Mit Handy und Tablet im Gottesdienst

Mark Gasser | 
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«Es ist wichtig, den Besuchern aufzuzeigen, was ein Gottesdienst ist», sagt Jann Flütsch, Vikar in Berg am Irchel. Und dazu nutzt er zum Beispiel ein Abstimmungsapp, wenn es sein muss. Im Schaffhauser Münster (Bild) wird er bald ordiniert werden. Bild: Mark Gasser

Schluss mit frustriertem Blättern im Liederbuch und fragenden Blicken in den Kirchenbänken: Die reformierte Kirche Flaachtal startete mit einem «Gottesdienst für Dummies» ein Experiment.

In den Gemeinden im Flaachtal sind 60 Prozent der Bevölkerung reformiert. Damit ist die Kirchgemeinde Flaachtal eine der reformiertesten der Schweiz. Und dennoch bleiben die Kirchenbänke der Kirchen Berg am Irchel, Buch am Irchel und Flaachtal bei den Gottesdiensten genauso leer wie anderswo. Oft werden als Gründe die Abkehr von der Religion, wenig Zeit oder eher hölzerne Predigten vermutet.

Die Kirchgemeinde Flaachtal wollte es genau wissen: Vikar Jann Flütsch fühlte dem Nachwuchs auf den Zahn. Im Rahmen einer Umfrage wollte er von den Konfirmandinnen und Konfirmanden den Grund für ihre Kirchenabsenz wissen. Das Ergebnis erstaunte: Von Ablehnung der Kirche oder auch von Langeweile im Gottesdienst war keine Rede, vielmehr von Unverständnis. Typisch waren Antworten wie: «Ich verstand nicht, um was es beim vorgelesenen ­Bibeltext ging», oder: «Ich kam bei der Nummerierung im Liederbuch nicht draus.»

«Sie verstehen die Codes nicht»

Flütsch zog daraus seine Schlüsse – und fand Querbezüge zu Klassikkonzerten: «Die Probleme der Kirche sind zum Teil die gleichen wie jene der klassischen Musik», sagt Flütsch. Er weiss, wovon er spricht: Nebenamtlich leitet Flütsch zwei klassische Konzertreihen, während er den praktischen Teil seiner Pfarrausbildung als Vikar in Berg am ­Irchel absolviert. Viele Leute wüssten auch nicht, wie klassische Konzerte ablaufen. «Sie verstehen die Codes nicht, fühlen sich darum unwohl und gehen dementsprechend nicht gerne hin.»

Dagegen wollen Flütsch und Pfarrer Hans Peter Werren aus Berg am Irchel nun etwas unternehmen. Vor anderthalb Monaten hat daher die Kirchgemeinde Flaachtal ein Bildungsprojekt lanciert, um unter anderem das ABC der Liturgie zu erklären. In Anspielung auf eine gleichnamige Sachbuchreihe startete das Projekt mit einem «Gottesdienst für Dummies» am 4. März.

Bei jugendlichen wie bei erwachsenen Kirchengängern müsse das Bewusstsein geweckt werden, dass die ganze Gemeinde Teil des Gottesdienstes sei, wie die Fans bei einem Fussballspiel. «Der Gottesdienst ist keine One-Man-Show», so Flütsch. Und wie beim Fussball müssten die Regeln verstanden werden, um ihn auch geniessen zu können. Paradoxerweise seien Gottesdienste an speziellen Anlässen in der Kirche – bei Taufen oder Hochzeiten – besser besucht als früher. Gleichzeitig sei weniger Verständnis da für die Zeremonie und den Ablauf.

Gemeinsam über Gebet abstimmen

Anfang März haben also Flütsch und ein Freund aus Jugendjahren den etwas exotischen Gottesdienst gestaltet. «Am Spezialgottesdienst haben wir die Besucher immer wieder aktiviert», so Flütsch. Sie mussten ihr Handy zücken und konnten mit einer Webapplikation etwa mitbestimmen, worüber inhaltlich gebetet werden soll – ohne lautes Getuschel. Beim Dankgebet waren dann in einer Wortwolke die anonym gesammelten Stichworte zu lesen, wofür sich die Kirchgänger bedankten. Dieses demokratische Element sei auch gemeinschaftsfördernd, so der junge Vikar. Und das zu verstehen, hat auch viel mit dem Verständnis des Gottesdienstes zu tun.

Fastengruppe über Facebook, Pilgern mit Jugendlichen

Die Kirche besteht nicht nur aus dem Sonntagsgottesdienst. Und der sei auch nicht jedermanns Sache, sagt Vikar Jann Flütsch. «Auf gewisse Zielgruppen ist er ideal ausgerichtet. Aber für andere braucht es anderes. Und die Woche hat ja auch mehr Tage.» Auch weitere Bildungsanlässe der Kirche Flaachtal gehören in die Kategorie «nicht alltäglich»: Über Facebook hat Flütsch Bekannte – nicht unbedingt Kirchgänger – angefragt, ob sie Teil einer Fastengruppe werden möchten. Ein Brauch, der nicht so bekannt sei im reformierten Kontext. Das Fasten selber war dann ganz konventionell: «Wir assen einfach einige Tage nicht.»

Bandbreite an Bildungsanlässen

Demnächst plant Flütsch auch wieder eine Pilgerwanderung. Letztes Jahr ist er bereits mit einer Konfirmationsklasse der Kirche Laufen von Schaffhausen nach Diessenhofen gepilgert. Bewusst sollten sie sich als spirituelle Übung die Frage stellen: Was will ich hinter mir lassen? «Und beim Wandern wird man leer in Gedanken, weil man immer vorwärtsläuft.» Auch ein Weltgebetstag während der Fastenzeit habe einen Bildungseffekt – es sei eine Mischung aus gottesdienstlicher Feier und dem Näherbringen anderer Kulturen und Gläubigen der Welt.

Gemeinsam mit Pfarrer Hans Peter Werren plane er in der Kirche Berg am Irchel weitere Bildungsanlässe in den nächsten Monaten, die ein historisches Ereignis unter kirchlichen Gesichtspunkten beleuchten. Denkbar wäre etwa solch ein Anlass zum 100-Jahr-Jubiläum des Landesstreiks aus christlicher Sicht. Da gelte es zu fragen: Was sagt die Bibel dazu?

Auch in seiner zukünftigen Pfarrgemeinde im Thurgau plant Vikar Flütsch Anlässe oder Spezialgottesdienste auf die Vermittlung der Liturgie auszurichten. Er gibt ein Beispiel: Zum Ende des Gottesdienstes – mit dem Sendungs- und Segnungsteil – wird man aufgefordert, mit dem Glauben wieder in den Alltag zurückzugehen. «Ob die Leute wissen, wie der Teil heisst, ist völlig wurst. Aber ab und zu das Bewusstsein dafür zu wecken, finde ich gut.» Solche Ideen werden im Flaachtal gern aufgenommen: Das Mitmachen schlage sich öfter auch in Applaus für eine Predigt oder gute Musik nieder.(M. G.)

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