Verloren geglaubtes Spiel gedreht

Hans Christoph Steinemann | 
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Die Kadetten hätten sich auf dem Weg zu ihrem zehnten Meistertitel beinahe noch aufhalten lassen. Pfadi Winterthur zeigte eine starke Leistung, aber in der Verlängerung sicherten sich die Schaffhauser den Jubiläumstitel mit 30:28.

So wie am Samstag in der BBC-Arena hätten die Winterthurer von Anfang an aufspielen müssen, um eine Chance im Rennen um den Schweizer-Meister-­Titel zu haben. Doch Pfadi war erst im dritten Spiel der Best-of-5-Serie bereit, auf höchstem Niveau mitzuhalten, die Gäste aus Winterthur trugen indes am Samstag viel zum Spektakel und zur grossen Dramatik bei, die dieses Handballfinale den 2310 Zuschauern lieferte. «Es ist schade, dass wir nicht von Anfang an in dieser Serie so aufgespielt haben wie heute Abend», sagte Pfadi-Captain Marcel Hess nach Spielschluss am Speakermikrofon, «aber heute dürfen wir stolz sein auf unsere Leistung.»

Serien immer mit 3:0 gewonnen

Ja, die diesmal präsenten Winterthurer waren nahe dran, die Kadetten in eine Niederlage zu zwingen – es wäre die erste gewesen in einem Play-off-Spiel in den letzten zehn Jahren. Denn jede Serie endete da mit 3:0 für die Schaffhauser, das ist auch eine ­bittere Erkenntnis für Pfadi-Trainer Adrian Brüngger, unter dem sie immer noch einem Play-off-Erfolg gegen die Kadetten nachrennen. Nach 42 Minuten hätten am Samstagabend einige auf einen Sieg der Pfader gewettet. Denn sie führten nach einem Penaltytreffer ihres besten Angreifers Kevin Jud (total 8 Tore) 19:13 und waren drauf und dran, dem hohen Favoriten endgültig ein Bein zu stellen.

Rote Karte gegen Koch

Zumal dieser bei der Penaltyaktion gegen Pascal Vernier den Aggressivleader Johan Koch nach einem Ellbogenschlag gegen dessen Kopf mit einer direkten Roten Karte verloren hatte. Aus Schaffhauser Sicht mag das ein harter Entscheid gewesen sein, aber das insgesamt diesem Niveau und dieser Intensität nicht immer gewachsene Schiedsrichterduo Boskoski/Stalder wollte offenbar den grössten Unruhestifter aus dem Spiel haben. Koch war gewiss nicht der einzige Hitzkopf gewesen, es sei dabei an Hess, Freivogel oder Svajlen gedacht, die auch einige Male draussen sassen und zu einigen Rudelbildungen – vor allem vor der Pause – beitrugen. Es war viel Pfeffer im Spiel, und der Kampf bewegte sich oft an oder gar über der Grenze des «Erlaubten». Dass sich Pfadi-Trainer Brüngger zum Schluss über das einseitige Strafenverhältnis (10:4) ärgerte, gehörte genauso zu dieser Partie.

Die Rote Karte gegen Koch war eine der Schlüsselszenen dieses Fights auf Biegen und Brechen. Doch, so paradox es klingt, sie riss die Schaffhauser endgültig aus ihrer Lethargie, in die sie nach der Pause gefallen waren. Kadetten-Trainer Peter Kukucka nahm da sein Time-out, und in der Folge sorgten unter anderen der bereits in der 39. Minute eingewechselte Goalie-Routinier Nikola Marinovic – er kam für den diesmal nicht vom Glück verfolgten Simon Kindle – und Lucas Meister für die Wende. Marinovic hielt einige Bälle (sechs bis zur 60. Minute, vier in der Verlängerung), und Kreisläufer Meister erzielte bis zum 17:19 (46.) drei herrliche Tore. Zwar scheiterte Pendic nach einem Penalty am hervorragenden Matias Schulz (17 Paraden) im Pfadi-Tor, dem Best Player der Gäste, was Pfadi dann durch Hess das 17:21 ermöglichte.

Aber es schien, als hätten die Winterthurer ihr Pulver irgendwie verschossen. Denn in der 54. Minute bedeutete das 21:21 durch Topskorer ­Gabor Csaszar den ersten Ausgleich seit dem 9:9. Jud gelang sogleich das 21:22, aber die Schaffhauser schienen dank Treffern von Küttel, Richwien und Brännberger bis zum 24:22 doch noch auf die Meisterstrasse einzubiegen. Das war mit Pfadi an diesem Abend jedoch nicht zu machen, zweimal traf Hess, und es stand 24:24. Das hiess Verlängerung.

Küttel und Pendic nervenstark

Bereits ihren allerersten Titel im Jahr 2005 hatten sich die Kadetten im vierten Spiel in der Saalsporthalle gegen GC Zürich in der Verlängerung erobert – der anwesende Protagonist Julius Marcinkevicius erinnert sich gerne daran –, auch beim zehnten Meistertitel kam es wieder zur für die 2310 Fans prickelnden Zusatzschicht. Und in dieser behielten die titelerfahrenen Kadetten nicht überraschend die Nerven. Sie waren noch in der Lage zuzulegen, nach dem 24:25 durch Hess hielt Marinovic zwei Bälle, und Linkshänder Küttel nützte seine gewaltige Schusskraft für zwei Treffer. Sein «Strich» zum 26:25 kurz vor der Sirene beeindruckte. «Ich hatte trotz des zeitweiligen Rückstandes nie Angst, dass wir heute verlieren», sagte er nach Spielschluss glücklich mit dem verdienten (Frei-)Bier in der Hand.

Der junge Nationalspieler war ein wichtiger Faktor. Aber in der zweiten Hälfte der Verlängerung war es gleichwohl an den Routiniers, den Erfolg heimzufahren. Zuerst gelang dem sonst gut abgedeckten Csaszar ein Schlenztreffer zum 27:25, und dann war die Reihe wieder einmal am Mann für die wichtigen Momente bei den Kadetten, Andrija Pendic, der zum 28:26 und zum 29:26 traf. Brännbergers 30:27 war die Siegessicherung in der 70. Minute, die in der Folge alle Dämme brechen liess.

Mühe mit der 5-1-Abwehr

«Wir haben ein verlorenes Spiel noch gedreht», analysierte der gefasste Trainer Peter Kukucka die aufreibende Partie. «Wir hatten heute Mühe mit der 5-1-Abwehr von Pfadi. In der zweiten Hälfte haben wir dann umgestellt und kamen schneller in die zweite Welle. Und Marinovic hat uns sehr geholfen.» Einmal mehr erwies sich zudem das von Kukucka in der Schlussphase praktizierte, aber auch risikoreiche System mit 7 gegen 6 Feldspieler als richtiges Mittel. Das eingegangene Risiko zahlte sich indes aus. Erst seit Februar ist Kukucka Cheftrainer, und nun ist der frühere Meisterspieler – beim Titel 2015 trug er noch selbst Wesentliches bei – bereits Meistertrainer. Eine tolle Entwicklung für den Slowaken, der sich nun mit seiner Mannschaft auf die Champions League freuen darf.

 

Kommentar von Hans Christoph Steinemann

Der zehnte – ein ganz besonderer Titel für Kadetten

Die Kadetten dominierten den Schweizer Männerhandball in den letzten 13 Jahren fast von A bis Z. Dem ersten, sehr umjubelten Titel von 2004/2005 unter dem damaligen «Meistermacher» Goran Perkovac folgten neun weitere: Zwei weitere mit Perkovac, drei mit Petr Hrachovec (2010 bis 2012) und jetzt vier in Folge seit 2014 (drei mit Markus Baur, und jetzt der erste mit Peter Kukucka). Vizepräsident Mark Amstutz dankte vor allem einem Mann, der diese nachhaltige Erfolgswelle initiiert und aufrecht erhalten hat, zuerst als langjähriger Trainer und seit 25 Jahren als Antreiber und Mäzen: Giorgio Behr.

Was vor 40 Jahren in der 2. Liga angefangen hat, erlebte 1988 mit dem ersten NLA-Aufstieg einen Höhepunkt, und nun – 29 Jahre später – feiern die Kadetten bereits den zehnten Meistertitel. «Das ist eine riesige Sache», freute sich der Macher Giorgio Behr nach der Pokalübergabe am Samstagabend, begleitet von warmem Applaus der Zuschauer. «Die Kadetten haben für Schaffhausen Geschichte geschrieben. Ich danke allen, die das mit uns mitgestaltet haben.»

Dank der BBC-Arena verfügen die Kadetten seit 2011 über die beste Infrastruktur des Landes. Und der Betrieb der Suisse Handball Academy (SHA) sorgt seither dafür, dass auch junge Schweizer Talente den Sprung zum Schweizer Nationalspieler schaffen. Beste Beispiele beim Titelgewinner 2017 sind Küttel, Markovic oder Meister. Sie sind in dieser Saison nicht zuletzt dank Nationaltrainer Michael Suter, der auch die Academy leitet, zu NLA-Stammspielern geworden. Die Förderung der Talente ist sehr wertvoll für den Schweizer Handball insgesamt. Mit Peter Kukucka, der selbst auch aus der SHA kommt, ist sie bei den Kadetten bis auf Weiteres sichergestellt.

Dass sich die Kadettenfans weit mehr mit einheimischen Aushängeschildern wie mit unbekannten Auslandprofis identifizieren, leuchtet allen ein. Auch das ist eine Erkenntnis dieser Saison, die unter dem Strich eine eher schwierige war und in der (tollen) Champions-League-Gruppe A nur zwei Punkte erbrachte. Aber am Schluss zählt nur eines – der zehnte Titel.

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