Bürgerliche Hilfe für die Linke

Schaffhauser Nachrichten | 
Noch keine Kommentare
Im Bundesrat sitzt Eveline Widmer-Schlumpf nicht mehr – dennoch greift sie jetzt in die aktuelle politische Diskussion ein. Bild: Key

Eveline Widmer-Schlumpf mischt sich als ehemalige Finanzministerin in den Abstimmungskampf um die Unternehmenssteuerreform III ein. Sie kritisiert die vom Parlament ausgearbeitete Vorlage. Das passt bürgerlichen Politikern gar nicht.

Als Finanzministerin hat Eveline Widmer-Schlumpf die Unternehmenssteuerreform (USR) III aufgegleist – nun distanziert sich die alt Bundesrätin von der Vorlage, die das Parlament verabschiedet hat und die am 12. Februar zur Abstimmung kommt. «Dieses Paket ist nicht mehr dasselbe, das der Bundesrat vorgelegt hat. Es gibt ein paar Punkte, welche die Reform aus der Balance gebracht haben», sagt Widmer-Schlumpf in einem Interview, das gestern im «Blick» erschienen ist. Eine Unternehmenssteuerreform ist für Widmer-Schlumpf zwar unabdingbar, das Parlament sei jedoch sehr weit gegangen. Konkret kritisiert die BDP-Politikerin, dass es keine Gegenfinanzierung mehr gebe: «Der neue Nationalrat hat die zinsbereinigte Gewinnsteuer eingefügt und die Neuregelung der Dividendenbesteuerung gestrichen.» Die Ausfälle würden höher werden als bei der ursprünglichen Vorlage. Laut Beobachtern befürchtet die ehemalige Finanzministerin, dass man sie dafür verantwortlich machen könnte, falls es tatsächlich zu hohen Ausfällen käme.

«Stilloses» Vorgehen

Dass sich ehemalige Bundesräte in das aktuelle politische Geschehen einmischen, kommt immer wieder vor (siehe Zweittext). Trotzdem üben bürgerliche Politiker Kritik an den Äusserungen Widmer-Schlumpfs. «Ich finde, es ist schlechter Stil, wenn man Vorlagen des Nachfolgers kritisiert», sagt die St. Galler FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter. Sie spricht gar von einem «Schuss in den Rücken» von Ueli Maurer, der das Finanzdepartement Anfang 2016 von Widmer-Schlumpf übernommen und die Vorlage fortan betreut hat. Aber auch inhaltlich ist sie nicht einverstanden mit der Kritik: «Wir haben lange gefeilscht, und der Ständerat hat sich am Schluss mit einem gemässigten Vorschlag durchgesetzt», sagt Keller-Sutter. Zudem betont sie, dass die zinsbereinigte Gewinnsteuer eine Idee von Widmer-Schlumpf gewesen sei. Tatsächlich war diese in der Vernehmlassungsvorlage zur USR III enthalten, wurde später aber gestrichen. Das Parlament nahm sie dann wieder auf. Die zinsbereinigte Gewinnsteuer dürfen nur Kantone einführen, die gleichzeitig die Dividendenbesteuerung auf 60 Prozent erhöhen.

Auch CVP-Präsident Gerhard Pfister kritisiert Widmer-Schlumpf. Er bezeichnet ihre Aussagen im Interview als «inhaltlich falsch» – und er betont, dass die Reform von den kantonalen Finanzdirektoren unterstützt werde. Für Pfister ist Widmer-Schlumpfs Vorgehen zudem «stillos». Nationalrat Thomas ­Aeschi (SVP/ZG) stört sich nicht daran, dass sich die ehemalige Finanzministerin zur USR III äussert. «Wir haben die Meinungsfreiheit – und diese gilt auch für alt Bundesräte.» Aeschi hält es jedoch für «wenig verantwortungsvoll», dass sich Widmer-Schlumpf so äussert. «Scheitert die Vorlage, wird die Wirtschaft einer mehrere Jahre dauernden Unsicherheit ausgesetzt», sagt er.

Erfreut über die Wortmeldung von Widmer-Schlumpf sind selbstredend die Gegner der Vorlage. SP-Vizepräsident und Nationalrat Beat Jans (BS) sagt, er sei nicht überrascht: «Die alt Bundesrätin hat viel stärker auf die Balance geachtet als ihr Nachfolger.»

BDP beschloss Ja-Parole

Urs Gasche, Berner BDP-Nationalrat und langjähriger Weggefährte von Widmer-Schlumpf, reagiert diplomatisch auf die Aussagen seiner Parteikollegin: «Sachlich hat Eveline Widmer-Schlumpf recht: Das Parlament ist bei der USR III in einigen Punkten weiter gegangen als der Bundesrat.» Die Vorlage könne man nun aber nicht mehr ändern, so Gasche. Darum stellt sich für ihn nur noch die Frage, ob der Schaden bei einem Ja oder bei einem Nein grösser sei. «Und da muss ich ganz klar sagen: Ein Nein wäre schlimmer», sagt Gasche. So sahen es auch die BDP-Delegierten, die seiner Empfehlung folgten und kürzlich mit klarer Mehrheit die Ja-Parole zur USR III beschlossen.

Alt Bundesräte Schweigen mögen nur die wenigsten

Man nannte ihn «das Orakel von Dornach», den 2012 verstorbenen alt Bundesrat Otto Stich. «Servir et disparaître», die Maxime, die sich viele ehemalige Mitglieder der Landesregierung selbst auferlegen, war ihm egal. Zu welchem Thema auch immer, es war fast schwieriger, von Stich keinen Kommentar zu bekommen als ihm eine Meinung zu entlocken. Er begründete das damit, dass ihm das Recht zur Teilhabe an der politischen Diskussion genauso zustehe wie jedem anderen Bürger auch.

Otto Stich mag weitherum als jener Bundesrat gelten, der als Erster die ungeschriebene Schweigeregel nach dem Austritt aus der Landesregierung gebrochen hat, doch das hängt wohl mit dem kurzen Gedächtnis zusammen, das der Politik und ihren Akteuren eigen ist. Sich in die Tagespolitik einmischen, das nun ist in der Tat keine «Erfindung» von Otto Stich.

Nachdem er 1854 als erster Bundesrat die Wiederwahl nicht schaffte, politisierte der Berner Ulrich Ochsenbein (1811–1890) eifrig weiter und arbeitete – vergeblich – an seinem politischen Comeback. Nicht nur das, er wechselte nach seinem Rücktritt aus der Landesregierung gar von den Radikal-Liberalen zu den Konservativen. Ebenfalls nicht zurückgehalten hat sich neben anderen Numa Droz (1844–1899) aus La Chaux-de-Fonds. Er versuchte nach seinem Bundesratsrücktritt im Jahr 1892 mit Verve, die von der Landesregierung vorangetriebene Verstaatlichung der Eisenbahn zu hintertreiben.

Blocher im Schaffhauser Fernsehen

Seit Otto Stich aber scheint es fast schon normal, dass sich ehemalige Bundesräte zu laufenden Geschäften vernehmen lassen. Nehmen wir nur die Durchsetzungs-Initiative, bei der sich nicht weniger als elf frühere Magistraten gegen das Volksbegehren aussprachen – und nur einer dafür: Christoph Blocher. Dieser ist hier sowieso ein Spezialfall: Als einziger ehemaliger Magistrat kommentiert er seit 2007 wöchentlich in seiner vom Schaffhauser Fernsehen produzierten und über das Internet verbreiteten Sendung Teleblocher das aktuelle politische Geschehen.

Solche Dauerpräsenz haben andere ehemaligen Magistraten nicht. Sie melden sich eher «aus gegebenem Anlass» zu Wort. So hörte man Ruth Dreifuss etwa zur Asyldebatte, zur Entkriminalisierung von Drogen, zur Regularisierung der Sans-Papiers. Elisabeth Kopp wiederum war zum UNO-Beitritt und zur Mutterschaftsversicherung zu vernehmen, Adolf Ogi etwa zum Verhältnis der Schweiz zum Ausland. Gerade im Zusammenhang mit der Bewältigung der MEI hielten und halten etliche alt Bundesräte nicht hinter dem Berg. Neben den auch sonst oft zu hörenden Pascal Couchepin und Micheline Calmy-Rey meldeten sich selbst die sonst zurückhaltenden Kaspar Villiger und Arnold Koller zu Wort und erteilten Ratschläge.

Nach dem Rücktritt aus der Landesregierung schweigen zur Tagespolitik oder nicht? Sowohl das politische Personal als auch die Bevölkerung sind sich da uneins. Als Faustregel darf indes gelten: Wer sein Anliegen durch eine öffentliche Äusserung Ehemaliger unterstützt sieht, ist grundsätzlich eher bereit, Wortmeldungen der Altvorderen zu tolerieren.

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren