Eine Absage mit Nebengeräuschen

Alexa Scherrer | 
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Marc Jongen, Vordenker der AfD, wird nicht in Zürich auftreten – das Podium wurde abgesagt. Bild: zvg

Erpressung, Beleidigungen und Diffamierungen haben dazu geführt, dass ein Podium mit AfD-Vordenker Marc Jongen in Zürich abgesagt werden musste. Ihn überrascht es nicht – einen Kenner der Zürcher Kulturszene schon. Auch eine Schaffhauserin hat mitgeholfen, den Auftritt zu verhindern.

Es war ein regelrechter Proteststurm, der schliesslich dazu geführt hat, dass das Zürcher Theaterhaus Gessnerallee seine für den 17. März geplante Veranstaltung «Die neue Avantgarde» absagen musste. Umstrittener Protagonist des Podiums wäre der Philosoph und Chefideologe der deutschen Rechtspartei Alternative für Deutschland (AfD) gewesen. In einem offenen Brief haben deutsche Kulturschaffende mit Unterstützern aus der Schweiz die «Gessnerallee» dazu aufgefordert, der AfD «keine Bühne» zu bieten. Nach einer Debatte in mehreren Akten zwischen Veranstaltern, Künstlern, Befürwortern und Gegnern entschied sich das Theaterhaus, die Veranstaltung ausfallen zu lassen. In der Begründung heisst es, dass das Podium aufgrund der Hitze der durch sie ausgelösten Debatte – «in der Diffamierungen, persönliche Beleidigungen und Erpressung leider nicht gescheut wurden» – nicht stattfinden werde. Die Veranstaltung stelle mittlerweile ein Sicherheitsrisiko dar und könnte nur mit erhöhtem Sicherheitsaufwand durchgeführt werden. Welcher Art die Bedrohungen und Erpressungen genau waren, dazu wollte die «Gessnerallee» gestern keine Stellung nehmen. In der Pressemitteilung heisst es, man sei weiterhin der Meinung, dass Veranstaltungen wie «Die neue Avantgarde» an einem Ort wie der «Gessnerallee» stattfinden können müssen.

«Das ist schon verräterisch»

Für Marc Jongen war die Absage abzusehen – verwundert habe sie ihn nicht mehr. «Es ist schade, dass die gutwilligen Menschen der ‹Gessnerallee›, die sich um einen Diskurs bemüht hatten, in die Knie gezwungen wurden», sagt er den «Schaffhauser Nachrichten». Dass sie dem Druck nachgegeben haben, dafür hat Jongen aber Verständnis. Den Veranstaltern sei kein Vorwurf zu machen. Wohl aber denen, welche das Theater bedroht haben. «Sie spielen sich als Verteidiger der Demokratie auf, verhalten sich aber strikt antidemokratisch», sagt der AfD-Politiker.

Dass seiner Partei rauer Wind entgegen bläst, ist für Jongen kein Neuland. Aus Deutschland kennt er das zur Genüge. «Neu ist aber, dass das jetzt in die Schweiz überschwappt.» Deutsche Kulturschaffende würden Schweizer Veranstaltern vorschreiben, wen sie auftreten lassen dürfen – und wen nicht. «Dass gerade diese Leute, die sich vor einem grösser werdenden Deutschtum fürchten, eine derart deutsche Arroganz an den Tag legen, ist besonders pikant. Das ist schon verräterisch.» Durch die Causa «Gessnerallee» habe der Begriff «Kulturschaffende» für Jongen einen doppelbödigen Klang bekommen. Viel eher würden sie ja eine Unkultur schaffen, so Jongen. Und er lässt es sich nicht nehmen, von der Kultur nahtlos zu den politischen Positionen seiner Partei überzugehen: «Das ist genauso ein Euphemismus wie ‹Schutzsuchende›. Das sind häufig Menschen, die einfach illegal die Grenze überschreiten. In beiden Fällen ein Etikettenschwindel.»

Im offenen Brief wird das Beispiel angefügt, in dem die AfD in Dessau Ende 2016 für die Absetzung des Tanztheaterprojekts «Das Fremde so nah» plädierte – eine Inszenierung mit syrischen und deutschen Jugendlichen. Gottfried Backhaus, AfD-Landtags­abgeordneter in Sachsen-Anhalt, betitelte es als «manipulatives Theater­projekt», das darauf abziele, «Jugend­lichen den Sinn für die Differenz ­zwischen dem Eigenen und dem Fremden abzuerziehen». Jongen sieht zwischen dieser angestrebten Form der Zensur seitens der AfD und dem aktuellen Fall offenbar keine Parallelen. Dass Politiker Kunst in dieser Form kritisieren dürfen, steht für ihn ausser Frage. «Das Kulturbiotop steht ja nicht unter Naturschutz.» Dass die Affäre für die AfD auch ihr Gutes hat, das streitet Jongen nicht ab. «Unter einem reinen PR-Gesichtspunkt müsste man diese Präsenz in der Öffentlichkeit für die AfD wohl begrüssen.» Das «restriktive Klima» sei aber dennoch nicht in seinem Sinn.

Schaffhauser Beteiligung

Eine der Mitunterzeichnerinnen des offenen Briefes ist die ehemalige Neunkircher Gemeinderätin Jana Honegger. Weil sie die rätliche Zusammenarbeit als «wenig konstruktiv» empfand, trat sie im Sommer 2016 per sofort von ihrem Amt zurück. Im direkten Kontakt zu den Veranstaltern der «Gessnerallee» sei die Künstlerin nicht gestanden. Zu Jongen übrigens auch nicht. Dieser meinte auf die Frage, ob sich einige der Unterzeichnenden bei ihm gemeldet hätten: «Die wollen nicht mit einem reden – nur über einen.»

Honegger glaubt nicht, dass der Druck, der AfD keine Bühne zu bieten, nicht mit der Demokratie vereinbar sei. «Eine Podiumsdiskussion innerhalb einer kulturellen Institution ist nicht öffentlich. Sie wird kuratiert und hat eine Zielsetzung. Somit sollen auch Grenzen gesetzt werden», sagt sie den SN. Es handle sich um ein Podiumsgespräch, das in seinem Format keine vertiefte Auseinandersetzung mit sehr komplexen und emotional geladenen Zusammenhängen zugelassen hätte. «Ein solcher Anlass würde nur für weitere explosive Schlagzeilen sorgen, aber nicht für eine produktive Analyse. Zum Beispiel, wofür die AfD tatsächlich steht und warum ihre Vertreter hier in der Schweiz zu Gesprächen eingeladen werden», sagt Honegger. Das Format einer Podiumsdiskussion erzwinge eine gewisse Oberflächlichkeit, welche den Zusammenhängen nie gerecht werden könne. «Man sehe die letzte Ausgabe der ‹Arena› im Schweizer Fernsehen. Unweigerlich arten die Aussagen in plakative und emotionale Provokationen aus.» Besonders kulturelle Institutionen müssten dem Trend des saloppen Umgangs mit intellektuellen Auseinandersetzungen entgegenhalten. «Wenn nicht sie, wer dann?»

Etwas anders sieht das Philipp Meier, ehemaliger Co-Direktor des Zürcher Cabaret Voltaire und Kenner der Zürcher Kulturszene. «Die Künstler verbieten einem AfD-Politiker, der gegen Migranten wettert, den Raum, krümmen aber keinen Finger, mehr Migranten-Positionen ins Theater zu bringen.» Diese Empörungsbewirtschaftung sei weder konstruktiv noch visionär – sie verändere überhaupt nichts. «Sie verhindert sogar, überhaupt Visionen zu entwickeln, weil sie einen in einem Abwehrreflex gefangen hält», sagt Meier.

«Zeitgenössischer Ansatz»

Auch künstlerisch kann er der Verhinderung des Podiums nichts abgewinnen. Es kommt für ihn «einer Kapitulation vor dem Kunstraum des Theaters gleich». Das Theater dringe – wie schon bei der umstrittenen Aktion «Schweiz entköppeln» am Theater Neumarkt, die sich gegen SVP-Nationalrat und «Weltwoche»-Chef Roger Köppel richtete – in den Alltag ein. Dass eine breitere Masse so merke, dass es überhaupt noch Theater gebe, finde er spannend. «Was sonst in Theatern oder Museen angeboten wird, ist oft sehr selbstreferenziell und dreht sich um Nebensächlichkeiten, die nichts mit der Realität zu tun haben», sagt er im Gespräch mit den SN. Das Podium mit Jongen aber hätte den Rahmen der Bühne gesprengt. Auch das Zentrum für politische Schönheit, die Initianten hinter «Schweiz entköppeln», habe betont, dass alles, was um die eigentliche Inszenierung herum passiere – die Empörung oder die Artikel in der Presse –, zum Stück gehöre. «Die Kulturschaffenden hätten das jetzt auch aus dieser Perspektive sehen sollen. Das ist nämlich ein sehr zeitgenössischer Ansatz.» Dass aber die Fähigkeit zu dieser Abstraktion fehle, habe ihn «wahnsinnig irritiert». Natürlich wäre das Podium kein eigentliches Theaterstück gewesen. Für Meier wäre es aber darum gegangen, eine Position aus der politischen Landschaft auf die Bühne zu bringen. «Die meisten kennen die AfD-Positionen nur aus den Medien. So hätte das Publikum die Möglichkeit gehabt, ein Abbild von dem, was da draussen wirklich passiert, auf der Bühne zu sehen – und hätte reflektieren können.»

Auch Meier war während seiner Zeit im Cabaret Voltaire mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie jetzt das Theater Gessnerallee. Es liege in der Tradition von Dada, die Leute vor den Kopf zu stossen. «Obwohl ich immer auf der pazifistischen Seite von Dada stand, habe ich mich davor gehütet, politisch einseitig zu inszenieren.» Einmal habe es etwa einen Auftritt des Walliser SVP-Politikers Oskar Freysinger gegeben. «Er hat ein krudes Lied über einen Euro-Bullen, der Helvetia vergewaltigt, vorgetragen.»

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