«Wir haben noch nie etwas vermisst»

Darina Schweizer  | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare

In der Steiner Altstadt zu wohnen, soll attraktiver werden. Ivo Spalinger, der mit seiner Familie in einem Altstadthaus lebt, findet: «Das ist es bereits.»

«Attraktives Wohnen in der Altstadt», dieses Thema ist in Stein am Rhein allgegenwärtig und stets aktuell. Nicht nur der Stadtrat hat sich als Legislaturschwerpunkt die «Revitalisierung der Altstadt» gesetzt. Auch die Jakob-und-Emma-Windler-Stiftung kann durch ihre Neuausrichtung leer stehende und sanierungsbedürftige Altstadthäuser kaufen, renovieren und vermieten. Hinter alten Fassaden soll helles, modernes oder kurz: «zeitgemässes Wohnen» entstehen. Wie sehen jedoch Familien, die bereits in der Altstadt leben, die Wohnsituation in alter Bausubstanz? Vermissen sie die Vorzüge moderner Einfamilienhäuser in der Agglomeration?

In der Summerserie «Dorfplatzgeschichte» haben die Schaffhauser Nachrichten der Familie Spalinger einen Besuch abgestattet. Sie kennt sich sehr gut mit dem Wohnen in Altstädten aus. Die Spalingers lebten schon mitten im Zentrum von Steckborn, Bern, Biel und seit 2010 jetzt auch an der Chlini Schanz 25 in Stein am Rhein – eine richtige Altstadtamilie also. Mit dem Herzen blieben sie jedoch immer in Stein am Rhein.

«Alte Bausubstanz ist kein Hindernis»

Ivo Spalinger wie auch seine Frau sind in Stein am Rhein «vor der Brugg» aufgewachsen. In ihren 20ern verliessen sie das Städtchen aus beruflichen Gründen für einige Jahre. Doch vor rund acht Jahren zog es sie zurück zu ihren Wurzeln, als sie im Internet das 1865 erbaute Haus an der Chlini Schanz 25 entdeckten. «Wir wollten schon immer etwas Eigenes und Erschwingliches», sagt Ivo Spalinger. «2010 landeten wir eine Punktlandung.» Zu dieser gehörte auch einiges an Arbeit. Das Erdgeschoss ihres Hauses war zwar im Jahr 2000 umfangreich renoviert worden, doch das Obergeschoss im 60er-Jahre-Stil musste umgebaut werden. «Das hat dem Haus nicht entsprochen», so der Steiner. «Deshalb wollten wir die ursprüngliche Bausubstanz von 1865 wieder hervorholen.» Da die Spalingers ein begrenztes Budget hatten, machten sie einiges selbst und gingen Schritt für Schritt vor. «So konnten wir immer wieder etwas sparen und haben dann das nächste Projekt angepackt», sagt Ivo Spalinger.

Sohn Mathis freut´s. Er hat durch den Umbau unter dem Dach ein grosses Kinderzimmer erhalten. Auf den Balken aus 1865 thront sein Spielzeug und der alte Tannenriemenboden ist genug robust, um ausgelassen darauf zu spielen. «Die alte Bausubstanz ist kein Hindernis», betont Ivo Spalinger. «Im Gegenteil. Dadurch wird das Haus lebendig.» Um dies zu demonstrieren, nimmt der Steiner die SN mit in seinen Keller, in welchem ein ungewöhnlich kühles Klima herrscht. Und auch die Luftfeuchtigkeit ist auffallend hoch. Unterhalb der alten Stadtmauer, die im Keller der Spalingers noch immer zu erkennen ist, drückt regelmässig Grundwasser durch. «Für Weinliebhaber ist das ein kleines Paradies», meint Ivo Spalinger. Auch hier unten mussten einige Sanierungs- beziehungsweise Dämmarbeiten durchgeführt werden. Die Familie Spaliner arbeitete schon mehrmals eng mit der kantonalen Denkmalpflegerin, Flurina Pescatore, zusammen. «Es klappte immer reibungslos mit ihr», betont Ivo Spalinger. «Sie hat vermutlich von Anfang an gespürt, dass wir unser Haus nicht ‹verrenovieren› wollten.» Der Steiner kann nicht nachvollziehen, weshalb die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege oft kritisiert wird. Bei seiner Arbeit habe er oft mit der Denkmalpflege Thurgau zu tun und auch da noch nie das Gefühl gehabt, die Arbeit mit dem Amt laufe kompliziert oder gar bauverhindernd ab.

Viele Vorteile in der Altstadt

Und noch etwas versteht der Steiner nicht: weshalb das Leben als Familie in der Altstadt nicht attraktiv sein soll. «Wir haben noch nie etwas vermisst, was wir in einem modernen Haus vielleicht gehabt hätten», sagt er. So sei das Parkieren beispielsweise kein Problem, sagt Spalinger und zeigt zum Schulhaus Schanz hinüber. Die Familie hat auf dem Nudeli-Areal hinter dem Schulhaus, rund 100 Meter von ihrem Zuhause entfernt, einen städtischen Parkplatz gemietet. «Wenn man einmal viel zu tragen hat, hält man halt kurz vor der Haustür», sagt der Steiner. Für ihn hat das Leben in der Altstadt nur Vorteile. Einer davon sei die altersdurchmischte Struktur im Städtchen. Neben den Spalingers wohnt beispielsweise Familie Weber, ein über 80-jähriges Paar, vis-à-vis eine Familie mit älteren Kindern und wenige Häuser weiter ein alleinstehendes Paar sowie eine junge Familie im selben Haus. Das habe man in einem neuen Einfamilienhausquartier, in welchem mehrheitlich Familien mit Kindern ähnlichen Alters einziehen würden, nicht oder erst nach Jahrzehnten. «Die Altersunterschiede beleben die Kommunikation und das Zusammenleben zwischen den Leuten, die hier wohnen. Ausserdem hilft man sich immer aus, wo man kann.» Auch die Nachbarschaftswache funktioniere einwandfrei. Man nehme es noch wahr, wenn man einmal weg sei, behalte aber trotzdem die nötige Privatsphäre. Und nicht zuletzt befinde sich alles, was man brauche, in Fussdistanz. Kaum hat er es gesagt, stürmt Sohn Mathis in Schwimmmontur ins Wohnzimmer – er kommt direkt vom Rhein, wo er anschliessend noch fischen geht. «Uns fehlt es wirklich an nichts», sagt Ivo Spalinger.

Dass es aber durchaus Besitzer von renovierungsbedürftigen Häusern in der Altstadt gibt, die auf Hilfe angewiesen sind, davon ist der Steiner überzeugt. Deshalb hält er es für sinnvoll, dass die Jakob-und-Emma-Windler-Stiftung neu Immobilien kaufen, renovieren und vermieten kann, «solange sie den Liegenschaftsmarkt nicht zu stark beeinflusst». Dass Häuser dadurch «ausgehöhlt» werden, glaubt er nicht. «Das sind alles Fachleute, die sich damit beschäftigen. Sie haben das nötige Fingerspitzengefühl.» Das Einzige, was Ivo Spalinger noch vermisst, ist ein klarer und umsetzbarer Masterplan der Stadt. Man solle sich genau überlegen, wohin man wolle, was konkret Wohnqualität ausmache und dies für alle Generationen. «Dazu gehört für mich nicht zwingend, dass jeder einen Lift oder Parkplatz hat.»

Stein am Rhein ist bekannt für seine idyllische Lage am Rhein , den gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtkern mit seinen Fassadenmalereien und den Tourismus . Die Altstadt hat jedoch zunehmend mit leer stehenden Häusern zu kämpfen und möchte deshalb das Wohnen darin attraktiver machen.

SN-Dorfgezwitscher: Die Steiner lieben das Städtli, aber es gibt ein Sorgenkind

Historisches Flair, direkt am Rhein gelegen, bezahlbare Wohnungen: Die Steiner sind stolz auf ihr Städtli. «Wir haben es mega schön hier», findet Cyril Buland.

«Alles ist klein und überschaubar, das Leben ist nicht zu teuer, und am Rhein kann man viele Leute kennenlernen.» Besonders gut gefällt es ihm im Sommer: «Dann ist immer etwas los.» Zum Beispiel die Summerfeverparty am Rhein, die morgen stattfindet. «Die ist vor allem für junge Leute toll.» Eines bedauert er: «Es gibt hier nicht viele Orte, wo man abends hin kann – man muss oft nach Schaffhausen.» Er wünscht sich, dass das Angebot für Junge ausgebaut wird.

Das sieht auch Fredi Leibacher so.

«Ich wünsche mir, dass mehr Familien mit Kindern zuziehen, damit unser Postkartenstädtli belebt wird.» Denn besonders im Winter, wenn kaum Touristen unterwegs seien, werde es in Stein am Rhein sehr ruhig. Das müsste nicht sein, findet er. «Die Lebensqualität ist sehr hoch, trotzdem findet man hier noch bezahlbaren Wohnraum. Und wenn man über die Rheinbrücke geht und die Altstadt sieht, denkt man einfach: ‹Wow!›»

Auch Fredi Lengacher, ehemaliger Einwohnerrat, wünscht sich mehr Zuwachs in der Altstadt. «Leider entvölkert sich das Städtli.»

Auf der anderen Seite des Rheins entsteht ein Einkaufszentrum, die Migros verschiebt ihren Standort. «Für Rentner wie mich, Behinderte oder Menschen ohne Auto wird es schwierig, da hinzukommen.» Wenn die Steiner in Zukunft vermehrt «vor de Brugg» einkaufen, tue das auch dem Gewerbe im Städtli nicht gut, denn dieses könne von den Touristen allein nicht leben. «Die kehren hier nicht ein.» Überhaupt, die Touristen: Zu denen haben die Steiner ein etwas gespaltenes Verhältnis. «Sie stören mich eigentlich nicht», sagt Hedy Messerli.

«Nur manchmal, wenn die ganze Altstadt voller Leute ist und dazwischen auch noch Velofahrer herumkurven und nicht absteigen, wird es etwas viel.» Der Rathausplatz gehört zu ihren Lieblingsorten im Städtli. «Hier gibt es die schönsten Häuser mit Wandmalereien, und hier treffen sich auch die Einheimischen.» Eine von ihnen ist Annet Schlegel.

Sie fände es schön, dass dem nördlichen Stadtteil ein Grossverteiler erhalten bleibt, wenn das Einkaufszentrum auf der anderen Rheinseite eröffnet. «Damit wir weiterhin hier einkaufen können.» Einen persönlichen Wunsch hat sie ausserdem: «Ich würde gern in eine der Alterswohnungen einziehen, welche die Genossenschaft Alterswohnungen Stein am Rhein erstellen will.» Ein solches Angebot fehle heute. (heu)

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren