Gruss aus der Ferne

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
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Eva-Maria Brunner schreibt in ihrer Kolumne «Kind und Kegel» über Familienferien.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, schlafe ich wahrscheinlich noch. Durch das gekippte Fenster dringt das Rauschen des Pazifiks, es duftet nach Harz. Ich träume von endlosen Kiefernwäldern, Schwarzbären und Buckelwalen. Ich werde unvorstellbare 10 000 Kilometer entfernt von zu Hause sein, eine Vorstellung, die mich mit grosser Vorfreude und leiser Panik erfüllt. Im nächsten Sommer wird Pünktchen voraussichtlich eine Lehre beginnen, und so wollen wir diesen Sommer, quasi nach der Pandemie und vor dem Berufseintritt, nutzen für die letzten grossen Familienferien. Eine eingefleischte Globetrotterin bin ich noch nie gewesen, aber mittlerweile bin ich richtig aus der Übung gekommen.

Ein grosses Familienabenteuer

Die Kleinkinderjahre verbrachten wir jeweils am Neuenburgersee, später zogen wir relativ spontan mit dem VW-Bus los; campen in den Schweizer Alpen oder eine italienische Insel als Ziel. Dies erforderte wenig Vorbereitung, Wetter und Laune gaben die Route vor. Unsere diesjährige Reise nach Westkanada erforderte da schon mehr an Planung. Seit Langem sassen wir wieder einmal in einem Reisebüro, planten Routen, verwarfen Ideen und schluckten leer. Spontaneität war ausgeschlossen, bereits im März gehörten wir quasi zu den «Spätbuchern», und das Loch, das in unsere Kasse gerissen wird, ist ähnlich gross wie unsere Flugscham. Und doch, wir freuen uns auf dieses Familienabenteuer. Zurückgeworfen auf unser kleines Quartett, zusammengeschweisst durch neue Erlebnisse und gute drei Wochen Zeit, die wir miteinander verbringen werden. Erwartungen an solche Ferien sind hoch, und manchmal braucht es einen Abgleich, wer denn eigentlich was unter einer gelungenen Reise versteht. Einer ist scharf auf Outlets und Sneakers, eine sagt «Hauptsache, nicht zu heiss». Eine schleppt kiloweise Bücher in die kanadische Wildnis, einer versucht die anderen Familienmitglieder zum Bungeejumping zu überreden. Dabei sollte uns eigentlich klar sein, dass Vorstellungen und Realität oft gerade in den von überhöhten Erwartungen besetzten Ferien weit auseinanderklaffen können. Unvergessen die Sommerferien, die wir mit dem Kleinkind am statt im Wasser verbrachten. Anstatt zu planschen, versteifte es sich darauf, den Strand ausschliesslich mit Socken zu betreten und dem unbekannten Gewässer fernzubleiben. Dann gab es den Hitzesommer an der Ostsee, bei dem wir in der Ferienwohnung die schattenspendenden Rollos erst am Tag der Abreise entdeckten. Oder das Gewitter, das den VW-Bus in den Walliser Alpen innert Minuten unter Wasser setzte. Alles nicht ideal, aber Erinnerungen, die bleiben. Das Ristorante im toskanischen Bergdorf, das in keinem Reiseführer stand, die wilden Kaninchen auf Rügen. Der Blick aus der Ferne auf Kate und William, der Sonnenuntergang am schwedischen See, an dessen Name sich keiner mehr erinnert – alles nicht geplant, sondern vor die Füsse gepurzelt. Und dankbar aufgehoben. Vielleicht bleiben solche Erlebnisse besonders stark in der Erinnerung, weil sie einem geschenkt wurden.

Als unsere Kinder noch kleiner waren, traf der Spruch «Ferien sind Alltag unter erschwerten Bedingungen» durchaus zu. Auch in den Ferien muss gewickelt werden, hungrige Kinder quengeln auch in den Bergen, und ausgeschlafen wird nicht länger, nur weil die Eltern seit Monaten auf eine kleine Auszeit hingefiebert haben. Mit grösseren Kindern wird Reisen entspannter. Sie packen ihre Koffer selbst, trauen sich allein aufs WC und, ja, ich gebe es zu – manchmal ist Medienzeit dem Seelenfrieden aller zuträglich.

Reibung bedeutet auch Wärme

Egal, wie seriös wir planen und was wir uns erhoffen: Wir werden viel erleben. Viel sehen, viel diskutieren. Rechts oder links? Wandern oder Kanu fahren? Burger oder Pizza? Shopping oder Museum? Wir werden Rituale entwickeln und Kompromisse aushandeln. Wir werden streiten und uns versöhnen. Denn Reibung bedeutet immer auch Wärme; wie auf dem Randen, so in den Rocky Mountains.

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