Der grosse Technologie-Wettlauf: Ein Blick in die Zukunft

Für Damian Borth, Professor an der HSG und KI-Experte, ist klar: Künstliche Intelligenz bestimmt in den kommenden 50 Jahren unseren Wohlstand und unser Wachstum. Im Interview macht er deutlich, wieso er die Chancen von KI als weit grösser als ihre Risiken ansieht. Die grösste Gefahr ortet er an einem ganz anderen Ort: in Taiwan. Ein Blick in die Zukunft.
Im Bereich Social Media wurden die damit verbundenen Gefahren zu Beginn nicht erkannt. Haben wir durch diese Erfahrung dazugelernt für den Umgang mit KI?
Prof. Dr. Damian Borth: Der Begriff der Künstliche Intelligenz (KI) existiert ja schon seit Jahrzehnten und ich denke, die Entwicklung war ähnlich wie diejenige von Social Media. Auch bei KI herrschte zu Beginn in den 1950er Jahren ein Hype.
Und nach dem Hype folgte der Kater?
Borth: Nachdem sich KI in den vergangenen Jahren immer schneller weiterentwickelt hat, kam plötzlich die Frage auf, was für negative Effekte sich mit ihr einstellen könnten. Diese Frage hatte sich die Kernforschung erst langsam beziehungsweise gar nie gestellt, da wir selbst überrascht waren, wie rasch und gut alles funktionierte. Als die Risiken erkannt wurden, starteten viele Forschungsprojekte in Bereichen wie Fairness, Bias und Deep Fake. Ihr Ziel ist es, die Technologie hinter KI besser zu verstehen und Mechanismen zu entwickeln, um die negativen Effekte unter eine gewisse Kontrolle zu bringen.
Ist KI also eine Blackbox?
Borth: Nein, das würde ich nicht sagen. Wir sehen alles was passiert, wir können es nur noch nicht interpretieren, da die Technologie sehr komplex ist. Aber wenn wir zum Beispiel mit KI ein Medikament herstellen können, das gegen Alzheimer hilft, finde ich, sollten wir das tun und uns danach um die Erklärbarkeit kümmern. Leider findet im medizinischen Bereich aufgrund seiner Sensibilität viel zu wenig Forschung statt. Man kann mit KI viel Gutes tun. An der HSG haben wir ein Forschungsprojekt, wo wir mit Hilfe von KI die Höhe des CO2-Aussstosses von Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen verfolgen können – ein wichtiger Aspekt im Bereich Klimaneutralität. Viele positive Aspekte der KI geraten ob der Angst etwas in den Hintergrund, weshalb es mir wichtig ist, auch an die guten Seiten zu erinnern.
Apropos Angst. Es werden momentan viele Anstrengungen zur Regulierung von KI unternommen. Ist eine Regulierung aber überhaupt möglich?
Borth: Mit Regulierungen in der Wirtschaft versucht der Staat einen Rahmen zu definieren, in dem sich Unternehmen bewegen können. Dies schafft Sicherheit und ist gerade auch für Investoren sehr wichtig. Regulierungen funktionieren jedoch nur, wenn alle Akteure sich daran halten. Europa hat als erstes regulatorisch eingegriffen, was aber nicht heisst, dass die USA oder China sich nach diesen Regeln richten oder ähnliche Regulierungen beschliessen werden. Zurzeit findet ein Wettlauf um die Technologie statt, bei dem keiner nach links oder rechts schaut. Daher müssen wir uns schon die Frage stellen, ob wir uns mit den Regulierungen nicht unsere eigene Zukunft verbauen.
Was ist die grösste Schwierigkeit im Bereich Regulierungen?
Borth: Die grösste Schwierigkeit liegt darin, dass wir sehr gut wissen, was wir regulatorisch wollen, jedoch keine Ahnung haben, wie wir dies technisch lösen können. Eine Regulierung ist logischerweise nur so gut, wie sie technisch umsetzbar beziehungsweise durchsetzbar ist.
Das hört sich alles sehr negativ und schwierig an.
Borth: Jede Schwierigkeit enthält auch eine Chance. Gerade im Bereich Regulierung besteht meiner Ansicht nach ein riesiges Potential an Innovation und Unternehmertum. Die Schweizer Forschung könnte mit ihrer Reputation als sicherer, vertrauenswürdiger Partner einen Wettbewerbsvorteil ausspielen und sich auf die Entwicklung von regulatorischer Technologie fokussieren. Diese Chance sollte sie nutzen.
Gerade in den letzten Wochen sahen wir nochmals eine riesige Weiterentwicklung im Bereich KI. Wie wird KI bis in fünf Jahren unseren Alltag prägen?
Borth: Wir KI-Forscher sind sehr schlecht mit Prognosen. Aber grundsätzlich wird oft überschätzt, was in fünf Jahren passiert und dafür die längerfristige Entwicklung unterschätzt. Meine Hoffnung ist, dass sich der Hype etwas legt und die KI ein ganz normales Werkzeug wird, das wir benutzen ohne uns den Kopf darüber zu zerbrechen. Genauso wie es mit der Elektrizität war. Sie ist überall und wir benutzen sie heute ständig ohne darüber nachzudenken. Auch mit der Elektrizität mussten wir erst einen guten Umgang lernen.
Wie sieht denn Ihrer Ansicht nach ein guter Umgang mit KI aus?
Borth: Als erstes müssen wir uns meiner Meinung nach als Gesellschaft zusammentun und einen Konsens darüber finden, was wir möchten und was nicht. Und zwar bevor es Elon Musk oder Xi Jinping tun. Ich glaube, dass wir uns in einer Art Wettlauf befinden, wie nie mehr seit dem Zweiten Weltkrieg. Aus diesem Grund wird auch vom Oppenheimer-Moment gesprochen. Denn KI ist die Technologie, die die nächsten 50 Jahre dominant sein und unser Wachstum und unseren Wohlstand bestimmen wird. Deshalb ist meiner Ansicht nach ein intensiver gesellschaftlicher Dialog essentiell. Dieser fehlt jedoch sowohl auf nationaler wie auch auf globaler Ebene.
Worin sehen Sie persönlich die grösste Gefahr von KI?
Borth: Im Konflikt zwischen China und Taiwan. Denn 92 Prozent der Mikrochips, die für die KI-Technologie essentiell sind, werden an nur drei Orten in Taiwan hergestellt. Mittlerweile sind wir schon bei einem Handelsembargo gegen China angelangt. China kann heute weder die Mikrochips, noch die Maschinen erwerben, um diese herzustellen. Wir befinden uns geopolitisch in einer Situation, die leicht eskalieren kann. Am meisten Sorgen bereitet mir also nicht die KI-Technologie an sich, sondern die Konsequenzen des Wettkampfs um die Technologie auf globaler Ebene.
Wie könnte das Worst-Case Szenario aussehen?
Borth: Dass China in Taiwan einmarschiert. Dies wird jedoch nicht passieren, solange die USA ihre eigene Mikrochip-Fabrik noch nicht fertiggestellt hat. Danach gibt es für die USA jedoch keinen Grund für eine militärische Intervention mehr, sollte Taiwan angegriffen werden. Vielmehr wird es weitere Handelsembargos geben und der europäische Markt wird sich vom chinesischen abspalten. Dies könnte gravierende wirtschaftliche und politische Konsequenzen nach sich ziehen und zu einer ähnlichen Situation wie in den 1930er Jahren in Europa führen.