Vom Tellerwäscher zum Pfarrer

Ulrich Schweizer | 
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Bis Ende Januar 2016 leitete Jann Flütsch das Sorell Hotel Rüden in Schaffhausen, ab August ist er Pfarrer. Bild: Ulrich Schweizer

Hotelfach oder Theologie? Das war die Frage. Jann Flütsch entschied sich für beides – in der Ausbildung simultan, im Beruf nacheinander.

Jann Flütsch besuchte die Schweizerische Alpine Mittelschule in Davos und machte dort 2003 seine Matura. Schon vor der Matura beschäftigte den Schüler Jann die Frage, ob er Pfarrer werden wollte oder ­Hotelier. Er entschied sich für das zweite, besuchte die Hotelfachschule Luzern und schloss 2010 sein Studium ab.

Zwei Jahre danach übernahm er als Direktor das Sorell Hotel Rüden in Schaffhausen. Dort rief er die Konzertreihe «Klassik im Rüden» ins Leben, die dieses Jahr schon zum fünften Mal unter der künstlerischen Leitung von Miranda de Miguel durchgeführt wird, in dieser Saison mit mehr Spannung, mehr Romantik, mehr Jazz und mit unerhörten Klängen. Zum zweiten Mal führt Jann Flütsch dieses Jahr in Uster die Konzertreihe «Klassik im Schloss» durch, diesmal mit sechs statt vier Konzerten.

Zusammen mit Boris Litmanowitsch, dem Gründer und Leiter der Informatikschule Compucollege, und Claudine Münger (damals bei ProPers in Neuhausen) gründete Flütsch das Weiterbildungs­forum, das dieses Jahr unter dem Namen «Butter, Brot & Bildung» viermal an ­einem Freitagmorgen zu einem Fachreferat im Hotel Rüden einlädt – am 16. März, am 13. April, am 25. Mai und am 22. Juni.

Hotelfachschule und Theologie

«Schon während des Studiums an der Hotelfachschule Luzern begann ich an der Universität Genf das Fernstudium der Theologie und setzte es bis zum Bachelor fort», erzählt Flütsch. «Ja, auf Französisch – Genf ist die einzige Uni der Schweiz, die diese Ausbildung als Fernstudium anbietet, zwei Drittel der Studierenden wählen dort diese Form.» An der Universität Zürich schloss Flütsch danach sein Theologiestudium mit dem Master ab.

«Ich suchte ein Praktikum als Rezeptionist, das Hotel brauchte aber einen Tellerwäscher.»

Jann Flütsch, Hotelier und Pfarrer

Wie kam er denn mit den Bibelsprachen Altgriechisch und Hebräisch zurecht? «Altgriechisch zu lernen, war mühsam, aber auch spannend», erinnert sich Flütsch. «Das waren zwei sehr intensive Semester, aber ich lernte auch, dass unsere deutsche Grammatik, die sich stark an der lateinischen orientiert, nicht die einzige Form ist: Auf Altgriechisch kann man Sachen sagen, die wir nicht sagen können, weil uns zum Beispiel einfach die Zeitformen fehlen.» Für Studierende der Theologie reiche es im Übrigen, wenn sie das Koiné-Griechisch der Bibel lesen und verstehen könnten: «Es braucht keine Kenntnis des klassischen Griechisch von Plato, und man hat ja noch viele andere Stoffe und Studienfächer.»

Was das Hebräische betraf, hatte der Theologiestudent den Vorteil, dass er Neuhebräisch, Ivrith, schon gelernt hatte. Und das kam so: «Neun Monate habe ich in ­einem Hotel in Jerusalem gearbeitet, als Tellerwäscher und an der Rezeption. Eigentlich hatte ich ja ein Praktikum als Rezeptionist gesucht, im Hotel brauchte man aber dringend einen Tellerwäscher. Unser Kompromiss sah dann so aus, dass ich beides machte – nebenbei Ivrith lernte», erinnert sich Flütsch. «Israel hat mir sehr gefallen – das ist ein tolles Land.»

Das Vikariat ist die Pfarrerlehre

Ist, wer Theologie studiert und abgeschlossen hat, automatisch Pfarrer? «Nein», antwortet Flütsch. «Das Studium ist lediglich der theoretische Teil. Für die Ausbildung zum Pfarrer braucht es noch den praktischen Teil, ein Vikariat von einem Jahr Dauer, das ich jetzt in Berg am Irchel absolviere.» Dem Pfarrer bei der Arbeit zuschauen, ihm assistieren, schliesslich seine Aufgaben sukzessive übernehmen – das ist das Vorgehen, durchaus alte Schule, aber bewährt. «Natürlich muss das Gespann passen, wie in jeder anderen Lehre auch. Und die Kirchgemeinde, in meinem konkreten Fall die Kirchgemeinde Flaachtal, muss das Ausbildungsverhältnis mittragen», bemerkt Flütsch.

Der Arbeitsmarkt für Pfarrer sehe von Jahrzehnt zu Jahrzehnt anders aus, sagt Flütsch: «Momentan ist es nicht schwierig, eine Stelle zu finden, für jemanden wie mich, Deutschschweizer mit Familie, gibt es da überhaupt keine Sorgen.»

Was ist, wenn Gemeinden ihre Pfarrstellen zusammenlegen? «Sie meinen Pfarrer­Sharing? Diesen Trend gibt bei uns wie in anderen Berufen heute auch – in der Buchhaltung oder im Sekretariat. Früher wurden im Kanton Bern die Grenzen der Pfarrgemeinden so gezogen, dass die Kirchbürger mit dem Pferdefuhrwerk zur Predigt nicht länger als eine Stunde unterwegs sein mussten – heutzutage kommt man in einer Stunde ja wesentlich weiter.»

Gegenwärtig sei kein Pfarrerüberschuss absehbar, in Graubünden zum Beispiel sei jede dritte Pfarrstelle mit Deutschen besetzt, die Landschaft sei «geradezu luthe­ranisch». Flütschs Vikariat dauert noch bis Ende Juli: «Im August trete ich meine erste hundertprozentige Pfarrstelle in Bussnang im Kanton Thurgau an.»

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