Adventskalender: Freude in der Weihnachtszeit oder Last am Jahresende?

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Adventskalender sind etwas Schönes – wenn man sie geschenkt bekommt. Doch ist der Trend hin zu selbst gemachten Adventskalendern für Erwachsene mehr Lust oder Frust?

Pro

Von Alexa Scherrer, Leitung Online

Es ist eine Minute nach Mitternacht am 1. Dezember. Neben mir steht ein erwachsener Mann. Zumindest sieht er von aussen so aus. Gibt man einem Erwachsenen einen Adventskalender in die Hand, steht man nämlich innert Sekunden dessen innerem Kind gegenüber. Die Augen leuchten, die Stimme ist vor freudiger Nervosität eine Oktave höher als sonst.

Alles, was einem als Kind schon gefallen hat, macht einem als Erwachsener erst richtig Spass. Die nächsten 24 Tage wird er jeden Tag eines der Päckli öffnen, die ich für seinen Adventskalender zusammengesucht habe. Sackweise habe ich passendes Geschenkpapier und der Person entsprechendes Dekomaterial eingekauft – Zuckerstangen, beleuchtete Laternli, mit Kunstschnee berieselte Mini-Tannenbäume, Christbaumschmuck in der Lieblingsfarbe des Empfängers. Jedes Jahr bastle ich individualisierte Adventskalenderausgaben – ein riesiger Aufwand, der sich lohnt. «Kommerz!», höre ich sofort die ersten Weihnachtsverteufler rufen. Dann verpackt halt zwischendurch mal einen Gutschein für eine Umarmung oder zählt dem Empfänger am 11. Dezember elf Dinge auf, die ihr an ihm mögt. Problem gelöst.

Adventskalender bringen einem einander näher. Um 24 passende Geschenke für jemanden zu finden, muss man sich intensiv mit einer Person auseinandersetzen, die man bereits sehr gut kennt – und erinnert sich dadurch unweigerlich an all die lustigen und schönen Erinnerungen, die man seit dem vergangenen Dezember zusammen erschaffen hat. Die Portion Kitsch, die es zu Weihnachten braucht, ist somit mehr als vorhanden. Und auch für mich bringt die Bastelei Vorteile: Geschenkpapier zurechtschneiden, passende Dekoration aufkleben, ­unförmige Geschenke zu schönen Päckli schnüren – das hat etwas sehr Meditatives. Das Argument, Adventskalender basteln sei in der ohnehin schon stressigen Weihnachtszeit eine Zusatzbelastung: widerlegt.

Man darf sich über vieles aufregen – auch an Weihnachten. Aber wer jemals die leuchtenden Augen eines Erwachsenen gesehen hat, der extra aufbleibt, damit er eine Minute nach Mitternacht das nächste «Türchen» aufmachen darf, der wird freiwillig schweigen.

Contra

Von Maria Gerhard, Redaktorin Zentrum

Jedes Jahr falle ich wieder darauf rein, auf dieses Es-war-doch-einmal-so-schön. Ich will mir die Weihnachtszeit zurückholen, als ich etwa fünf Jahre alt war: angefangen vom Plätzchenpacken bis zum Dekorieren mit Mistelzweigen aus dem Wald. Da kommt mir auch noch die glorreiche Idee, für Freundinnen einen Adventskalender zu basteln. So sitze ich an einem Sonntagnachmittag auf dem Fussboden und versuche mit einem Messer einen goldenen Stern, den ich per Hand mit «23» beziffert habe, vom Parkett zu kratzen. Und stelle fest: Wer den Sekundenkleber erfunden hat, hat einen richtig guten Job gemacht. Ich brauche dringend eine Pause.

Weil wir über das Jahr verteilt nicht genug Stress haben, laden wir uns zu Weihnachten noch mehr davon auf: ein Crescendo, das langsam anschwillt und meist ausgerechnet an Heiligabend mit einem dröhnenden Paukenschlag endet. Warum tun wir uns das an? Es wird nicht mehr wie einst! Wir sind erwachsen, und auch wenn wir jeden Tag ein Türchen öffnen, kommt dieses heimliche, mystische Gefühl des Unbekannten, das mit den Adventstagen näher zu rücken scheint, nicht mehr auf.

Das Traurigste daran: Mit unseren Sehnsüchten lassen wir uns auch noch schamlos ausnutzen. Der internationale Süsswarenhandelsverband Sweet Gobal Network meldete, dass mehr Weihnachtskalender für Erwachsene als für Kinder verkauft werden. Liegt ein Standard-Schokoladenkalender bei 6 Franken, kostet die Version für Erwachsene schnell 100 Franken und mehr.

Bier-, Whisky- und Wurstkalender sind dabei noch am normalsten. Als «stimulierend» beschreibt ein Hersteller seinen Erotik-Adventskalender. Auf der Front ist eine Frau im BH zu sehen, ein Mann mit nacktem Oberkörper beugt sich über sie. Mit Vibratoren soll die Kuschelzeit noch kuscheliger werden. Und für die, die im Kuscheln fortgeschrittener sind – also mit Ledermaske und so –, gibt es die Premium-Edition. Da kann man nur noch sagen: O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit!

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