«Wir müssen uns endlich sputen!»

Anna Kappeler | 
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Der ehemalige Luftwaffenchef Markus Gygax spricht im Restaurant National in Winterthur über die Pläne zur Erneuerung der Schweizer Luftwaffe. Bild: Selwyn Hoffmann

Ex-Luftwaffenchef Markus Gygax erläutert warum er lieber 70 statt 40 Kampfjets hätte, auch wenn dies deutlich mehr koste als vom Bundesrat aktuell geplant.

Herr Gygax, nach dem Gripen-Nein will der Bundesrat dieses Mal in einem Paket für acht Milliarden neue Kampfjets und Abwehrraketen kaufen. Ist die Strategie richtig, beide Beschaffungen zu verknüpfen?

Markus Gygax: Absolut. Flieger und Fliegerabwehr ergänzen sich – und beide müssen ersetzt werden. Der Kampfjet hat den Vorteil, dass er bei Frieden, Spannung und Krieg fliegt. Die Fliegerabwehr dagegen kann nur im Konfliktfall eingesetzt werden, sie schiesst oder eben nicht. Dafür wiederum wirkt sie permanent, bei Tag und Nacht, gutem oder schlechtem Wetter. Der Flieger hingegen muss zuerst einmal in die Luft, wo er auch nur eine beschränkte Zeit bleiben kann – dafür ist er schnell und mobil. Sie sehen: die ideale Ergänzung.

Das Volk kann lediglich in einem Grundsatzentscheid über ein Ja oder ein Nein zur Luftwaffe befinden. Zu Recht?

Ja, das ist genau der richtige Weg. Ich bin zuversichtlich, dass eine Mehrheit für die Luftwaffe votieren wird. Panzer und schwere Artillerie nützen ohne Luftwaffe nichts – dieses Argument wird ziehen. Es gibt weltweit keine namhafte Armee ohne Luftwaffe. Und deshalb schafft auch niemand in Europa seine Armee ab.

Dass sich das Volk nicht mehr zu einem Flugzeugtyp äussern kann, finden Sie demokratiepolitisch gesehen nicht schwierig?

Nein. Das war doch Blödsinn mit dem Gripen.

Wie meinen Sie das?

Damals ging es eigentlich um einen Luftwaffenfonds. Dieser wäre jährlich angehäuft worden, um damit den neuen Flieger zu kaufen. Die Bevölkerung hat gleichwohl nur über den Gripen gesprochen. Alle haben also über etwas diskutiert, wovon sie keine Ahnung hatten. Bei den SBB diskutiert das Volk ja auch nicht darüber, ob Lokomotive X oder Y gekauft werden soll. Die Typenfrage ist hochkomplex.

Einverstanden. Aber komplex sind die meisten Abstimmungen. Das klingt, als trauten Sie dem Volk keine schwierigen Entscheidungen zu?

Natürlich traue ich uns allen komplexe Abstimmungen zu. Aber nochmals: Bereits 2014 ging es nicht wirklich um einen Typenentscheid. Typendiskussionen sind nicht zielführend. Deshalb ist das jetzige Vorgehen des Bundesrates richtig.

Was kann denn die Schweizer Luftwaffe leisten? Wir sind von Nato-Ländern umgeben, wäre eine feindliche Rakete nicht längst abgeschossen, bevor sie uns erreicht?

Jedes Land in Europa leistet einen Beitrag zur Sicherheit in Europa. Die grös-seren Länder mehr, die kleineren weniger. Das hat sich bewährt.

Die Schweiz als kleines Land muss einfach einen kleinen Beitrag leisten und gut ist?

(vehement) Nein. Die Schweiz muss die Verantwortung für ihr Territorium und ihren Luftraum tragen. Dieses Grundprinzip hat jedes Land als Auftrag. Wenn das alle machen, ist für alle gesorgt. Wir Schweizer mit unserer bewaffneten Neu-tralität und Nicht-Bündnis-Partner sind für unsere Sicherheit selber verantwortlich. Also brauchen wir auch Kampfflugzeuge, die zeitgemäss sind und im Vergleich zu anderen Ländern technisch nicht völlig hinterherhinken. Auch das ist ein Ziel: So stark zu sein, dass sich ein anderes Land einen Angriff auf die Schweiz zweimal überlegt.

Sie haben als Kampfpilot jahrzehntelang im Cockpit verschiedener Jets Erfahrungen gesammelt. Welcher der fünf Jets, die evaluiert werden, ist Ihr Favorit?

Alle fünf sind «State of the Art» und haben die neuste Elektronik und den neusten Radar. Das ist im Vergleich zu unseren F/A-18 ein grosser Unterschied. Den Rest beurteilen die Experten. Mitberücksichtigen werden sie die Tatsache, dass die Flieger noch nicht heute, sondern erst von 2030 bis 2070 im Einsatz sein werden.

Das ist jetzt sehr allgemein...

: ...heute über einzelne Typen zu diskutieren, ist müssig. Damit wir für unser Land das beste Kampfflugzeug herausholen, müssen die fünf Kandidaten gegeneinander antreten und sich bei der Leistung über- und beim Preis unterbieten.

Mit welchen Herstellerländern soll die Schweiz zusammenarbeiten? Steht ein neutrales Land wie Schweden mit dem Gripen besser da als die USA mit ihren F/A-18 und F-35?

Das ist eine politische Überlegung. Die Frage ist, ob ein kleines Land genügend Flugzeuge produziert und das genügend lange. Bei einem Kampfflugzeug werden die Innereien laufend erneuert. Da ist es ein Vorteil, wenn eine Firma viele Flugzeuge produziert und diese weltweit verkauft.

Gehen wir einen Schritt weiter. Letzte Woche hat das Verteidigungsdepartement die Anforderungen der Jets und der Raketen präsentiert. Bei den Raketen hat es einen Paradigmenwechsel gegeben. Sie sollen nun eine grosse statt wie bisher eine mittlere Reichweite haben und also grössere besiedelte Gebiete schützen statt nur einzelne Objekte. Warum das Umdenken?

Mit dem Paket von acht Milliarden müssen Prioritäten gesetzt werden. Der Bundesrat ist zu Recht zur Erkenntnis gekommen, dass wir mit einer grossen Reichweite am besten fahren. Warum? Die weltpolitische Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Aktuell stehen die Zeichen auf Aufrüstung. Nehmen Sie Schweden: Die haben in der gleichen Friedenseuphorie wie wir ihr Wehrsystem heruntergefahren, nun aber kaufen sie die Patriot-Lenkwaffe mit einer grossen Reichweite von 100 Kilometern. Die gleiche also, die wir nun ja auch evaluieren. Zusammen mit der israelischen Sling und der französischen SAMP/T, welche beide etwa 50 Kilometer weit kommen.

Bleiben wir kurz bei Raketen mit grosser Reichweite, wo die Schweiz seit 20 Jahren eine Lücke hat. Bisher ging es also offenbar auch ohne. Warum braucht die Schweiz diese Waffen?

Wie bereits erwähnt: Weil sich die weltpolitische Lage dramatisch verändert. Die Friedenseuphorie nach dem Fall der Berliner Mauer war völlig daneben. Nur weil wir in Europa Ende der 1980er-Jahre eine Friedensströmung erlebt haben, dachten wir: Nun haben wir es im Griff. Die Geschichte sowie die aktuellen Entwicklungen aber lehren uns, dass dies falsch war. Ausserhalb Europas haben alle Keyplayer fleissig aufgerüstet. Das haben wir verschlafen. Auch die Schweiz hat in der Friedenseuphorie ihre Armee massiv herun-tergefahren. So haben wir etwa die Bloodhound-Fliegerabwehr, die auf lange Strecken bis zu 100 Kilometer und bis auf 20 000 Meter hinauf wirkte, abgeschafft. Veraltete Systeme wurden zudem nicht ersetzt. Das rächt sich jetzt in diesem Jahrzehnt – es stehen viele Erneuerungen an.

Also aufrüsten, weil der Tenor auf Aufrüsten steht?

Nicht mitmachen ist keine Option. Sonst werden wir zum Spielball.

Ist das so?

Raison d’Être einer Armee ist der Konflikt, nicht der Frieden. Dieses Manko der letzten 25 Jahre gilt es zu korrigieren. Nachdem alle europäischen Staaten nun versuchen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Sicherheit auszugeben, stehen wir noch immer bei nur 0,7 Prozent. Wir müssen uns endlich sputen!

Die Schweiz müsste auch auf zwei Prozent des BIP rauf?

Nein. 1,1 Prozent BIP würden genügen. Unser BIP beträgt rund 660 Milliarden Franken. Dann wären wir also bei knapp sieben Milliarden Franken jährlich für die Armee.

Apropos Finanzen: Laut Expertengruppe des Bundes entsprechen die Beschaffungseckwerte des Bundes inklusive 40 Kampfjets dem Szenario für neun Milliarden Franken. Wird die Beschaffung nun einfach eine Milliarde Franken teurer?

Für einen vernünftigen Schritt in die Zukunft wäre ohnehin ein Paket mit neun Milliarden Franken nötig gewesen. Das Primat der Politik hat sich nun aber für acht Milliarden entschieden. Also arrangieren wir uns damit.

Ist die aktuell gehandelte Zahl von 40 Flugzeugen denn richtig?

Für den Moment ja. Fernziel aber müssen angesichts der Weltlage wohl 70 Kampfjets sein. In aller Kürze erläutert: In Friedenszeiten reichen 30 Jets für den Luftpolizeidienst. In einer Spannungsphase, etwa während des Balkankrieges, inklusive Luftraumkontrolle werden 40 bis 50 Jets nötig. Im Konfliktfall schliesslich sind es 70 Jets.

 

 

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