Der Siblinger Tausendsassa, der nicht «Nein» sagen kann

Roger Meier ist Steinbildhauermeister, Unternehmer, Inhaber diverser Ämter – ein echtes Multitalent eben. Seinen Heureka-Moment erlebte er in der sechsten Klasse vor dem Fernseher. Heute führt er mit Meier + Lehmann einen Betrieb, der weit über die klassische Steinbearbeitung hinausgeht und trotz Katerstimmung in der Branche floriert. Einblicke in das Leben eines faszinierenden Menschen und ein oft übersehenes Handwerk.
Die Angebotspalette der Firma Meier + Lehmann ist breit: Steinmetz, Bildhauer, Natursteinrenovationen, Restaurationen – und doch, spricht man mit Inhaber Roger Meier, wird sofort klar, dass da noch viel mehr ist. In Siblingen wird bei Bedarf auch mit Holz gearbeitet, Glas und Metall gegossen und gar das eigene Werkzeug geschmiedet. Warum er das alles selbst macht? «Weil ich so ein Gwunderfitz bin und alles lernen und können will.»
Seine Mitarbeiter sind mit demselben Virus infiziert, erklärt Meier: «Wir pröbeln extrem viel in der Werkstatt herum – aus purer Freude am Basteln. Wir sind einfach fasziniert von all den verschiedenen Möglichkeiten und spornen uns immer wieder gegenseitig an, etwas Neues auszuprobieren.»

Neugierde und Wissensdurst, die sich, trotz aller Experimente mit anderen Materialien, primär auf die Arbeit mit Stein richten. So ist Meiers Lagerhalle gefüllt mit unterschiedlichsten Arten von Steinen, Sand und Kies. Steht eine Restauration an, werden die passenden Steinchen zusammengesucht, um damit den perfekten Mörtel zu mischen. Dabei werden auch alte Natursteine mit neuen Produkten gemischt – oder ganz alte Herstellungsarten ausprobiert.

So besitzt Meier seit Kurzem Puzzolan-Erde aus Italien, die schon zum Bau des Pantheons benutzt wurde, wie jüngste Analysen zeigen. «Solche Dinge muss ich einfach selber in den Händen halten und ausprobieren», erklärt Meier.
Doch woher rührt die Leidenschaft des Steinbildhauermeisters, die den Siblingern ihren mittlerweile weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannten Meister bescherte? Die Geschichte beginnt, als Meier in der sechsten Klasse Fernsehen schaut. Es läuft ein Bericht über ein Bauprojekt am Kölner Dom, «wo sie an Steinen herumklopften. Da wusste ich, das will ich auch.»
Es sei die Faszination gewesen, dass der Mensch etwas so Hartes wie Stein so formbar machen könne. Eine Lehrstelle zu finden, erwies sich dann allerdings als gar nicht so einfach, da in diesem Arbeitsfeld Firmen dünn gesät waren. Doch schliesslich klappte es doch noch und er kam als letzter Lehrling beim illustren Hallauer Steinbildhauermeister C.C. Rahm unter.

Gleich zu Beginn seiner Lehre wird er zu den wichtigen Bauprojekten am Schaffhauser Münster und dem St. Johann geschickt und lernt dabei das Renovieren und Restaurieren von der Pike auf, da sich die Arbeiten an den Gebäuden über Jahre hinziehen. Dazwischen ist er auch immer wieder im Atelier von C.C. Rahm und lernt dort weitere Fertigkeiten seines Metiers kennen.

Sofort nach der Lehre machte sich Meier selbständig – zusammen mit einem Kollegen, den er von der Gewerbeschule her kennt. Die beiden starten bei null – mit ein paar Meisseln und einem VW-Bus für den Transport ihrer schweren Werke. «Man verdient sehr schlecht in diesem Beruf und wir hatten kein Erspartes.» Die Bank gewährte den beiden einen kleinen Kredit, aber «der Anfang war hart, sehr hart. Während etwa sieben Jahren musste ich mit einem Lohn von rund 500 Franken durchkommen und wohnte bei meinen Eltern.» Erst nach mehr als zehn Jahren konnte Meier von seiner Arbeit leben.

Immer wieder musste er auch Rückschläge einstecken, «etwas, das sich wie ein roter Faden durch mein Leben zieht», räsoniert Meier. Dies sei für ihn jedoch nie Grund zur Resignation gewesen, sondern habe ihn jeweils vielmehr dazu angespornt, einen Ausweg zu suchen und etwas Neues zu schaffen.
Diese Fähigkeit verschaffte ihm auch diverse Ämter und führte ihn zur Gründung verschiedener Firmen. Letztere seien jedoch immer aus einer Not heraus geboren worden, betont er. Zudem könne er einfach nicht «Nein» sagen. So bekleidet er heute neben dem Präsidium des Klettgauer Gewerbevereins auch das Amt des Vizepräsidenten des Kantonalen Gewerbeverbands.
Als der Siblinger Dorfladen schloss, fand er, das gehe doch nicht fürs Dorf und übernahm die Bauherrschaft für einen neuen Laden. Dasselbe Szenario wiederholte sich in der Gastronomie. Als das Dorfrestaurant Freihof 2021 aufgegeben wurde, entwickelte er zusammen mit seiner Frau die Idee des «Trämlis», das heute erfolgreich als Bistro betrieben wird.

Wie die Jungfrau zum Kind kam er auch zur Gründung einer Plattenlegerfirma. Dieses Projekt ist seiner Treue einem alten Freund gegenüber geschuldet, der ihn kurz vor seinem Tod bat, seinem Göttibueb doch beim Aufbau einer Firma zu helfen. «Mittlerweile betreibt er die zweitgrösste Plattenlegerfirma im Kanton», erklärt Meier nicht ohne Stolz.

Genau dieser Hartnäckigkeit und dem Wachstum an Schwierigkeiten schreibt Meier seinen heutigen Erfolg zu. Sein Geschäft laufe «enorm gut». Seit zwei, drei Jahren komme er mit den Aufträgen nicht mehr nach. Vor allem Aufträge im Bereich Gebäuderenovation hätten in den letzten Jahren stark zugenommen, was er der günstigen Zinslage zuschreibt: «Mit den heutigen Zinsen lohnt es sich, auch alte Gebäude zu renovieren oder zu restaurieren.»

So macht dieser Geschäftsbereich heute denn auch den Löwenanteil des Gesamtumsatzes aus, während der Umsatz im Bereich Grabmale einbricht – mittlerweile bis auf etwa 80 Prozent im Vergleich zu 2017. Dies, da die Anzahl Kremationen und die Bestattungen in Gemeinschaftsgräbern oder in der freien Natur enorm zugenommen haben. «Dieser Umstand ist für viele traditionelle Steinmetze heute existenzbedrohend», erklärt Meier.

Bei einer dermassen breiten Angebotspalette – was davon macht Meier am liebsten? «Je verrückter, desto lieber – je unmöglicher, desto besser.» Begeistert erzählt er von einer Restauration, die er vor Kurzem nach eineinhalb Jahren Einsatz beenden konnte. Es handelt sich dabei um eine unter Bundesschutz stehende Sandsteinbrücke in Appenzell, die von einem Pfeiler getragen wird, der unterspült im Fluss steht. Es musste also ein Weg gefunden werden, die Steine im Wasser zu ersetzen.
«Solche Projekte bescheren mir schon jeweils einige schlaflose Nächte», erzählt Meier. Dass sich dann dafür meist der Erfolg einstellt, zeigt just das genannte Beispiel. So hat der einfallsreiche Experte nach drei Jahren treuer Beratung des Bauamts Appenzell den Zuschlag für die Auftragsausführung schliesslich erhalten.

In der Region gilt Meiers Stolz vor allem dem Munot. Ganz besonders freute ihn die Entdeckung des Geheimgangs 1993, die ihm und seinem Team während der Arbeiten an der Sandsteinabdeckung zwischen den Kaponnieren im Untergeschoss des Wahrzeichens gelang.

Momentan jedoch ist er gerade enttäuscht von der Stadt. Der Grund: Seine Offerte für die Restaurierung der Munotzinne, die er zusammen mit anderen Schaffhauser Firmen einreichte, hat das Rennen nicht gemacht. Und dies, obwohl es sich bei allen Beteiligten um regionale Unternehmen handelte und die Offerte günstiger als diejenige der auswärtigen Konkurrenz war.
Alle lokalen Firmen, die zusammen mit Meier eingereicht hatten, konnten ein Eignungskriterium nicht erfüllen: Den Nachweis, dass sie während den letzten zehn Jahren einen Auftrag in Höhe von über einer halben Million Franken ausgeführt hatten, der denkmalpflegerisch begleitet worden war. Da es im Kanton jedoch gar keinen Auftrag in solcher Höhe gibt, konnte keine lokale Firma dieses Kriterium erfüllen und der Auftrag wurde nach Zürich vergeben, und zwar für mehr Geld.
Wie geht es weiter, wenn der 59-jährige Tausendsassa ans Kürzertreten denkt? Meier weiss es nicht. Natürlich ist es sein Wunsch, dass der Betrieb weitergeführt wird. Aber von den Angestellten wolle ihn niemand übernehmen – das sei alles zu viel Arbeit und Verantwortung. Und da heute fast keine Ausbildungsplätze mehr in seinem Metier angeboten werden, ist es auch schwierig mit externem Nachwuchs. Letztes Jahr seien in der ganzen Ostschweiz lediglich fünf Ausbildungsplätze als Steinbildhauer ausgeschrieben gewesen.
«Als Ausrede sagen viele Betriebe, dass sie zu klein und die ganze Lehrlingsausbildung zu teuer und aufwendig sei.» Dieses Argument will Meier, der jahrelang Lehrlinge ausgebildet hatte, jedoch nicht gelten lassen.

Bleibt nur zu hoffen, dass doch noch irgendwo eine Tür aufgeht. Denn soll unsere Geschichte erhalten bleiben, müssen auch die Objekte bleiben, die uns diese Geschichte erzählen – und für deren Erhalt oder Erneuerung braucht es erfahrene Handwerker. Aber glücklicherweise ist Resignieren ja nicht Meiers Sache. So bleibt zu hoffen, dass es ihm – wie bei seinen Projekten – auch diesmal gelingen wird, eine passende Lösung zu finden.