Karte statt Bargeld: Erleichterung oder Kontrollverlust?

Schaffhauser Nachrichten | 
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Ist das ­moderne Bezahlen mit der Plastikkarte oder mit dem Smartphone wirklich eine Verbesserung, oder haben Noten und Münzen auch ­weiterhin ihre ­Berechtigung? Zwei Autoren, zwei Meinungen.

Pro

Von Maria Gerhard, Redaktorin Zentrum

Sie passt in jede noch so kleine Handtasche und strahlt auch noch an Regentagen: Meine sonnengelbe Bankkarte ist mein liebstes Accessoire. Was haben wir schon für herrliche Stunden gemeinsam verbracht! Wir haben Supermarktregale unsicher gemacht, in guten Restaurants diniert oder sind mit prall gefüllten Taschen aus Schuhgeschäften geschlendert. Am Abnutzungsgrad ihres Plastiks kann man erkennen: Ich bin eine bekennende Kartenzahlerin! Karte zücken, Pin eingeben, et voilà, der Zahlvorgang ist abgeschlossen. Und das ist wohl auch ihre beste Eigenschaft: Es geht schnell. Vorbei die Zeiten, in denen man nach dem Kleingeld kramte, während die Bedienung in der Beiz mit den Füssen scharrte oder man, bevor man mit den Kollegen zum Mittagessen ging, noch schnell zum Geldautomaten geeilt war. Und heute, wo man die Karte oft nur noch an den Kartenzähler halten muss, geht es sogar noch schneller.

Oft heisst es, Geldausgeben falle per Karte leichter. Wohingegen ein Blick in den leerer werdenden Geldbeutel dazu führe, dass man sich so manchen Einkauf verkneife. Am Ende ist das wohl eher ein Trugschluss. ­Erstens bietet auch hier die Moderne eine gute Lösung: Verbindet man sein Onlinekonto mit dem Handy, hat man einen steten Einblick, gleichzeitig kann man sich per SMS Warnungen zusenden lassen, wenn ein gewisser Saldo unterschritten wird. Zweitens: Disziplin braucht es so oder so! Hinzukommt, dass ich bei Kartenzahlung am Monatsende auf meinem Konto genau nachvollziehen kann, wofür ich Geld ausgegeben habe. Ich kann also den Finger auf die Wunde legen, falls nötig. Wer aber mit vollem Portemonnaie in den Ausgang geht und sich am Tag darauf wundert, wo die Franken geblieben sind, wird sich allenfalls verwundert fragen: Hab ich da was verloren?

Klar, bei vielen besteht auch die Angst, zu einem «gläsernen Kunden» zu werden: Natürlich wissen die Dienstleister für bargeldlosen Zahlungsverkehr, wo, wie viel, mit welcher Karte bezahlt wurde. Aber wie die Kunden heissen oder wo sie wohnen, sollten nur die Banken wissen. Wer indes im Internet einkauft oder etwa die Cumulus-Karte benutzt, gibt deutlich mehr preis von sich. Oder warum fallen die Vorteilcoupons sonst so individuell aus?

Es gibt natürlich schon auch Tage, an denen die Freundschaft zwischen mir und meiner Bankkarte kränkelt, meist dann, wenn das Geld langsam zur Neige geht. Aber sobald das nächste Gehalt überwiesen wird, strahlt sie wieder, die Gute.

Contra

Von Mark Liebenberg, Redaktor Kanton

«Bargeld ist geprägte Freiheit», sagte Fjodor Dostojewski einst. Nun gut, Herr Dostojewski machte nie die ­bequeme Erfahrung, die Zutaten für seinen Borschtsch an der Kasse im Supermarkt mit der Postfinance-Karte zahlen zu können oder einen Flug und das Hotelzimmer online mit der Kreditkarte zu buchen. Dennoch führt uns das heraufziehende bargeldlose Zeitalter in die Unfreiheit. Wer seine Ausgaben überwiegend mit der Plastikkarte ­tätigt, wird in einer ganz bestimmten Hinsicht unfrei: Mit jeder digital erfassten Transaktion hinterlassen wir Spuren, die potenziell auch von Leuten gelesen werden können, von denen wir nicht wollen können, dass sie dies tun. Man muss kein ­Paranoiker sein, aber allein die technische Möglichkeit, dass jemand die Fährte aufnehmen und so Einsicht in unsere Lebensgewohnheiten, ­unsere Kaufentscheidungen und unsere Einkommensverhältnisse ­gewinnt, lässt einen doch ein wenig erschauern, nicht? Und macht uns die hypothetische Gewissheit, dass unsere intimen Daten missbraucht werden könnten, nicht allein schon ein wenig unfreier? Mit Blick auf Bestrebungen im Ausland, wo das ­Bargeld ganz abgeschafft oder bald nur noch zu geringen Beträgen als Zahlungsmittel erlaubt sein könnte, stellt sich grundsätzlich die Frage: Warum will ein Staatswesen seine Bürger so gläsern wie möglich halten – und zu welchem Zweck? Mir fallen keine ­guten Antworten ein.

Es gibt aber einen viel einfacheren Grund, weshalb Geld in Form von Banknoten und Münzen kein Auslaufmodell ist: Hat nicht unsere Generation im Umgang mit Bargeld noch gelernt, was Geld überhaupt ist, dass es nicht auf Bäumen wächst, dass man wissen sollte, wie viel davon im Portemonnaie oder auf dem Konto ist, bevor man es ausgibt – und dass es schnell zur Neige gehen kann? Bargeld, das ist für mich noch heute im Alltag Ausgaben- und Budgetkontrolle pur. Der Betrag X, den ich am morgen dem Bancomaten entziehe, soll für den Tag reichen. Wenn am Abend im Portemonnaie noch etwas übrig bleibt, umso schöner. Wenn nicht: auch gut. Gewissermassen das Antidotum für die vielen täglichen Verlockungen unserer Konsumgesellschaft (und ich persönlich möchte in keiner anderen ­leben) ist: Selbstdisziplin. Ein impulsiver Einkauf per Mausklick oder per Handy ist (zu) schnell getätigt. Wüsste Dostojewski, dass immer mehr junge Menschen in der Schweiz plötzlich mit Schulden von mehreren Zehntausend Franken dastehen, würde er sich wohl nachdenklich am Bart kratzen.

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