Energiekrise: Wie ein Stresstest für Entspannung sorgt

Iris Fontana | 
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Thomas Kellenberger will mit dem Stresstest für Entspannung bei den Schaffhauser Unternehmen sorgen. Bild: ZVG

Mit dem Stresstest Energiemangellage reagierte die IVS auf die grosse Unsicherheit und die vielen Anfragen von Unternehmen im Frühling. Entstanden ist ein einfach handhabbares Instrument, welches jeder Firma kostenlos zur Verfügung steht und barrierefrei eingesetzt werden kann. Die Rückmeldungen sind äusserst positiv und die Verbreitung bereits schweizweit im Gang.

Warum hat die IVS den «Stresstest Energiemangellage» initiiert? 

Kellenberger: Als sich im Frühling die Herausforderungen im Energiebereich abzeichneten, war uns in der IVS rasch klar: Wir müssen etwas unternehmen. Wir wurden von vielen Firmen und anderen Institutionen kontaktiert, die uns fragten: «Wie sollen wir mit diesen Herausforderungen umgehen? Was sind die Ursachen? Welche Auswirkungen werden sich ergeben?» Dazu die grossen Fragen: «Wer muss und wer kann etwas machen? Und wer tut auch wirklich etwas?» Überall hiess es jetzt: Sparen.

Was waren die ersten Schritte?

Kellenberger: Es ist immer einfach zu sagen: «Wir müssen sparen.» Die entscheidende Frage lautet jedoch: «Wer spart wieviel?» Und insbesondere: «Wie messen wir, was wir sparen?» Hier wollten wir ansetzen und ein Hilfsinstrument liefern, mit dem Firmen ihre Ausgaben qualitativ und quantitativ messen und dann auch belegen können, dass sie ihre Sparziele einhalten.

Klingt nach einem komplexen Tool…

Kellenberger: Nein, das ist es nicht. Im Gegenteil: Es ist ein einfaches Instrument, mit dem eine Führungsperson konkret durch den Betrieb gehen und die einzelnen Energieposten im Tool festhalten kann. In einem zweiten Schritt werden dann aus der IST-Situation Massnahmen abgeleitet. Ist der Test einmal ausgefüllt, wird dem Betrieb auch eine handfeste Auswertung darüber geliefert, wieviel welche Massnahme bringen kann.

Wieso heisst das Instrument «Stresstest»?

Kellenberger: Weil mit dem Tool verschiedene Szenarien – oder Stresslevel – gemanagt werden können. Diese Szenarien hängen davon ab, wie hoch das Sparziel ist – ob selbstverordnet oder vom Bund vorgegeben. Mit dem Stresstest kann zum Beispiel simuliert werden, was passiert, wenn plötzlich 30 Prozent Energie eingespart werden müssen. Dies ist wichtig, weil jeder Betrieb an einen Punkt kommt, an dem sich die Fortführung der Produktion nicht mehr lohnt.

Für wen ist der Test konzipiert?

Kellenberger: Für alle, denen er nützt. Es war unser Ziel, ein Tool zu schaffen, dass barrierefrei von sämtlichen Interessierten genutzt werden kann. Es gibt keine Pflicht zur Anmeldung oder Registrierung, der Test ist kostenlos und man muss kein IVS-Mitglied sein, um ihn zu benutzen. Zentral war zudem die einfache Bedienbarkeit, damit er wirklich von jedem Betrieb unabhängig seiner Grösse eingesetzt werden kann.

Wurde der Test allein von der IVS entwickelt?

Kellenberger: Nein. Uns war bewusst, dass wir den Test schnell lancieren müssen. Schliesslich handelt es sich um ein Vorbereitungsinstrument, welches vor Eintritt einer Krise implementiert sein muss. Um diese kurze Frist einhalten zu können, haben wir Partner ins Boot geholt. Das ITS Industrie- und Technozentrum Schaffhausen sicherte uns sofort seine Unterstützung zu. Zudem gingen wir auf die Energieagentur der Wirtschaft (EnAW) zu, welche über grosses Fachwissen im Energiebereich verfügt. Wir waren ein kleines Team aus diesen drei Partnern, welches intensiv am Test gearbeitet hat.

Was ist nun das Resultat dieser Arbeit?

Kellenberger: Es gibt ein einfaches Excel-Sheet mit verschiedenen Mappen, welche mit allen nötigen Beschreibungen versehen sind. Bei Projektbeginn erkannten wir, dass im Umgang mit Energie eigentlich nur drei Massnahmen möglich sind, wenn man von der eigenen Produktion absieht: Vermeiden (z.B. sparen), verschieben (z.B. indem Prozesse hintereinander laufen) oder ersetzen (z.B. Gas durch Strom). Auf dieser Erkenntnis beruht die Ausgestaltung der Excel-Datei mit einzelnen Mappen. Wenn nun im Ernstfall der Bund ein Sparziel vorgibt, kann eine Firma ganz einfach auf das vorbereitete File zugreifen und schauen, wo die Einsparungen am einfachsten oder mit den tiefsten Kosten zu realisieren sind. Zur Unterstützung haben wir zudem ein Erklärvideo produziert.

Klingt einleuchtend. Wie lange wurde daran gearbeitet?

Kellenberger: Wir waren vier Monate in Fronarbeit zusammen unterwegs – von der Erarbeitung der Idee bis zur Veröffentlichung. Am Schluss zählten wir die Stunden nicht mehr. Es war ein motivierender Spirit und eine grosse Dynamik spürbar, und das ist bis heute so.

Was ist letztlich der Nutzen für die Unternehmen?

Kellenberger: Der Stresstest gibt einem Unternehmensverantwortlichen eine gewisse Sicherheit. Er kann getrost sein, die nötigen Vorbereitungen getroffen zu haben und sollte der Ernstfall eintreten, weiss er, was zu tun ist. Die Arbeit ist übrigens auch nicht vergebens, wenn der Ernstfall nicht eintritt, da durch die Beschäftigung mit dem eigenen Energieverbrauch wichtige Erkenntnisse gewonnen werden und mögliches Einsparpotential aufgezeigt wird. Ausserdem kann der Stresstest auch als Führungsinstrument eingesetzt werden. Risk Management gehört bekanntlich in jede Strategie.

Sind Sie zufrieden mit der Beteiligung der regionalen Unternehmen?

Kellenberger: Wir sind äusserst positiv überrascht vom grossen Echo, das unser Projekt auslöste. Schon in der ersten Woche wurde der Stresstest von 110 Firmen heruntergeladen. Dies ist für die Region Schaffhausen eine sehr gute Verbreitung. Kurz nach der Lancierung erfuhr der Kanton Thurgau von unserem Projekt und verbreitete die Datei nach unserer Bewilligung im ganzen Kanton. Ausserdem erreichten uns Anfragen aus dem Kanton Schwyz. Auch der Kanton Schaffhausen hat den Stresstest auf seiner Website integriert und der Schaffhauser Krisenstab verteilte das File an alle anderen Schweizer Krisenstäbe.

Wie war das Feedback?

Kellenberger: Bisher sind nicht viele Unternehmen auf uns zugekommen, was aber auch zeigt, dass das Tool ohne weitere Erklärung funktioniert. Rückblickend stellen wir fest, dass die Unsicherheit insbesondere im Frühling gross war, als die Preise ungebremst angestiegen sind. Mit der darauffolgenden Entspannung nahm auch der Druck etwas ab. Dies sollte aber auf keinen Fall dazu verleiten, die Hände in den Schoss zu legen. Wichtig ist nun, die Zeit zur Vorbereitung auf den Ernstfall zu nutzen. In Gesprächen mit Unternehmern spüre ich, dass dieses Bewusstsein vorhanden ist.

 

Zur Person

Thomas Kellenberger
Alter: 55
Zivilstand: verheiratet, 2 Söhne 
Aufgewachsen in Schaffhausen und Neuhausen,
wohnhaft in Neunkirch.
Berufliche Tätigkeit: CFO und Mitinhaber zweier Firmen im Baugewerbe, kommt ursprünglich aus dem Maschinenbau und der Gebäudetechnik.
Leitete 20 Jahre die Scherrer Haustechnik und führte diese schliesslich in eine börsenkotierte Gruppe ein.
Seit rund 5 Jahren Vorsitzender der Umwelt- und Energiekommission der IVS. Nominiert als Co-Präsident.

 

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