Bund bekämpf Internet-Dschihadisten
Vier Projekte gegen die Radikalisierung im Netz finanziert der Bund. Das Ziel: Jugendliche sollen mit Videos ihre Altersgenossen etwa vom Dschihad abbringen.
Extremismus: 48 Beratungen der Fachstelle im ersten Jahr
Im Oktober 2016 wurde die Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention (FSEG) geschaffen. Der Fachstellenleiter Urs Allemann hielt kürzlich fest, dass der Bedarf an Information im Umgang mit Fragen zu Radikalisierung konstant sei. 48 Beratungen habe er gemacht und 38 Referate gehalten. Drei Fälle, die zur Fachstelle gelangten, hätten die «rote Linie» überschritten, die Polizei sei eingeschaltet worden. Ein junger Mann habe laut «Tages-Anzeiger» eine Dschihad-Reise zu planen begonnen, bei den anderen zwei waren psychische Probleme der Anlass für die Auffälligkeiten. Die jungen Menschen würden betreut.(aka)
Nehmen wir das fiktive Beispiel des Jugendlichen Simon. Er ist auf der Suche nach sich selbst, vielleicht hat er Probleme zu Hause, vielleicht Liebeskummer, vielleicht alles zusammen. Er schlittert in eine Krise, verliert den Job. Nun hat er viel Zeit, durchs Internet zu surfen. Hier setzt eine neue Präventionsstrategie des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) an. Mit vier Pilotprojekten will der Bund gegen die Radikalisierung von Jugendlichen im Netz vorgehen.
«Da Onlineplattformen ein beliebter Ort für Radikalisierungsversuche sind, setzen wir dort an», sagt Colette Marti von der nationalen Plattform Jugend und Medien, die zum BSV gehört. Weil die radikale Propaganda – diese umfasst sowohl islamistischen Terror wie auch Links- oder Rechtsextremismus oder Sekten – im Netz eine Gehirnwäsche vollziehen möchte, müsse man den Jugendlichen auch direkt im Netz ein Gegengewicht zur verzerrten Darstellung der Realität anbieten. «Gerade bei Jugendlichen, die noch keine gefestigte Meinung haben und Antworten auf ihre Fragen suchen, kann dadurch möglicherweise eine Radikalisierung verhindert werden», sagt Marti.
Gegenbotschaften aufzeigen
13 Vorschläge wurden beim Bund eingereicht, vier Pilotprojekte stehen nun vor dem Start. Gemeinsam haben sie, dass sie die Propaganda von Extremisten entlarven und ihnen positive Alternativen entgegenstellen wollen. Konkret: Islamistische Propaganda behauptet etwa, dass jeder, der sich nicht am Dschihad beteilige, kein wahrer Muslim sei. Ziel der Projekte ist laut Marti beispielsweise, dazu eine Gegenbotschaft darzustellen. Etwa: Es ist anmassend, stellvertretend für Gott zu handeln und zu entscheiden, wo Dschihad angebracht ist.
Das Projekt «gegenNarrativ Winterthur» will fünf Kurzclips und Social-Media-Kampagnen produzieren. «Nachweislich werden viele Jugendliche online mit islamistischem Gedankengut radikalisiert oder für den Dschihad rekrutiert», sagt Rafael Freuler, Geschäftsführer der für das Projekt verantwortlichen Jugendinfo Winterthur. In Winterthur ist das eine ernst zu nehmende Aussage, gilt die Stadt mit der umstrittenen An’Nur-Moschee doch als Hotspot für Islamisten. Aus deren Umfeld sind mehrere Jugendliche in den Dschihad gezogen.
Von Jugendlichen für Jugendliche
Machen Beamte mit den Pilotprojekten auf jugendlich? Freuler verneint und sagt: «Meine These ist: Dieses Projekt ist besonders wirksam, weil hier Jugendliche andere Jugendliche ansprechen. Sie wissen am besten, welche Sprache sie dafür verwenden müssen.» Das Handwerk des Filmens wird den Jugendlichen dabei von Medienprofis beigebracht – das sei für Jugendliche attraktiv.
Das Projekt ist eine Kooperation unter anderem mit der Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention Winterthur (vgl. Box). Es verwendet zur Kommunikation eine Jugend-App, bei der die Nutzer anonym mit der Fachstelle kommunizieren können. «Die App wurde rund 3000 Mal heruntergeladen», sagt Freuler. In der App sind verschiedene Jugendthemen zu finden. Darunter auch Anreize, wie sich Teenager ihr Sackgeld aufbessern können. Nächstes Jahr soll die App so aktualisiert werden, dass darin auch die fünf Clips gegen Radikalisierung zu finden sind. Denn: «Jugendliche laden sich nichts herunter, das so negativ konnotiert ist wie Dschihad. Integriert in die Jugend-App aber bringen wir die Informationen ans Zielpublikum.» Weitere Verbreitungsorte sind die gängigen Social-Media-Kanäle.
Islam-Debatte entkrampfen
Das Projekt #SwissMuslimstories ist eine Kurzfilmporträtkampagne muslimischer Jugendlicher und hat folgenden Ansatz: «Wir wollen mit den gängigen Klischees über Muslime brechen und neue Perspektiven abseits von Handschlag oder Burka in die Debatte einbringen», sagt Dominik Müller, Mitglied des Projektteams, das von der Muslimischen Jugend Schweiz – Ummah getragen wird. Müller forscht zudem an der Uni Zürich zum Thema Islam in der Schweiz. Wichtig sei dabei Humor. Die verkrampfte Debatte um den Islam in der Schweiz müsse aufgelockert werden. Porträtiert würde etwa ein Muslim im Schweizer Militär oder eine muslimische Juristin mit Kopftuch. «Beide sind bestens integriert, sehen die Schweiz als ihre Heimat an und identifizieren sich mit den Schweizer Werten», sagt Müller. Unterstützt wird das Projekt zudem etwa von der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz und der Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich.
Für das dritte Projekt #knowislam verantwortlich zeichnet das Institut für Interkulturelle Zusammenarbeit und Dialog in Zürich. Im Gegensatz zu den ersten beiden Projekten beschränkt es sich nicht nur auf die Deutschschweiz, sondern soll auch in der Romandie verbreitet werden. Mit Bildern und kurzen Videos sollen dabei islamische Begriffe und Alltagsfragen, die für junge Muslime relevant sind, unterhaltend erklärt werden.
Positiv Islam schliesslich will einen Blog für Muslime und Nichtmuslime mit Artikeln und Videos zum Thema Alltagserfahrungen aufbauen. Dieser wird französisch und italienisch sein, verantwortlich dafür ist die Uni Freiburg.
120 000 Franken vom Bund
Alle Projekte befinden sich aktuell in der Phase der Konzeption, umgesetzt werden sie 2018. Dafür nimmt der Bund rund 120 000 Franken in die Hand, noch einmal so viel Geld sollen die vier Projekte selbst auftreiben. Ist das der richtige Ansatz, um Radikalisierungen zu verhindern? «Wenn auch nur ein Fall verhindert werden kann, hat sich der Aufwand gelohnt», sagt dazu Colette Marti vom BSV. Es brauche verschiedene Massnahmen, um Radikalisierungen zu verhindern. Offline wie online. Der gewählte Weg sei ein vielversprechender Ansatz.