«Manches kann man nie vergessen»



Alte Fotos, Dokumente und aufgezeichnete Erinnerungen sind das Herz der Ausstellung über die jüdische Familie Wolf im Museum Kunst + Wissen Diessenhofen. Die Vernissage war gut besucht.
«Wann ist eine Ausstellung erfolgreich?», fragte Walter Sommer, Stadtpräsident von Diessenhofen, rhetorisch und gab gleich selbst die Antwort: «Wenn sie auf Interesse stösst und Herz und Verstand anspricht.» Dass das in Diessenhofen der Fall ist, zeigte sich am Freitagabend. Gut 40 Leute waren gekommen und zeigten sich sichtlich bewegt von der Geschichte, die in Erinnerung gerufen und dokumentiert wird. Persönlich anwesend waren Gert Wolf und seine Tochter Deborah, für die die Begegnung mit der Familiengeschichte stets auch ein schmerzhafter Prozess ist. «Manche Ereignisse kann man nie vergessen», sagte Gert Wolf. Die Szene etwa, als sein Vater Nathan Wolf von Nazischergen im eigenen Haus zusammengeschlagen wurde.
Zeitgeschichte exemplarisch
Dank der umfassenden Recherche der Historikerin und Literaturwissenschafterin Anne Overlack, so Kuratorin Helga Sandl, könne die Geschichte der Wolfs von der Höri so eingehend dokumentiert werden. Dies, weil die Wolfs grosse Sammler waren und ihre Dokumente zur Verfügung stellten. Nathan Wolf, der Dorfarzt aus Wangen, der im Zentrum der Ausstellung steht, war jemand, der ahnte, dass seine Aufzeichnungen und Schriften in Zukunft noch eine Rolle spielen würden.
«Zunächst war die Familie Wolf eine ganz gewöhnliche Familie», betonte Overlack. «Ausser, dass sie jüdisch war.» Durch die Nazis geriet das intakte Familiengebilde in grosse Bedrängnis, und Nathan Wolf gelang es, nachdem er in Dachau gewesen war und überlebt hatte, ins Exil nach Stein am Rhein zu gehen. «Er wusste, dass er Dachau kein zweites Mal überleben würde», sagte Overlack. Wolf kam im «Rheinfels» bei Familie Scheitlin unter, im «Frohsinn» und später bei Familie Fräfel in Ramsen. Seine Familie blieb in Wangen zurück. «Auch wenn der räumliche Abstand zwischen den Familienmitgliedern in den ersten Jahren der Trennung wenige Kilometer betrug, war der Austausch untereinander auch in dieser Zeit nur noch per Brief möglich», sagte Overlack. Diese und die weitere Korrespondenz hat sie gesichtet und daraus sowie aus den Erzählungen von Hannelore König Wolf, der Tochter Nathans, ein exemplarisches Stück Zeitgeschichte erstellt.
«Man braucht Zeit, um die Geschichte in allen Details zu erfassen. Kommen Sie wieder», ermunterte Kuratorin Helga Sandl die Gäste und verwies auf die Führungen und den Dokumentarfilm von Marcus Welsch («Und dann waren wir wieder da, wo wir hingehören»), in dem Hannelore König und Gert Wolf ihr Leben erzählen. Die Fotos, Briefe und Dokumente in den Vitrinen sind nicht nur im Hinblick auf die Familiengeschichte der Wolfs spannend, sondern geben auch Stimmungen aus verschiedenen Zeitspannen wieder, die die Ausstellung umfasst. «Sie passt nach Diessenhofen, denn auch hier blicken wir direkt auf die Grenze», betonte die Kuratorin.
Wichtige Quellen angezapft
Overlack gab den Anwesenden einen kurzen Überblick über die Exponate in den Räumen. Dort erfährt man etwa anhand von Bildern und gemalten Briefen, wie Nathan Wolf während seines Exils Sonntag für Sonntag von einem Schiff auf dem Untersee seiner Familie am deutschen Ufer zuwinkte. Mit Blick auf die nächsten Generationen hatte er eigens einen Fotografen bestellt. Zu sehen sind auch alte Aufnahmen aus Wangen mit der Synagoge, von deren Existenz nur noch der Schlüssel in der Vitrine zeugt.
Overlack hat für ihre Recherchen zahlreiche Quellen in öffentlichen Archiven wie dem Schaffhauser Staatsarchiv angezapft, wo der Prozess über Nathan Wolf als «Emigrantenschlepper» dokumentiert ist. Er verhalf Verfolgten über die Grenze, wurde verurteilt und konnte nur dank der Protektion des damaligen Museumsdirektors Walter Guyan und dem Schaffhauser Stadtpräsidenten Walther Bringolf in der Schweiz bleiben. Er sprach später nie darüber. Seine Kinder erfuhren erst aus dem Buch von Franco Battel «Wo es hell ist, dort ist die Schweiz» davon.
Weit über einen Katalog hinaus geht Overlacks Buch, das sich auf Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen Manfred Bosch und Hannelore König stützt, ergänzt um eigene Recherchen und Dokumente, die 100 Jahre deutsche und jüdische Geschichte abbilden – von Januar 1912 bis Juli 2012, als Hannelore Wolf beim morgendlichen Bad im See ertrank.
Das Buch «In der Heimat eine Fremde» von Anne Overlack ist 2016 im Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen, erschienen.
Die Ausstellung «Die Wolfs. Geschichte einer Familie. Jüdisches Leben am Bodensee und Rhein» dauert bis 21. Juli. Sie ist mittwochs von 17 bis 19 Uhr und sonntags von 14 bis 18 Uhr offen. Führungen von Anne Overlack gibt es am 26. März, 23. April, 25. Juni und 9. Juli, jeweils um 14.30. Der Eintritt kostet 8 Franken.