Lohncharta: «Man verliert ja nichts»

In Diessenhofen verdienen Männer und Frauen im öffentlichen Sektor gleich viel. Dies hat die Stadt bestätigt. Trotzdem hat sie die Charta zur Lohngleichheit unterschrieben. Wieso?
«Eigentlich», sagt Markus Birk, als er den Kugelschreiber auf einem rot-weissen Dokument ansetzt, «müssten wir ja nicht unterschreiben. Aber wir wollen nun mal ein Zeichen setzen.» Ein Zeichen gegen Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau im öffentlichen Sektor meint der Diessenhofer Stadtpräsident damit. Dies ist zwar seit 1981 in der Verfassung verankert – trotzdem stellte das Bundesamt für Statistik noch immer eine Abweichung von rund 20 Prozent fest. Für Alain Berset war das Anlass, 2016 die besagte Charta zu erstellen – und für Birk, vorgestern seine Unterschrift darunterzusetzen.
Animiert haben ihn und den Stadtrat, der an der Sitzung am 18. Dezember 2018 seine Zustimmung gab, zwei Anfragen von SP und CVP Mitte letzten Jahres. In der Folge machte sich Markus Birk daran, zu überprüfen, ob in Diessenhofen Handlungsbedarf besteht.
Stein am Rhein entschied sich dagegen
«Nein, tut es nicht», war die Erkenntnis nach einigen Nachforschungen im Rahmen der Mitarbeitergespräche und in Lohnklassenlisten. Eigentlich erfreulich. Weshalb wollte der Stadtpräsident die Charta aber trotzdem unterschreiben? «Für uns ist es ein Statement, dass wir die Lohngleichheit einhalten, fördern und dazu stehen», erklärt Markus Birk. «Sollte man es nicht zeigen, wenn man für eine gute Sache einsteht?» Dieselbe Frage stellte sich auch Stein am Rhein letztes Jahr.
«Für uns ist es ein Statement.»
Markus Birk, Stadtpräsident , Diessenhofen
In der Einwohnerratssitzung Anfang April 2018 entschied sich der Stadtrat jedoch dagegen, die Charta zu unterschreiben. «Wir haben keine Kenntnis von relevanter Lohnungleichheit», sagte Stadtpräsident Sönke Bandixen. Für ihn gab es also keinen Grund für eine Unterschrift. Markus Birk findet das schade. Laut ihm gibt es zwei Gründe, weshalb eine Gemeinde darauf verzichtet, das Dokument zu unterschreiben.
Keine Lohnerhöhungen
Entweder gibt es keinen Handlungsbedarf – wie in Stein am Rhein. «Dann verliert man aber nichts, wenn man trotzdem unterschreibt. Im Gegenteil», so Markus Birk. Oder die Gemeinde befürchtet, dass es Lohndifferenzen gibt. «Das hat natürlich budgettechnische Folgen», so der Stadtpräsident. Es muss überprüft werden, ob gewisse Funktionsträger wie die Einwohnerkontrolle entsprechend bezahlt werden. Zu Lohnerhöhungen führe es jedoch nicht, so Birk. Die Charta verleihe lediglich «Nachdruck, nochmals genau hinzuschauen».
Neun Gemeinden dabei, Kanton nicht
Ob bei den diversen Schweizer Gemeinden, die sich gegen die Charta entschieden, die erwähnten Befürchtungen der Grund waren, bleibt offen. Wünschen würde sich Markus Birk jedenfalls, dass der Kanton Thurgau nachzieht – gerade, nachdem die Kantone St. Gallen und Zürich die Charta unterschrieben haben. Der Kanton Schaffhausen lehnte dies – im Gegensatz zur Stadt – im Sommer 2017 knapp ab. «Die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau ist zwar wichtig, die Charta führt aber nur zu Mehraufwand», begründeten dies die meisten Bürgerlichen im Kantonsrat (SN vom 3. Juli 2017). Dieser Mehraufwand ist für Markus Birk nicht ausschlaggebend. «Es ist ja nicht so, dass man als Gemeinde die Lohngleichheit von einem Tag auf den anderen ausnahmslos erfüllen müsste», sagt er. Man könne sich schrittweise annähern, wie es bereits die Thurgauer Gemeinden Schlatt, Tägerwilen, Altnau, Salmsach, Tobel-Tägerschen, Bischofszell, Hüttlingen und Wigoltingen taten. Markus Birk freut besonders, dass auch kleinere Gemeinden dafür einstehen. Gerade erst hat er die unterschriebene Charta an das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann nach Bern geschickt. Bald kann er das offizielle Zertifikat in den Händen halten.
In der Schweiz haben die Charta für Lohngleichheit bisher der Bund, 15 Kantone und 57 Gemeinden unterschrieben (Stand November 2018). Ein Jahr nach Einführung der Charta waren es zwölf Kantone und 23 Gemeinden. Es ziehen also besonders bei den Gemeinden immer mehr Unterzeichnende nach.