Als Strassenmusiker in der Schaffhauser Altstadt unterwegs

Ralph Denzel | 
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Man hört sie im Sommer an fast jeder Ecke: Strassenmusiker. Wie mag es sich wohl anfühlen, für einmal in deren Rolle zu schlüpfen? Das will der Autor dieses Artikels herausfinden, mit seiner Mini-Gitarre. Ein Selbstversuch.

Es ist ein heisser Tag in Schaffhausen. Schattenplätzchen sind willkommene Abwechslungen von der Hitze und der Sonne, die auf die Pflastersteine der Altstadt knallt. Trotzdem schwitze ich an diesem Tag nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen, sondern auch wegen der Nervosität. Seit 25 Jahren spiele ich Gitarre, habe schon in diversen Bands gespielt, sogar schon vor 2000 Personen – aber so nervös wie heute war ich wohl noch nie.

Ich will mich an diesem Tag als Strassenmusiker behaupten, einen der ungefähr 170 Musikerinnen und Musiker werden, die jedes Jahr die Schaffhauser Strassen mit schönen Klängen erfüllen. Dafür brauche ich aber erstmal eine Bewilligung – ohne die ist es nicht erlaubt, auf der Gasse Musik zu machen. Diese muss ich bei der Stadtpolizei, genau genommen bei Baudoin Bächtold, holen.

Der Mann für die Bewilligung: Baudoin Bächtold. Bilder: OPP

Dieser steht hinter der Empfangstheke der Polizeistation in der Beckenstube und erwartet mich.

Fragen und ein Vorspiel

Eine Bewilligung zu bekommen ist aus bürokratischer Sicht sehr einfach, wie ich feststelle. Es geht los mit ein paar Fragen, die jeder Musiker, der bereits an meiner Stelle stand, beantworten musste.

«Waren Sie schonmal hier?» - «Nein.» Wäre ich bereits registriert als «Strassenmusiker», wäre die Sache hier schon beendet und ich könnte meine Bewilligung sofort haben. Die Stadtpolizei führt eine Kartei der Künstlerinnen und Künstler, genau für solche Zwecke.

«Können Sie mir Ihr Instrument zeigen?» Ich hebe meine «Gitarrlele» hoch, ein Hybrid aus Gitarre und Ukulele. Bächtold zählt die Saiten und schaut sich das Instrument an, ob es funktionstüchtig ist. «Wenn Saiten fehlen würden, oder das Instrument demoliert wäre, würde die Sache hier schon vorbei sein», erklärt er mir.

Ich fühle mich wie in einer Castingshow.

Dann kommt der Stadtpolizist hinter der Theke hervor. Ich muss vorspielen. Das hatten wir schon im Vorgespräch geklärt, aber trotzdem steigt meine Nervosität noch mehr an. Was spiele ich? Ich habe mir für den Tag ein Repertoire mit verschiedenen Liedern zusammengestellt, knapp 20 an der Zahl. Ich wähle einen unverfänglichen Klassiker, «Tears in Heaven» von Eric Clapton, denn dieses Lied spiele ich schon seit knapp 20 Jahren regelmässig und fühle mich sicher darin.

Bächtold muss gar nicht das ganze Lied hören: Ich bin kurz vor dem Refrain, als er die Hand hebt und «gut» sagt. Ich fühle mich wie in einer Castingshow.

«Jetzt möchte ich nochmal ein ganz anderes Lied hören, damit wir sichergehen können, dass Sie nicht nur eines können», sagt der Stadtpolizist. Ich entscheide mich für «Tennessee» aus dem Film «Pearl Harbor». Auch das kommt an, Bächtold nickt zufrieden und geht wieder hinter den Schalter.

«Wir wollen sichergehen, dass diese Person auch etwas kann», erklärt er mir in unserem späteren Gespräch. Er selbst könne keine Noten lesen und würde auch kein Instrument spielen. «Aber ich habe ein gutes Gehör», sagt er und lächelt.

Dann bekomme ich meine Genehmigung. Ein kleiner Zettel, auf dem mein Name, die Anzahl der «Musiker» und das Datum vermerkt ist. Diese ist den Tag über gültig, von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr. Damit bekomme ich auch eine ganze Reihe von Auflagen, an die ich mich halten muss.

Meine Bewilligung für den Tag.

«Strassenmusiker dürfen nicht auf dem Fronwagplatz spielen», erklärt Bächtold. Der Grund: Da das der Hauptplatz in Schaffhausen ist, befürchtet man, dass sich dort zu viele Musiker ansammeln könnten. Auch ist es verboten, elektrische Geräte in irgendeiner Form mitzuführen. Wenn ich also etwa «Hintergrundbegleitung» für meine Musik über einen MP3-Player hätte abspielen wollen, wäre mein Selbstexperiment hier zu Ende.

Für die Bewilligung muss ich 20 Franken zahlen, dann bekomme ich den Stempel der Stadtpolizei und los geht's.

«Ehrlichstes Feedback»

Ich platziere mich zuerst auf der Vordergasse, in Sichtweite der Schaffhauser Nachrichten, vor der Ritter-Apotheke. Dort hat es genügend Schatten und heiss ist mir an diesem Tag sowieso schon genug. Als «Hut» für Spenden dient eine kleine Tasche, die ich bei uns im Büro gefunden habe.

Es geht los.

Ich klappe meinen Stuhl auf, lege mein «Spendenkässeli» vor mir hin – und lege los. Meine Finger sind steif, während ich die ersten Töne anschlage, wieder «Tears in Heaven», zum Reinkommen.

Es gibt nur mich, meine Gitarrlele und die Passantinnen und Passanten der Schaffhauser Altstadt.

Tausend Gedanken schiessen mir durch den Kopf und auch ein Satz, den Bächtold mir mitgegeben hat: «Bei Strassenmusik bekommt man die reinste Form des Feedbacks. Entweder die Leute bleiben stehen und hören einem zu, oder sie gehen einfach weiter.»

Ein paar Leute hören mir am Anfang noch wirklich zu.

Mein Feedback ist am Anfang recht positiv. Einige Leute bleiben stehen, etwa ein paar asiatische Touristinnen, aber Geld geben mir die wenigsten. Irgendwann wirft mir ein junger Mann ein paar Rappen in die Tasche – worüber ich so überrascht bin, dass ich mich verspiele. Hier gibt es keine «zweite Chance», kein «Moment, nochmal von vorne», wie etwa bei Proben. Es gibt auch keine anderen Musiker, die die Fehler eventuell kaschieren könnten. Es gibt nur mich, meine Gitarrlele und die Passantinnen und Passanten der Schaffhauser Altstadt.

Unsichtbar

30 Minuten bleibe ich an dieser Stelle. Irgendwann merke ich, dass die Anspannung abfällt und ich «freier» aufspielen kann. Dann muss ich den Platz wechseln. Insgesamt habe ich bisher rund fünf Franken eingenommen.

Nach oben, Richtung Fronwagplatz, darf ich nicht, denn ich muss – auch eine Vorgabe – «den Platz deutlich wechseln». Auch wenn man mir nicht erklärte, was das bedeutete und ich in meiner Nervosität vergass, das zu fragen, versuche ich dieser Aufforderung nachzukommen. Ich gehe auf den Platz vor der Kirche St. Johann, platziere mich jetzt etwas mehr in der Mitte.

Vor der St. Johann werde ich kaum mehr beachtet.

In der Vordergasse hatte ich das Gefühl gehabt, die Leute sehen mich kaum, jetzt bekomme ich das Gefühl, ich sei unsichtbar. Passanten eilen an mir vorbei, ohne einen Blick auf mich zu werfen, geschweige denn, auch nur ein paar Sekunden meinem Spiel zu lauschen. Geld bekomme ich hier auch keines mehr.

Frustriert klappe ich meinen Stuhl zusammen, verpacke mein Instrument.

Wie wenig man mich beachtet, merkt man etwa an einer älteren Dame, die so nahe an mir vorbeiläuft, dass sie fast meine Tasche umstösst, aber mich weiterhin nicht wahrzunehmen scheint. Auch wenn es nur ein Experiment ist, fühle ich mich immer frustrierter. Meine Finger fliegen über die Saiten, aber keinen scheint es zu interessieren.

Der Frust nach dem Auftritt

Hat Schaffhausen Strassenmusiker satt? Liegt es an dem Ort, oder etwa gar an dem Instrument? Würde ein Albhornbläser mehr Aufmerksamkeit bekommen, einfach, weil sein Instrument durch dessen schiere Grösse auffälliger und zugleich seltener ist?

30 Minuten vergehen wie im Flug. Wir haben für das Experiment eine Stunde eingeplant, diese ist jetzt vorbei. Ich stelle meine Mini-Gitarre weg. Meine Finger sind wund und tun weh und mein Beutel ist immer noch fast leer.

Frustriert klappe ich meinen Stuhl zusammen, verpacke mein Instrument.

Insgesamt habe ich etwa fünf Franken eingenommen, für eine Stunde Spielen. Ein Minusgeschäft von 15 Franken.

Ernüchterung macht sich bei mir breit. Immerhin bauen mich die Kolleginnen, die den Versuch filmten, danach etwas auf: «Das hat echt toll geklungen», sagen beide einhellig. Ich hoffe, auch das zählt zu dem «ehrlichsten Feedback», welches Bächtold angesprochen hat und mache mich auf den Weg zurück in die Redaktion.

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