Tigerfinkli: «Sie hatten hier keine lange Tradition»

Thomas Martens | 
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Fritz Franz Vogel ging den Ursprüngen der Tigerfinkli auf die Spur. Bild: tma

Tigerfinkli gehören zur Diessenhofer Stadtgeschichte, obwohl sie hier nur wenige Jahre produziert wurden. In einer Ausstellung in der ehemaligen Fabrik zeichnet Fritz Franz Vogel ihre Geschichte nach – und räumt mit so manchen Mythen auf.

Der Diessenhofer Kulturhistoriker Fritz Franz Vogel zeigt in seiner neuen Ausstellung «Tigerfinkli – der Versuch, eine Legende zu berichtigen» ein Stück lokaler Gewerbegeschichte und wie diese überregional, ja international zusammenhängt. Unter die kommerziellen Exponate sind Werke von Kunstschaffenden gemischt, die das Tigerlithema aufgreifen. Weil es für Tigerfinkli nie Werbeplakate gab, hat seine Frau Andrea Buck 20 fiktive Sujets gestaltet, also quasi fast für jedes Jahrzehnt ihres Bestehens eines. Zur Ausstellung ist zudem eine 256-seitige Dokumentation erschienen.

Herr Vogel, Sie versuchen mit Ihrer Ausstellung eine Legende zu berichtigen. Was meinen Sie damit?

Fritz Franz Vogel: Da muss ich etwas weiter ausholen...

So viel Platz haben wir nicht...

Gut, dann die Kurzfassung. Die Tigerfinkli wurden nur für kurze Zeit in Diessenhofen hergestellt, von 1982 bis 1990. Sie hatten hier also eigentlich gar keine lange Tradition, wie das häufig angenommen wird.

Es gibt sie aber doch schon länger...

Das ist richtig und wird in der Ausstellung auch beschrieben. Wer sie erfunden hatte, konnte ich nicht restlos klären. Überliefert wird, dass es 1938 Edi Glogg in Fehraltorf gewesen sei. Sie sind aber wesentlich älter. Die Schweizer Schuhfirma Bally aus Schönenwerd führte bereits ab 1890 einen Hausschuh aus «Velours tigré» im Programm. Und im September 1917 wurde der «Damen-Morgenpantoffel» und der «Kinder-Pantoffel» inklusive frankophonem Pompon erstmals im Zürcher Jelmoli-Katalog zum Verkauf angeboten und abgebildet, und zwar unter der Bezeichnung «Tigerli».

Das heisst, die Tigerfinkli wurden anfangs nicht in Diessenhofen gefertigt?

Glogg stellte die Tigerfinkli bis zur Geschäftsaufgabe im Jahr 1982 in Fehraltorf für die Grossfirma Bally her. Erst als ich von Freunden Kinderbilder von 1940 mit Tigerfinkli erhalten hatte, auf denen Bally steht, wurde mir das klar. Dann recherchierte ich weiter. Die Ergebnisse stelle ich nun in der Ausstellung und in der Begleitdokumentation vor.

Und wie kam die Fabrikation nach Diessenhofen?

Die Produktion wurde nach der Betriebsschliessung nach Diessenhofen verlagert, wo Karl Russ bereits seit 1908 Schuhe produzierte. Nachdem zwei Söhne den Betrieb weitergeführt hatten, übernahm 1976 Urban Aschwanden die Schuhfabrik und gliederte 1982 die Tigerfinkli-Maschinen aus Fehraltorf in die Haus- und Geräteschuhproduktion ein. Bereits 1986 gab Aschwanden jedoch die Schuhproduktion auf und verkaufte sie dem Goldauer Hans-Ruedi Dussling.

Das heisst, die Tigerfinkli waren eigentlich immer eher ein Nebenprodukt?

Ja, das stimmt. Doch unter Dussling gab es eine wesentliche Änderung, die bis heute besteht. Er brachte die Tigerfinkli neu unter dem geschützten Label «Tiger Swiss» auf den Markt. Zudem hatte er das Sortiment mit diesem ikonischen und einmaligen Stoffmuster stark erweitert mit Taschen oder Stofftieren. Doch 1990 war in Diessenhofen Schluss. In einer Nacht- und Nebelaktion verlagerte er die Produktion ins kostengünstigere Polen, führte aber bis zu seinem Tod 2015 das Geschäft von Goldau aus.

Die Tigerfinkli gelten ja als Schweizer Produkt, Swissness pur...

Nach dem Tod von Dussling wurde die Marke von zwei Zürchern übernommen. Das ist dann aber auch schon das einzige Schweizerische daran. Der Velours-Stoff kommt aus Deutschland, wird in Österreich bedruckt, geht dann nach Polen und wird dort weiterverarbeitet. Deshalb dürfen die Waren nicht als Schweizer Produkte verkauft werden, sondern bloss «Made in EU».

Für die neue Ausstellung mussten Sie sicherlich eine aufwendige Recherche betreiben...

Das hat etwa anderthalb Jahre gedauert. Ich wusste, dass Jelmoli die Tigerfinkli im Programm hatte. Doch wie komme ich an einen Katalog ran? Ein privater Sammler erzählte mir, dass es in Basel im Museum der Kulturen welche hätte. Zunächst hiess es, man wisse nichts davon. Doch nach hartnäckigem Nachfragen haben sie tatsächlich welche in ihrem nicht katalogisierten Bestand gefunden. Sie waren aber nicht vollständig. Dann habe ich bei Jelmoli direkt angefragt, wo es hiess, dass kurz zuvor der Gesamtbestand dem Stadtarchiv Zürich übergeben wurde. Dann habe ich dort das September-Heft gefunden. Noch wichtiger waren aber die Preiskataloge im Bally-Archiv.

Haben Sie als Auswärtiger keine Angst, jetzt als Nestbeschmutzer bezeichnet zu werden, der den Diessenhofern ein Stück ihrer Identität wegnimmt?

Nein, überhaupt nicht. Die heutige Firma datiert den Ursprung immer auf das Jahr 1938, doch das stimmt einfach nicht. Als Historiker muss ich da glaubwürdiger sein und der Sache auf den Grund gehen. Das Gespür für Textiles begleitet mich seit Jahrzehnten. Zudem wollte ich auch ein Stück der lokalen Gewerbegeschichte aufarbeiten. Das Fabrikgebäude, in dem die Ausstellung stattfindet, wurde 1963 als Schuhfabrik an den Vorgängerbau angebaut und sieht aus wie eine grosse Schuhschachtel. Das ist ein Auftrag!

Die Ausstellung wird am Sonntag, 24. April, um 14 Uhr eröffnet. Sie dauert bis zum 15. Mai. Öffnungszeiten Donnerstag bis Sonntag, jeweils 14 bis 18 Uhr.

Zur Person

Fritz Franz Vogel (65) kommt ursprünglich aus Luzern. Er war zunächst Heilpädagoge, hat sich dann zum Fotografen weitergebildet, Volkskunde und Kunstgeschichte studiert und in Kunstgeschichte promoviert. 2013 kaufte er in Diessenhofen die ehemalige Tigerfinklifabrik. Hier wohnt und arbeitet er zusammen mit seiner Frau Andrea Buck, die im grafischen Bereich tätig ist.

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