42 Sekunden Adrenalin

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Der Bob-Club Schaffhausen ermöglicht es Laien, einmal im Jahr im Eiskanal bei Innsbruck runterzudonnern. Ein Erlebnis, wenn auch ein kurzes.

Text und Bilder Saskia Baumgartner

Sekunden vor dem Start kommt es dann doch: das mulmige Gefühl im Bauch. Der Atem wird schneller. «Die Griffe fest halten, Arme nach aussen an die Bobwand drücken», sagt Bobpilot Philipp Berger. «Und haltet den Kopf oben, schaut raus.» Dann geht es los, den steilen Eiskanal hinunter.

Eineinhalb Stunden zuvor: Zu viert hieven die Mitglieder des Bob-Clubs Schaffhausen den 300 Kilo schweren, gelben Vereinsbob aus dem Anhänger. Der Bob des ehemaligen Neuhauser Profis Berger, auch Vereinsmitglied, steht schon parat. Die beiden Sportgeräte werden zur Seite gekippt, die runden Kufen sind teilweise rostrot. Während sich zwei Mitglieder ans Schleifen machen, geht es für die anderen zur Streckenbesichtigung.

«Ich habe immer gewusst, dass Bobfahren mein Sport ist – die Geschwindigkeit, die Action.»

Walo Bächtold, Präsident des Bob-Clubs Schaffhausen

Einmal im Jahr fährt der Schaffhauser Bob-Club nach Igls bei Innsbruck zum sogenannten Bob-Taxifahren. Zwischen zwei geübten Bobsportlern, dem Piloten und dem Bremser, nehmen zwei Gäste im Vierer-Bob Platz. Für die meisten Mitglieder des Vereins ist es der einzige Anlass, an dem sie ihren Sport ausüben. 1990 von mehreren bobbegeisterten Schaffhausern ins Leben gerufen, besteht dieser heute hauptsächlich aus Mitgliedern der ersten Stunde. 1992 rief man die Bob-Taxifahrten ins Leben, damals noch, um Sponsoren für den Sport zu gewinnen. Heute kommen hauptsächlich Familienmitglieder, Freunde und Arbeitskollegen mit. In diesem Jahr sind rund zehn Personen dabei, die noch nie in einem Bob sassen.

125 Stundenkilometer schnell

Vereinspräsident Walo Bächtold hält in der einen Hand eine Zigarre. Mit der anderen zeigt er auf die letzte grosse Kurve vor dem Ziel. «Auf der gesamten Strecke wird man bis zu 125 Kilometer pro Stunde schnell», sagt er. «Gibt’s im Bob auch Kotztüten?», fragt einer der Gäste und lacht nervös. Gibt es nicht.

«Die Griffe fest halten, Arme nach aussen an die Bobwand drücken. Und haltet den Kopf oben, schaut raus.»

Philipp Berger, Der Bobpilot gibt vor dem Start letzte Anweisungen.

Bächtold weiss alles über den 1976 erbauten Olympia-Eiskanal, in dem neben Bob- auch Skeleton oder Rodel-Weltcuprennen stattfinden. «Die Eisschicht ist rund drei bis vier Zentimeter dick», sagt er. Dreieinhalb Millionen Euro koste es allein, den Kanal von Ende Oktober bis Ende Februar zu kühlen.

«Trinke Jägertee vor der Fahrt»

Langsamen Schrittes wandert die Schaffhauser Gruppe den Weg neben der Bahn bei blauem Himmel, Sonne und Alpensicht den Hügel hinauf. «Normalerweise gehen die Piloten vor einem Rennen direkt im Eiskanal zum Start hoch.» Um die Strecke kennenzulernen und die Beschaffenheit des Eises zu begutachten. Bächtold, der neben Philipp Berger heute Pilot einer der beiden Viererbobs ist, kennt die Innsbrucker Strecke auswendig. Es ist die Hausbahn des Bob-Clubs Schaffhausen. Nur 17 Bobbahnen gibt es weltweit. Der Eiskanal bei Innsbruck sei mit 1270 Metern und 14 Kurven der kürzeste, sagt Bächtold. Die einfachste Bahn zum Fahren sei sie aber nicht – zumindest, wenn es beim Rennen um Hundertstelsekunden geht. «Hier in der Kurve 9 passieren die meisten Unfälle», sagt Bächtold nüchtern und geht weiter. «Ich glaub, ich trinke meinen Jägertee vor der Fahrt», murmelt jemand vor sich hin.

Wie in der Achterbahn

Die Taxifahrten des Schaffhauser BobClubs beginnen bei Start 2, drei Kurven und rund 300 Meter später als der normale Start. Auch hier werden Höchstgeschwindigkeiten von rund 110 km/h erreicht. «Bei uns ist Sicherheit das oberste Gebot», sagt Bächtold. Passiert sei während all der Jahre beim Taxifahren nie etwas. Überhaupt sei der vereiste Fussweg neben der Bobbahn das Gefährlichste am heutigen Tag.

Die Fahrt im Bob fühlt sich die ersten zwei, drei Sekunden ziemlich ruhig an. Doch das ändert sich schlagartig. Der Bob beschleunigt schnell. Der Gegenwind peitscht einem ins Gesicht. Zwar trägt jeder einen Helm, aber nicht alle haben ein Visier. Ein leichtes Rattern und Kratzen ist zu hören, das Geräusch der Stahlkufen auf dem Eis. In der ersten Kurve knallt der Helm leicht gegen den des Vordermanns. Man versucht, sich im Schlitten zu verkeilen. Dann kommt die 280-Grad-Kurve, der «Kreisel». Der Druck auf den Körper wird grösser. Das Gefühl ähnelt jenem während einer Achterbahnfahrt. Die schnelle Kurvenkombination im «Labyrinth» reisst einen von links nach rechts und wieder nach links. In der letzten grossen Kurve verliert man die Orientierung. Der Blick in die Landschaft ist nicht möglich, da die Bahn hier durch Planen abgedeckt ist, um das Schmelzen des Eises zu verhindern. Sind wir etwa schon im Ziel? Tatsächlich, wenige Sekunden später wird der Bob langsamer und bremst ab. Die Fahrt dauerte 42 Sekunden.

Bevor richtig realisiert werden kann, was gerade passiert ist, ist Pilot Philipp Berger schon aus dem Bob gesprungen und lobt die Gäste. «Super habt ihr das gemacht!» Aber mal ehrlich: Die ganze Arbeit hatten der Pilot und der Schlussmann, der Bremser. Die Passagiere in der Mitte sitzen nur. Richtig im Bob zu sitzen, sich wenig zu bewegen – all das sei sehr wichtig, sagt Berger. Er merke als Pilot sofort, wenn sich jemand im Bob während der Fahrt bewege. Als Belohnung gibt es nun einen Jägertee für die breit grinsenden Taxigäste. Für die Piloten und die Bremser geht es weiter: Sie laden die zwei Schaffhauser Bobs in einen Kleinlastwagen, der sie wieder zum Start bringt, wo die nächsten Passagiere warten.

Nachwuchsfahrer gesucht

Anders als Bächtold nimmt Philipp Berger zusammen mit Bremser Markus Schlegel nach wie vor an einem Rennen pro Jahr teil: am Europapokal der Senioren im Zweierbob. «Dort trifft sich die einstige Weltelite», sagt Berger. Das Rennen findet ebenfalls in Innsbruck statt, dieses Wochenende.

Beim Nachwuchs sieht es beim Schaffhauser Bob-Club indes nicht so gut aus. Der letzte Fahrer, der 2003 sogar Junioren-Schweizer-Meister wurde, hat vor zehn Jahren aufgehört. Auch andernorts haben die Bobvereine zu kämpfen. Die Schweiz sei schon lange nicht mehr die grosse Bobnation von einst, sagt Bächtold. Bobfahren könne man halt nicht nebenbei. «Man muss einen sehr kulanten Chef haben.» Denn in den Sport müsse von Oktober bis Anfang März viel Zeit investiert werden.

Bobfahren als Bubentraum

Beim Abendessen im Hotel ein paar Stunden nach der Fahrt lassen die Schaffhauser das Erlebte Revue passieren. «Wir kommen nächstes Jahr wieder mit», kündigen einige Erstlinge an. Auch Bächtold kann sich noch an seine erste Fahrt erinnern. Bobfahren, das sei immer ein Bubentraum gewesen. «Ich habe irgendwie immer gewusst, dass das mein Sport ist – die Geschwindigkeit, die Action.» Als er mit 29 Jahren dann erstmals in einem Bob sass, sei das Gefühl noch viel schöner gewesen, als er es sich ausgemalt hatte.

 

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