200 Kämpfer auf dem Herrenacker: Ein Ritterturnier in Schaffhausen

Ralph Denzel | 
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Kein Turnier im deutschsprachigen Raum ist so gut dokumentiert wie das Turnier in Schaffhausen im Jahr 1436. Bild: Wikimedia

Im Jahr 1436 kommt es in Schaffhausen zu einem grossen Ritterturnier auf dem Herrenacker. Neben Ruhm und Ehre war das Turnier geprägt von Rache, Gewalt und Ausschweifung.

Die reich verzierten Helme schimmern leicht im Abendlicht, während die Schaffhauser Bevölkerung daran vorbeischreitet. Es ist die Fasnachtszeit im Jahr 1436 und die Stadt ist in Aufruhr: Ein grosses Ritterturnier wird stattfinden.

Dafür stellen alle teilnehmenden Ritter ihre Helme in der Stadt aus. Es ist eine Tradition vor grossen Turnieren. Man zeigt, wer man ist und was man hat. Knapp 200 Ritter aus Schwaben, Bayern, Franken und dem Rheinland haben sich in Schaffhausen eingefunden um sich gegeneinander zu messen.

Plötzlich herrscht Aufruhr und es scheppert laut durch die alten Gassen: Der Helm des Basler Ritters Henman Seevogel wird mit lauten Klirren in den Dreck geworfen. Damit ist er vom Turnier ausgeschlossen. Entschieden haben dies Turnierrichter, die beim Emporkömmling aus Basel eine Verfehlung gesehen haben. Welche, ist nicht überliefert. Vielleicht kann er die Turniergebühr nicht zahlen, vielleicht wurde ihm Raubrittertum nachgesagt, oder vielleicht hat er den Herold, der ihn vor einigen Monaten nach Schaffhausen lud, schlecht behandelt. Klar ist: Er verhielt sich unritterlich und darf dafür nicht am Turnier teilnehmen.

Um das allen zu zeigen, wird sein Helm in den Dreck geschmissen – eine Schande und Demütigung für den Ritter.

Die anderen Anwesenden vergessen dies jedoch schnell: Am Abend ist im Rathaus ein Bankett und ein Tanz angekündigt. Noch einmal feiern, ehe man sich am nächsten Tag im Zweikampf misst.

Kein anderes Turnier im deutschsprachigen Raum wurde so gut dokumentiert wie das Turnier zu Schaffhausen im Jahr 1436. Wir nehmen sie mit in die Zeit der Ritter und Burgfrauen, als man sich in der Stadt zu Pferde, im Zweikampf und in anderen Disziplinen misst. Eine Zeit, in der das Mittelalter sich von seiner «zivilisierteren» Seite zeigt: Edelmänner, die nach strengen Regeln gegeneinander antreten.

Spanier begeistert von Turnier

Die gute Quellenlage verdanken wir zwei spanischen Gesandten, die während des Turniers in Basel am Konzil teilnehmen. Dieses findet von 1431 – 1449 statt. Die Berichte der beiden Spanier ist dabei ein Glücksfall, denn: heimische Quellen aus der damaligen Zeit erzählen zwar ebenfalls von dem Turnier, aber bei weitem nicht so ausführlich wie die Gesandten.

So bietet sich ein ungeahnter Blick auf dieses Grossereignis, welches schon seit «Jahrhunderten» in der Stadt ausgefochten werden soll.

Der Hintergrund für solche Veranstaltungen ist dabei laut Quellen auch ein erzieherischer: «Die Edelleute leben in ihren Burgen und festen Häusern und wenn sie [sich] nicht zu solchen Gelegenheiten versammeln könnten, so würden sie weder unter sich noch mit den Gesetzen des Rittertums bekannt», so eine Quelle. Aber nicht nur die Tugenden, die ein Ritter verinnerlicht haben soll, sind dabei zu beachten. Wie das obrige Beispiel zeigt, dienen diese Turniere auch dazu «dass die Edelleute gezüchtig werden, die ein schlechtes und unehrenhaftes Leben führen.»

Der Lanzenkampf, auch Tjost genannt, ist die Paradedisziplin bei der Veranstaltung. Bild: Wikimedia

Auch dienen Turniere, ebenfalls laut dieser Quelle, als Ort wo «Freundschaften geschlossen [werden] unter denen, die anderswo im Streite lagen.»

Schaffhausen, damals eine freie Reichsstadt, bietet sich perfekt für solch eine Veranstaltung an. Durch ihren Status ist die Stadt neutral und bietet, auch durch die Lage, die perfekten Austragungsort. So soll die Stadt damals 25 Herbergen gehabt haben, ist über den Rhein leicht zu erreichen und bietet damals einen grossen Festsaal und natürlich mit dem Herrenacker den perfekten Austragungsort für das Turnier.

Schaffhausen ist der perfekte Austragungsort für das Turnier. Bild: Stadtarchiv Schaffhausen

Das Turnier beginnt

Los geht es am Fasnachtsamstag und Sonntag, mit der Ankunft der Ritter. Diese beginnen ihre Helme in zwei speziell dafür ausgesuchten Häusern zu präsentieren. Es geht um Prestige und um Darstellung der eigenen Stärke. Helme sind zu dieser Zeit sehr teuer und desto reicher diese verziert sind, desto mehr kann man auf die Macht des Ritters schliessen. Getragen werden sie eigentlich nur noch zu Turnieren, wie dem in Schaffhausen: Zu schwer sind die aus Metall gefertigten Helme, um damit eine Schlacht zu überstehen.

Am Turnier jedoch, im Kampf Mann gegen Mann auf dem Pferd und mit der Lanze, sind sie unersetzlich. Wenn ein Gegner nicht richtig zielt, kann der Helm den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.

Am Montag dann geht das eigentliche Turnier los. Am ersten Tag steht der Lanzenkampf an. 15 Ritter treten gegeneinander an. Gleichzeitig kommt, es heute auch zu den ersten Anklagen gegen das ritterliche Verhalten. Die Richter sind dabei gewählte Edeldamen. Dort erwischt es dann eben auch den Basler Ritter Hennman Seevogel. Weitere Bestrafungen werden am nächsten Tag folgen.

200 Kämpfer auf dem Herrenacker

Der Fasnachtsdienstag hat es dann in sich: An diesem Tag kommt es zu einem Massenkampf. 200 Mann, plus Wappenknechte stehen sich gegenüber. In der Mitte ist ein Seil gespannt. Als dieses gekappt wird, stürmen diese aufeinander los. Vorneweg: Die Ritter zu Pferde, die einander durchreiten und mit Streitkolben aufeinander einschlagen. Man kann es getrost als eine Art Massenschlägerei bezeichnen – nur geordneter und strengen Regeln folgenden.

Als dieses Spektakel vorbei ist, so beschreiben es die Quellen, begann «ein jeder nach denen anzuschauen, die gezüchtigt werden sollten.» Die Edeldamen haben einen weiteren Ritter ausgemacht, der sich unritterlich benommen hat: Dieses Mal trifft es laut den Quellen den Markgrafen Wilhelm von Baden Hochbergen. Dieser hat seine Frau verlassen und lebt mit einer anderen zusammen. Ein Ehrbruch, der nicht ohne Folgen bleiben kann – und diese fallen brutal aus. Der Treulose wird laut Quellen so lange vor den Augen seiner verschmähten Gattin verprügelt, bis diese entscheidet, dass es genug ist.

Den Edeldamen kamen beim Turnier eine besondere Rolle zu. Bild: Wikimedia

Das ist nicht der einzige Zwischenfall, den es in Schaffhausen geben wird. Ein anderer Ritter soll als Strafe ebenfalls so heftig verprügelt worden sein, dass er beinahe gestorben wäre.

Der Historiker Peter Jezler kennt dabei noch andere Strafen: Nicht körperlich, aber finanziell schmerzhaft ist zum Beispiel das «Schrankensetzen»: dabei werden den Rittern die Rüstung abgenommen und das Pferd mitsamt Saumzeug abgenommen. Das Turnier ist für ihn vorbei – und eine grosse Summe Geld ist weg.

Nicht schmerzhaft, aber teuer: Einem Ritter wird die Turnierrüstung weggenommen. Bild: Wikimedia

Den Abend beschliessen die Ritter im sogenannten Nachtturnier. Dort kämpfen sie mit stumpfen Waffen und versuchen, die «Kopfzierde», also den Schmuck auf dem Helm, abzuschlagen. Dieser Teil ist besonders gefährlich und zeigt, wie wichtig der Helm ist, denn: auch mit dem stumpfen Schwert kann man den Gegner massiv verletzten.

Fasnachtsdienstag: Trotz Ehrung ein Verlierer

Am letzten Tag des Turniers kommt es zum «Highlight»: Das Lanzenstechen, also die Disziplin, in der die Ritter mit erhobenen Lanzen zu Pferd aufeinander zureiten. 30 Ritter treten an. Die Quellen sind dabei nicht eindeutig, wie viele letztlich aus dem Sattel gehoben werden. Es ist anzunehmen, dass es zwischen 13 und 14 sind.

Zum Sieger werden dabei die bestimmt, die am meisten Gegner besiegen konnten – oder, die man demütigen will, so wie den Ritter Heinrich von Ramstein. Dieser wird während des Turniers aus dem Sattel geworfen, wird aber später mit einem Trostpreis, also einem Preis für das Lanzenstechen ausgezeichnet. Pikant: Den Preis, den der Ritter erhält, ist normalerweise Knechten vorenthalten und nicht Rittern. Der Grund für die Schmach ist laut Quellen dass Heinrich vom Ramstein mit einer Bürgerlichen verheiratet sei.

Während Turnieren galten strenge Regeln, die in der wirklichen Welt kaum mehr Anwendung fanden. Bild: Pixabay

Damit endet das Turnier von Schaffhausen. Die Ritter ziehen zurück zu ihren Burgen und führen ihre Leben. Manche wenden sich dem Raubrittertum zu, andere kommen zu Wohlstand und Titeln. Wieder andere fallen in Kriegen.

Ein Turnier ist ein künstlicher Ort – mit eigenen Regeln und Verhaltenskodexen. Für uns ist es wie ein Blick auf die schönen Seiten des Mittelalters, mit Burgfrauen, Tapferkeit und Ehre. Nach dem Turnier ist davon aber selten noch etwas übrig und das Mittelalter zeigt sich wieder von seiner dreckigen Seite.

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