Netto-Null? «Bis 2050 müssen wir das erreichen»

Iris Fontana | 
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Betonherstellung – Möglichkeiten zur CO2-Reduktion sind vorhanden. Bild: pexels.com

Der Beringer Holzbauer Michael Hübscher hat mit seinem Zahltag-Interview vor zwei Wochen einen kleinen «Kampf der Baustoffe» ausgelöst. Hübschers Kritik am Beton jedenfalls will Patrick Suppiger, Geschäftsführer der Betonsuisse Marketing AG, nicht auf sich sitzen lassen. Wir geben ihm im Kurzinterview die Chance zur Replik. Ein Gespräch über Imageprobleme, CO2-Bilanzen und Zukunftsmodelle.

Das Zahltag-Interview mit Michael Hübscher, der prophezeit, dass Holz dereinst Beton als Hauptbaustoff ablösen wird, hat Ihnen nicht geschmeckt: Warum nicht?
Patrick Suppiger:
In der Schweiz haben wir einen jährlichen Bedarf an etwa 60 Millionen Tonnen Baustoffen, wobei Beton mit rund 16 Millionen Kubikmetern an der Spitze des Verbrauchs steht. Beton ist aufgrund seiner einzigartigen Eigenschaften und der hohen Anforderungen bei bestimmten Bauaufgaben unverzichtbar. Ob es sich um die Errichtung von Staudämmen, Tunneln, Brücken oder anderen Bauwerken handelt, ist Beton oft die einzige Wahl. Aufgrund der hohen Nachfrage und den spezifischen Anforderungen ist die Substitution von Beton durch andere Materialien schwer umsetzbar. Beton wird auch in Zukunft bei der Wohnungs-, Mobilitäts-, Energie- und Nahrungsmittelversorgung eine wichtige Rolle spielen.

Herr Hübscher sagt, dass allein die Zementproduktion für Beton für 20 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich ist. Haben Sie andere Zahlen?
Suppiger:
Wissenschaftliche Publikationen geben an, dass zwischen 5 und 9 Prozent (weltweit und 5,5 Prozent in der Schweiz) der Treibhausemissionen aus der Zementproduktion stammen, so etwa cemsuisse, USGS, IEA, Chatham House und der WWF.

So oder so hat Beton einen schlechten Ruf, was seinen CO2-Ausstoss anbelangt. Kann dagegen abseits von PR-Massnahmen etwas unternommen werden?
Suppiger:
Ja, es gibt konkrete Massnahmen, die von der Branche bereits ergriffen worden sind. Zum Beispiel können alternative Zementtypen verwendet werden, die weniger CO2-intensiv sind, oder alternative Bindemittel eingesetzt werden. Die Zementindustrie bekennt sich zur Reduktion der Emissionen und setzt in ihrer «Roadmap 2050» das konkrete Ziel, bis 2050 Netto-Null zu erreichen.

Diese Selbstverpflichtung kann eingehalten werden?
Suppiger
: Ja, auch wenn es keine schnellen Lösungen gibt. Vielversprechende Ansätze helfen, das Ziel von Netto-Null in der Klimapolitik zu erreichen: Technologien wie CCS (Carbon Capture Storage) und CCU (Carbon Capture Use) spielen dabei eine wichtige Rolle. CCS steht für die dauerhafte Speicherung des CO2 und CCU bezeichnet einen Vorgang, bei dem das CO2 direkt am Hochkamin abgeschieden und später industriell verwendet wird. Weitere Innovationen sind die Nutzung von Recyclingbeton als CO2-Speicher, in 3D «gedruckte» Häuser und der Einsatz von Carbon anstelle von Stahl zur Gewichtsreduktion.

Und wie weit ist man im Bereich CO2-Reduktion beim Beton?
Suppiger:
Seit 1990 hat die Zementindustrie erhebliche Fortschritte gemacht und ihren CO2-Ausstoss um 43 Prozent reduziert. Und wir setzen uns weiter für innovative Lösungen ein. So kann bei der Planung neuer Gebäude darauf geachtet werden, dass sie kreislauffähig und materialsparend konzipiert werden. Die Systemtrennung, also die Trennung von Bauelementen unterschiedlicher Lebensdauer und Zweckbestimmung sowie Fertigbauteile, sind wichtige Komponenten zur Zielerreichung. Darüber hinaus gibt es bereits CO2-effizienten Beton und in der Ostschweiz ist sogar CO2-neutraler Beton erhältlich.

Wie steht es um die Recyclingfähigkeit von Beton?
Suppiger:
Beton ist ein überaus kreislauffähiges Material, dass zu fast 100 Prozent recycelt werden kann und so wertvolle Ressourcen spart. Oftmals können bestehende Betonstrukturen aufgrund ihrer Langlebigkeit weiterverwendet werden, wodurch ein Ersatzneubau vermieden wird. Darüber hinaus kann durch innovative Technologien bis zu 10 Prozent CO2 in recyclierter Gesteinskörnung gespeichert werden und Beton nimmt zudem während seines Lebenszyklus wieder CO2 auf (Quelle: EMPA).

Sie argumentieren also, dass die Ökobilanz von Beton besser ist als in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Alles nur ein Imageproblem?
Suppiger:
Ja, die Ökobilanz von Beton ist im Vergleich zu anderen Baumaterialien besser als vielleicht wahrgenommen. Hierbei ist wichtig, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu betrachten, nicht nur die Emissionen bei der Erstellung, sondern auch die des Betriebs und des Rückbaus. Wenn wir die Ökobilanzen der verschiedenen Baumaterialien auf die gesamte Lebensdauer von 60 bis 100 Jahren betrachten, liegen alle Baumaterialien etwa im gleichen Rahmen, was verschiedene europäische Studien belegen. Zudem ist es auch entscheidend, dass Beton kreislauffähig und recyclebar ist.

Was ist Ihr Zukunftsmodell mit Blick auf Baustoffe?
Suppiger:
Es ist wichtig, dass wir bei der Wahl der Baustoffe ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nachhaltigkeit, Leistung und Innovation finden, um eine zukunftsfähige Bauindustrie zu gestalten. Dabei sollten wir auch die Qualität und Leistungsfähigkeit der Baustoffe im Blick behalten. Wir müssen bewusster überlegen, welcher Baustoff wo Sinn ergibt. Meine Hauptbotschaft ist darum, dass man einen Baustoff dort einsetzen soll, wo er die besten Leistungen erbringt. Auch hybride Konstruktionen können in Erwägung gezogen werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen.

Patrick Suppiger

Bild: Beat Matter

Patrick Suppiger ist seit 2022 Geschäftsführer der Betonsuisse Marketing AG. Er absolvierte seinen Master of Advanced Studies in Communication Management and Leadership an der ZHAW in Winterthur. Bevor er die Geschäfte von Betonsuisse übernahm, war er bei der Luzerner Kantonalbank, der Hochschule Luzern Technik & Architektur, Siemens Building Technologies sowie Vitogaz in den Bereichen Marketing und Kommunikation tätig.

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