Schlagermusik: Echte Lebensfreude oder musikalische Mogelpackung?

Schaffhauser Nachrichten | 
1 Kommentar

Man hört ihn vor allem am Oktoberfest, aber auch im Radio. Ist deutschsprachiger Schlager schlicht der passende Soundtrack für unbeschwerte Stunden oder melodiöse Dutzendware?

Pro

Von Maria Gerhard, Redaktorin Zentrum

«Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde …» Und wie geht es weiter? Kommen Sie, singen Sie es laut heraus, Sie wissen es doch! Schlager, ob am Ballermann, im Karneval oder auf der Ü-30-Party, haben einen weiten Wirkungskreis. Und doch verhält es sich mit ihnen so: Von den einen werden sie geliebt, von den anderen als zu oberflächlich, zu klischeebeladen, zu massentauglich verdammt. Und trotzdem kann jeder hier und jetzt anstimmen: «Schön ist es, auf der Welt zu sein, sagt die Biene zu dem Stachelschwein …» Ich plädiere daher für ein weniger verkrampftes Verhältnis zum Schlager!

Musikwissenschaftlich gesehen gibt es keine eindeutige Definition für den Schlager. Mit Ausdrücken wie «schwer zu beschreiben», «schwierig» oder auch «unmöglich» fällt es Musikautoren immer wieder nicht leicht, den Schlager in eine Schublade zu stecken. Der Begriff Schlager ist letztlich ein Synonym zum englischsprachigen Hit. Und das sagt doch schon alles: Etwas, das über Jahrzehnte so erfolgreich ist und Menschen über Grenzen hinweg verbindet, kann so schlecht doch gar nicht sein.

Schliesslich haben Schlager eine längere Tradition, als Helene Fischer und Co. wohl zunächst vermuten lassen. Kein Geringerer als der Walzerkönig himself, Johann Strauss (wie auch sein Herr Papa), hat den Schlager etabliert. In seiner Operette «Die Fledermaus» gibt es viele dieser Lieder, die auch voll von Lebensweisheit – jaa – sind. So heisst es in «Trinke Liebchen, trinke schnell» in einer Zeile: «Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.» Und ganz Wien tanzte dazu. «Die Fledermaus» ist übrigens heute noch beliebt an Opernhäusern und wurde im Januar auch in Schaffhausen aufgeführt.

Nach einem etwas düsteren Kapitel in der Zeit des Nationalsozialismus, in der Schlager etwa zu Propagandazwecken eingesetzt wurden, waren sie während der Nachkriegszeit vor allem auch ein Symbol für den Aufschwung, die Lebensfreude und die Sehnsucht nach der Weite. Und wer denkt bei der tiefen, tragenden Stimme von Freddy Quinn nicht auch heute noch gerne ans Meer, an die Schiffe, die Wellen, an Rio und Schanghai? Auch das können Schlager: Sie entrücken uns für einen Moment dem Alltag.

Ihr grösster Vorteil ist jedoch: Wenn Alexandra nicht gerade von toten Bäumen singt oder Conny Kramer zu viele Joints dreht, sind Schlager mit ihren eingängigen Melodien einfach Gute-Laune-Musik! Und was bitte kann man jetzt gegen gute Laune haben?

Contra

Von Daniel Jung, Redaktor Stadt

Musik ist Geschmackssache. Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Menschen an Melodien und Rhythmus Freude haben, dazu tanzen und aus voller Kehle mitsingen. Aber muss es wirklich Schlager sein?

«Hulapalu» heisst ein Hit des Österreichers Andreas Gabalier. Der Refrain dieses im steirischen Dialekt gehaltenen Liedes lautet: «Wos is denn Hulapalu, wos kead denn do dazu? / Mocht ma beim Hulapalu vielleicht die Augen zu? / Kann ma beim Hulapalu die Steandal sehn? / Sog mia, wie sui des gehn?» Wie so oft im Schlager geht es in diesem Hit um «das eine», und das auf ziemlich dumpfe Art und Weise.

Gabalier bezeichnet sich selbst ja nicht als Schlagersänger, sondern als «Volks-Rock ’n’ Roller», weil er neben Lederhosen auch gerne Lederjacken trägt. Er ist zweifelsohne ein gut aussehender und geschäftstüchtiger Mann, der auch noch singen kann. Trotzdem steht seine Musik exemplarisch für vieles, was im modernen deutschsprachigen Schlager faul ist – und das sind nicht nur die vorgefertigten Discobeats, die der Schlager vom Technopop der 90er übernommen hat. Dass Gabalier in seinen Texten gerne einmal «zu» auf «dazu» reimt, ist unschön, aber nicht auffällig, sind moderne Schlager doch oft recht nachlässig getextet und voller Wortwiederholungen, wie etwa die Zeile «Fall in meine Arme, und der Fallschirm geht auf, oho, oho» aus Helene Fischers Riesenhit «Atemlos».

Viel schwerer wiegen die Klischees, welche die modernen Schlager wiederholen. In jedem zweiten Lied von Gabalier kommen Sterne und Engel vor, die etwas Sentimentalität stiften, bevor es dann wieder sehr saftig-körperlich wird. Der Schlager hat dabei ein recht seltsames Verhältnis zur Sexualität, wenn die Frauen meist möglichst jung und unschuldig, aber auch willig sind – wie bei «Zehn nackte Friseusen» von Mickie Krause. Gleichzeitig war in den Texten stets früher alles besser, und auf dem Land sind die Menschen gut, in der Stadt dagegen kaltherzig.

Natürlich ist auch die Popmusik voller dümmlicher Texte, und über die Inhalte gewisser Hip-Hop-Stücke wurde in Schaffhausen in diesem Frühling schon intensiv diskutiert. Unterhaltungsmusik braucht keine anspruchsvollen Texte, klar. Beim Schlager aber, wo der Gesang unüberhörbar im Mittelpunkt steht, kann man die Worte einfach nicht ignorieren. So kommt bei mir keine Feierlaune auf, wenn Sentimentalität, Sex und Heimatliebe zu einem süffigen Gebräu vermischt werden.

Kommentare (1)

Ulrich Böhni Mi 10.10.2018 - 07:11

Die Meinung von Daniel Jung ist ja nichts anderes als konsequentes Handeln gegenüber fragwürdigen Inhalten - insofern wäre ihm zuzustimmen. Nur muss man aufpassen, dass man nicht aus einer Sache ein "Pars pro toto" macht - will heissen in einer bestimmten Sache ist man äusserst konsequent (weil es ev. einfacher ist, da man Schlager ohnehin nicht so mag . . . ?), während bei vielen anderen mindestens so bedenklichen Tatsachen das heute gesellschaftlich übliche "Wegschauen" zelebriert wird: Jeans aus China/Bangladesh etc. stammen aus einer schwer gesundheitsschädigenden Arbeit (von der Umwelt nicht zu reden) - aber billig muss es sein. Oder für fast alle billigen Möbel werden Urwaldholz-Spanplatten verwendet. Die Frage ist also, wo soll man hin- und wo wegschauen ?? Also Vorsicht mit allzu tiefgründiger Konsequenz an einem isolierten Thema. Ueli Böhni/Stein am Rhein

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