Sie haben da mal eine Frage

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Eva-Maria Brunner schreibt über Fragen und Antworten. Bild: SN-Archiv

Eva-Maria Brunner über Antworten, die reifen müssen.

Es gibt die einfachen Fragen: «Darf ich ohne Jacke nach draussen?» «Bekomme ich einen zweiten Hotdog?» Die Konsequenzen meiner Entscheidungen sind überschaubar und voraussichtlich von kurzer Dauer. Ein frierender Sohn, ein flauer Magen. Dann gibt es aber auch diejenigen Fragen, welche etwas ­anspruchsvoller sind. Erlauben wir der vierzehnjährigen Tochter, mit ihrer Freundin nach Zürich zum Shoppen zu fahren? («Mein grösster Geburtstagswunsch!») Wie lange dürfen die Kinder an Halloween um die Häuser ziehen und sponsere ich ein Kostüm oder verweise ich auf die Kiste mit Leintüchern und eingetrockneter Theaterschminke? Dann gibt es noch die Königsklasse der Fragen, Modell «Schlaflose Nächte»: Welcher Schultyp ist für unser Kind der geeignetste? Wie sehr greife ich bei der Berufswahl ein? Welche Konflikte lasse ich sie selbstständig lösen und wo ist auch bei Teenagern das Eingreifen der Eltern angemessen?

Ein aktuelles Beispiel der Komplexitätsstufe 2: die «Causa Bus-Abo». Pünktchen legt ihren Schulweg meist zu Fuss zurück. Für ihre Hobbys nimmt sie den Bus. Oder für Treffen mit Freundinnen, Einkäufe in der Stadt, Lerngruppen in der Bibliothek. Die Notwendigkeit eines Bus-Abos nahm in den Augen unserer Tochter exponentiell zu. Vorträge über die Freuden des Fahrradfahrens und in den Alltag integrierten Sport, die Kosten, fruchteten – sie ahnen es längst – kaum. Und wer Pünktchen kennt, weiss, dass sie eine knallharte Verhandlungspartnerin ist. Neue Argumente, hartnäckig und in ­regelmässigen Abständen vorgebracht, machten uns mürbe. Vor allem in Momenten, in denen ich eigentlich ­gedanklich mit etwas ganz anderem beschäftigt war, antwortete ich ungehalten und mit den immer gleichen Einwänden. Mein Mann, im Gegensatz zu mir nicht pädagogisch ausgebildet, sondern ein Naturtalent im Umgang mit Jugendlichen, erbat sich Zeit. Setzte sich hin und rechnete. Verglich Preise, schätzte ab, wie oft Pünktchen monatlich Bus fährt. Wir warteten ab, ob sie den Wunsch weiterhin äusserte und beschlossen dann, ihr das Abo zum Geburtstag zu schenken. Es war nicht das erste Geschenk, dessen Sinn wir nicht hundertprozentig nachvollziehen konnten. Aber eines derjenigen, das grosse Freude bei der Beschenkten weckte.

«Nicht auszudenken, wie schwerfällig wir wären, müsste jede elterliche Handlung tiefgehend durchdacht werden.»

Gemäss Studien fällen Lehrpersonen während einer einzigen Lektion bis zu 200 Entscheidungen. Oft innert ­Sekunden. Gruppen- oder Einzelarbeit? Gebe ich den Ball mit in die Pause? Nehme ich schon wieder Selma dran oder Carlo, der sich nie freiwillig meldet? Auch Kolleginnen haben Fragen, möchten Einschätzungen haben. Viele Entscheidungen treffen Lehr­personen routiniert, aufgrund ihrer ­Erfahrungen, ihres professionellen Wissens. Nicht auszudenken, wie schwerfällig wir ­wären, müsste jede ­elterliche oder pädagogische Handlung tiefgehend durchdacht und abgewogen werden. Es gibt aber immer wieder ­Situationen, in denen ich als Mutter oder heilpädagogische Lehrperson gut daran tue, mir Zeit auszubedingen. «Anton, diese Frage will ich in Ruhe mit Papa diskutieren.» «Pünktchen, lass mich darüber schlafen.» «Ich notiere mir deine Frage. Ich möchte in einem Fachbuch nachschlagen und bei der ­Logopädin nachfragen.» «Kinder, ich werde mir überlegen, ob wir die nächste Woche Zeit für eure Spielidee haben.» Die Angst, durch Nachdenken nicht kompetent zu wirken, ist meist unbegründet. Zeigt mein Verhalten doch, dass ich mein Gegenüber ernst nehme. Dass ich eine durchdachte Antwort ­geben will statt einer aus der Hüfte ­geschossenen Ansage. Bei komplexen Sachverhalten bin ich eine Wieder­käuerin, eine Brüterin. Das kann ­anstrengend sein. Manchmal muss ich mich für vorschnelle Urteile entschuldigen, nachjustieren. Und manchmal – juhee – geben sich Intuition und ­Reflexion die Hand.

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