«Was wir brauchen, sind flexiblere Arbeitgeber»

Louise Østergaard | 
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Linda De Ventura bringt Familie, Arbeit und Politik unter einen Hut – und wünscht allen diese Möglichkeit der Selbstbestimmung. Deshalb setzt sich die Politikerin für eine familienfreundlichere Region Schaffhausen ein. BILD ZVG / PHILIP BOENI

Der Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden politische Steine in den Weg gelegt. Kantonsrätin Linda De Ventura spricht sich für Anpassungen der Rahmenbedingungen aus.

Interview

Viele junge Mütter sind genervt: Ist das Kind nicht bei ihnen, werden sie kritisiert, ist der Papi mal mit dem Kind unterwegs, wird er gelobt. Kennen Sie das?

Linda De Ventura: Es ist schon so: Männer, die 80 Prozent arbeiten, sind Superdaddys, Frauen mit diesem Arbeitspensum Rabenmütter. Mein Umfeld hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass mein Partner genauso oft mit unseren Kindern anzutreffen ist wie ich. Dafür hiess es oft: Du arbeitest, bist Mutter; möchtest du da wirklich auch noch Politik machen? Solche Worte hörte ich oft von Männern, die selbst davon profitierten, dass ihre Partnerin es ihnen überhaupt ermöglichte, Beruf, Familie und Politik zu vereinbaren, sich deswegen aber nie rechtfertigen müssen.

Da wäre es wohl angebracht gewesen, an dieser Stelle einen Mann zu befragen ...

De Ventura: Es wäre wünschenswert, kämen bei solchen Themen mehr Männer zur Sprache. In den Bereichen Bildung, Familie und Soziales werden Frauen als kompetent erachtet, zu wirtschafts- und finanzpolitischen Themen werden sie hingegen selten befragt. Auch weniger privilegierte Familien kommen kaum zu Wort. Dennoch ist es mir ein Anliegen, über das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu sprechen, stellvertretend für alle Frauen und Mütter, die gesellschaftlichen Vorwürfen und politischen Hindernissen ausgesetzt sind.

Jetzt trotzdem diese Frage an Sie: Wie vereinbaren Sie all das?

De Ventura: Mein Partner und ich haben das Glück, dass unsere Arbeitgeber flexibel sind, dass wir Eltern in Schaffhausen haben, welche uns bei der Kinderbetreuung unterstützen, dass wir uns eine Kita leisten können. Dieses Privileg haben längst nicht alle. Ich setze mich dafür ein, dass alle selbstbestimmt leben können, mit denjenigem Familienmodell, das zu ihnen passt.

Dass der Vater in kleinerem Pensum arbeitet, ist nach wie vor eine Ausnahme. Warum?

De Ventura: Es ist nicht so, dass Männer keine Teilzeit arbeiten möchten, um für ihr Kind zu sorgen, aber es wird ihnen nicht leicht gemacht. In Berufen, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten, haben sich die Arbeitgeber mit Teilzeitarbeit arrangiert. In männerdominierten Branchen ist dies seltener der Fall. Genau dort braucht es mehr Flexibilität. Wenn in der Pflege oder im Sozialwesen Teilzeitarbeit möglich ist, dann sollte das auch in anderen Berufsfeldern möglich sein.

«Männer, die 80 Prozent arbeiten, sind Superdaddys, Frauen mit diesem Arbeitspensum Rabenmütter.»

Linda De Ventura Kantonsrätin Schaffhausen

Warum möchten viele Mütter nach dem Mutterschaftsurlaub nicht gleich wieder arbeiten?

De Ventura: Weil 14 Wochen nicht ausreichen, um sich von den Anstrengungen der Schwangerschaft und der Geburt zu erholen – und die Empfehlung der WHO einer sechsmonatigen Stillzeit zu erfüllen. Sofern sie es sich leisten können, nehmen viele Frauen unbezahlten Urlaub. Nur 18 Prozent der Mütter gehen gleich wieder arbeiten. Oft, weil sie sich eine längere Auszeit nicht leisten können. Ideal wäre, nach den 14 Wochen Mutterschaftsurlaub eine längere, geteilte Elternzeit einzuführen, denn die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub sind definitiv zu wenig.

Gibt es schon heute umsetzbare Lösungen für eine längere Elternzeit?

De Ventura: Natürlich. Das zeigt ja der Blick auf andere europäische Länder. Leider fehlt in der Schweiz noch der politische Wille zur Umsetzung. Als eines der wohlhabendsten Länder der Welt denken wir, dass wir uns das nicht leisten können. Das ist auch eine Frage der Macht und der Umverteilung: Wem sollen finanzielle Mittel zukommen, wer bekommt welche Chance? Dabei wird verkannt, dass die Wirtschaft auf diese Arbeitskräfte angewiesen ist, dass viele Frauen nicht bereit sind, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, um sich um Kinder und Haushalt zu kümmern und dass ein Einkommen allein für viele Familien nicht ausreicht.

Dauer der Elternzeit (in Wochen) in einigen ausgewählten europäischen Ländern. Quelle: https://stats.oecd.org/index.aspx?queryid=54760

Warum liegt der gesellschaftliche Fokus auf der Frau als Hauptbezugsperson für das Kind?

De Ventura: Wenn die Politik nicht willens oder in der Lage ist, eine ausgewogenere Aufteilung der Familienarbeit möglich zu machen, wird sich in der Lebensrealität nichts ändern. Wenn es kaum Beispiele gibt, wo die Frau nicht oder nicht allein als Hauptbezugsperson wahrgenommen wird, ändert sich auch am gesellschaftlichen Fokus nichts. Zudem sind Stimmen, die die Mutterrolle idealisieren, in den letzten Jahren lauter geworden. Der Druck auf die Frauen, darin ihr einziges Glück zu finden, ist dadurch gestiegen. So bleiben die Bedürfnisse der Frauen ausserhalb dieser Rolle auf der Strecke. Dabei möchten weit die meisten Frauen ihr Berufsleben nicht aufgeben. Und die meisten Väter wollen Teil der Kindererziehung sein. Trotzdem müssen sich Frauen andauernd dafür rechtfertigen, wenn sie trotz Kindern arbeiten.

Was muss sich konkret ändern, damit die Gesellschaft umdenkt?

De Ventura: Zuerst müssen die politischen Rahmenbedingungen angepasst werden, dann ändert sich auch das gesellschaftliche Bild und die Erwartungen an Mann und Frau. Konkret brauchen wir Tagesschulen, flexible Arbeitgeber und bezahlbare Kitas, die nicht um 18 Uhr schliessen. Kitas mit flexibleren Öffnungszeiten würden den Wiedereinstieg ins Berufsleben auch denjenigen Eltern ermöglichen, die unregelmässige Arbeitszeiten haben, abends oder nachts arbeiten.

Wie können, Ihrer Meinung nach, die nächsten Schritte erreicht werden?

De Ventura: Das starke Engagement vieler Menschen hat in den letzten Jahren eine Veränderung ins Rollen gebracht, die meiner Meinung nach nicht mehr aufzuhalten ist. Ich bin überzeugt, dass die Forderungen nach flexibleren und bezahlbaren Kitas sowie flächendeckenden Tagesschulen unterdessen auch in der Stadt Schaffhausen mehrheitsfähig sind. Dafür müssen sich aber weiterhin alle starkmachen, denen Selbstbestimmung, die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben und ein progressives Schaffhausen wichtig sind.

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