager aus England ist dabei alles andere als beliebt. In den Schaffhauser Nachrichten liest man im Jahr 1896 über den Fussball: «Es ist dies ein Spiel, das weder Kraft, noch Geschicklichkeit, noch irgend eine andere turnerische Eigenschaft erfordert oder ausbildet, das aber Herren und Damen Vorwand bietet zu wildem Durcheinanderrennen». Aber der Siegeszug des Spiels ist schon nicht mehr aufzuhalten, sehr zum Missfallen des Autors, der damals weiter schreibt: «Natürlich hat man dieses törichte Spiel nun auch in der Schweiz, wo viele junge, gelangweilte Engländer und Engländerinnen sich herumtreiben, erst in den Fremdetablissements und nun auch sogar in den Schulen eingeführt». Gespielt wird damals beim Schützenhaus, wie der Verfasser schreibt.

Nicht nur dort müssen sich die Fusballfreunde Anfeindungen gefallen lassen: In der Geschichte des FC Feuerthalen heisst es: «Als anno 1897 der Name FC Feuerthalen zum ersten Mal zu hören war, und die Spieler auf dem Platz beim alten Schulhaus ihrem Sport huldigten, mussten sie öfters die Flucht vor dem Zorn der Grundeigentümer ergreifen.»

Ein Fussball aus dem Jahr 1920. Bild: Stadtarchiv Schaffhausen

Fussball sei eine «simpelhafte Kinderei», schreiben die Schaffhauser Nachrichten am 1. Juni 1899. Es stimmte wohl, wenn die SN im Jahr 1900 selbstkritisch schrieb, dass sie nicht «besonders Freund des Fußballspiels» sei. Trotzdem gründen sich zu dieser Zeit auch die ersten Vereine in Schaffhausen. Der starke, englische Einfluss ist dabei immer noch zu spüren: So wird der Vorgänger des FC Schaffhausen anfänglich «Football Club Victoria» genannt. In Zürich tagt die «schweizerische Football-Association».

Dass der Fussball in Schaffhausen überhaupt Fuss fassen kann, liegt an einigen Wenigen, die sich für diesen Sport einsetzten – vor allem an der örtlichen Kantonsschule gab es viele Freunde des Ballsports. Diese gründeten dann auch im Jahr 1890 den ersten Fussballclub in Schaffhausen: Den FC Gymnasium. Die Männer waren dabei ziemlich erfolgreich: 1902 gewannen sie in der Serie C (27 Klubs) der «Schweizerischen Football-Association» (SFA) den Titel «Champion der Schweiz».

Die «Väter» des Schaffhauser Fussballs

Zwei Spieler dieses Clubs muss man dabei besonders hervorheben: Einer war Jakob «Chöbi» Walter, denn dieser spielte in späteren Jahren sogar für die frisch gegründete Schweizer Nationalmannschaft – wenn auch wenig erfolgreich. So stand er im Jahr 1908 gegen Frankreich auf dem Platz – die Schweiz verlor mit 1:2 – und wurde auch im Jahr 1909 in einem Länderspiel gegen England mit seiner Mannschaft mit 0:9 vom Platz gefegt. Aber auch ein weiterer Fussballverrückter Gymnasiast aus Schaffhausen darf nicht unerwähnt bleiben. Dieser war Henri Doll. Doll wurde 1877 in Mulhouse als Sohn einer Schaffhauserin geboren und trat später ins Gymnasium ein. Nach seiner Zeit in Schaffhausen begann er in Zürich an der ETH zu studieren und wurde Schweizer Meister mit den Grashoppers Zürich (1898 und 1900).

Aber auch abseits des Fussballplatzes machte der Mann auf sich aufmerksam: So wurde er im Jahr 1899/1900 Zentralpräsident die «Schweizerische Football-Association». Immer wieder, sowohl auf dem Platz als auch daneben, setzt er sich für die Belange des FC Gymnasium ein. Das war auch nötig, wurde der Sport zu seiner Zeit doch als «Lümmelei» oder «Unsinn» bezeichnet.

Der FC Schaffhausen, damals noch FC Victoria, beim Fussballspielen ungefähr 1896. Bild: Stadtarchiv

Wie das aussehen konnte, wenn sich die Gymnasiasten wehrten, sieht man in der SN vom 02. Juni 1900. Dort äusserte sich der Präsident des FC Gymnasium wie folgt: «Niemand kann […] den Fussballsport eine Lümmelei nennen, weil das Spiel bisweilen Wirkungen hervorbringt, die das Unterste zu Oberst kehren. Grobes, lümmelhaftes Benehmen der Mitglieder des Fussballklubs beim Spiel, oder außerhalb desselben würde ebenso wohl einem Proteste von Seite der Lehrer, als auch aus dem Schoße des Vereins rufen und wahrscheinlich die Bedingung zur Aufhebung des Vereins sein. Nun aber ist der Fussballklub Gymnasium seit den 10 Jahren seines Bestehens nicht aus den Fugen gegangen, was wohl der sicherste Beweis dafür ist, dass seine Mitglieder die Formel des Anstandes nie verletzt haben». 

Viere Jahre zuvor, entstand im Jahr 1896 übrigens der bis heute erfolgreichste Fussball-Club in der Region. Im Wirtshaus Fortuna, gelegen beim Bahnhof, gründete sich der «Football-Club Victoria» - der Vorläufer des FC Schaffhausen – ausschlaggebend dafür: Wieder ein Gymnasiast.

Die Mannschaft des späteren FCS. Bild: Stadtarchiv Schaffhausen

Über die Jahre wurde der Fussball dann aber auch langsam anerkannt, was auch mit der Akzeptanz in der gesamten Schweiz zu tun hatte. 1901 tritt der FC Victoria der schweizerischen Football-Association bei und auch das Verbot der Stadt Schaffhausen im Jahr 1902, welches Fussballspiele auf dem öffentlichen Grund verbot, hält den Siegeszug des Ballsports nicht auf. 1920 wurde von der Stadt offiziell ein Stück Land für den Spielbetrieb zur Verfügung gestellt – und schon wenige Jahre später sammelten sich hunderte Menschen am Rand Spielfeldrand, wenn der FC spielte.

Der Fussball war in Schaffhausen angekommen.

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