SBI: Schwammig oder notwendig?

Clarissa Rohrbach | 
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Pentti Aellig (SVP) und Thomas Hauser (FDP) streiten über den Nutzen der Selbstbestimmungs-Initiative. Bild: Selwyn Hoffmann

Für die beiden Schaffhauser Kantonsräte steht bei der Selbstbestimmungs-Initiative (SBI) viel auf dem Spiel. Ein Streitgespräch.

Herr Aellig, das internationale Völkerrecht ist eine wichtige Errungenschaft. Warum wollen Sie dieses beschneiden?

Pentti Aellig: Wir wollen es keineswegs beschneiden. Das Völkerrecht muss respektiert werden, ausser wenn es im Widerspruch mit der Schweizer Verfassung steht. Einzige Ausnahme ist das zwingende Völkerrecht, wie beispielsweise das Folterverbot. Aber das ist in der Schweiz sowieso kein Thema. Die grösste Folter, die wir in Schaffhausen kennen, sind die langen Kantonsratsdebatten (lacht).

Herr Hauser, die direkte Demokratie ­zeichnet die Schweiz aus. Warum wollen Sie diese nicht stärken?

Thomas Hauser: Unsere direkte Demokratie funktioniert bestens, wir müssen sie nicht stärken. Ausserdem tut das die Initiative gar nicht, denn sie schiesst ins Leere. Die Initiative wirft nur Fragen auf, löst aber nichts. Der Entscheid des Bundesgerichts von 2012 hat nichts verändert. Es gilt das Gleiche wie früher. In diesem Einzelfall hat das Bundesgericht die Menschenrechte höher gewichtet, das müssen wir akzeptieren. Deswegen gilt unsere Verfassung aber immer noch.

Aellig: Die Entscheide des Bundesgerichts stehen nicht zur Diskussion. Das Problem ist, wenn Strassburg ein Urteil des Bundesgerichts aufhebt. Das darf nicht sein.

Hauser: Auch in Strassburg sitzen Schweizer Richter.

Aellig: Was das Bundesgericht entscheidet, gründet auf der Schweizer Verfassung. Das Einzigartige in der Schweiz ist, dass wir diese jederzeit anpassen können. So kann das Volk dem Parlament, aber auch dem Gericht vorschreiben, was es will. Das können andere Länder nicht.

Es stand aber auch schon viel Absurdes in der Verfassung, wie zum Beispiel ein Absinth- oder ein Jesuitenverbot.

Aellig: Klar gibt es absurde Forderungen. Nehmen wir die Hornkuh-Initiative. Würde diese angenommen, würden wir von der ganzen Welt belächelt. Doch ich finde unsere Verfassung genial, sie hat zu Wohlstand und Rechtssicherheit geführt. Klar, sie enthält einen wahnsinnigen Ballast von Formulierungen, die vielleicht nicht nötig sind. Doch schliesslich ist die Verfassung sehr feinfühlig und austariert. Und jetzt stellen wir fest, dass diese immer mehr von internationalem Recht untergraben wird.

Hauser: Das ist doch genau das Schöne in der Schweiz. Dass so ein Biobauer wie Armin Capaul Unterschriften sammeln kann, um sein Anliegen einzubringen. Solch eine Volksinitiative ist ehrlich. Die SBI hingegen ist unheimlich kompliziert und wirft unzählige Fragen auf. Ich bezweifle, dass die Stimmbürger das verstehen. Die SBI wäre eine typische parlamentarische Initiative gewesen. Der Nationalrat hätte sich zusammen mit Fachleuten damit befassen müssen. Indem die SVP diese Initiative vors Volk bringt, will sie nur im Gespräch bleiben.

Die SBI wurde also zum Eigennutzen ­lanciert?

Hauser: 1992, beim Nein zum EWR-Beitritt, war ich noch auf der Seite von Christoph Blocher. Doch seither ist die EU für die SVP der Feind. Deswegen versucht man alle paar Jahre das wieder hochzustilisieren. Obwohl niemand in Bern in die EU will. Doch um dieses Dauerthema immer wieder unters Volk zu bringen, erfindet die SVP immer neue Initiativen, die sehr fragwürdig sind. So bleibt sie immer in den Medien. Hätte man die SBI als parlamentarische Initiative ausgearbeitet, wäre viel weniger darüber berichtet worden.

Aellig: Das Volk muss sagen, was es will, dann kommt’s gut. Ausserdem machen Sie einen Denkfehler, Herr Hauser. Sie behaupten, die SBI sei eine reine SVP-Initiative, das stimmt eben nicht. Nationalrat Hans-Ueli Vogt ist zwar der Urheber der Initiative, und er hat mehrheitlich die SVP mobilisiert, doch viele andere Sponsoren stammen aus überparteilichen Kreisen. Deswegen tritt die Kampagne auch ruhig und faktenorientiert auf. Das steht diametral gegen den Alarmismus der Gegner, welche eine Bedrohung für unseren Wohlstand heraufbeschwören.

Herr Hauser, die Gegner warnen vor der Kündigung von internationalen Verträgen. Ist das Panikmache?

Hauser: Das ist kein Alarmismus. Im Initiativtext steht: Scheitert die Anpassung der internationalen Vereinbarung, muss diese «nötigenfalls» gekündigt werden. Das führt zu einem gefährlichen Kündigungsautomatismus.

Wer entscheidet denn, was «nötigenfalls» heisst? Ist das nicht Aufgabe des Parlaments? Also wären wir wieder beim Anfang.

Aellig: Tatsächlich ist diese Formulierung eine juristische Unschärfe. Wahrscheinlich müssten wieder die beiden Kammern des Parlaments zusammen mit dem Bundes- rat entscheiden, wie das Problem gelöst wird. Doch der Unterschied zu heute wäre, dass der Verfassung nicht widersprochen werden darf.

Hauser: Und wenn man in Bern nicht weiss, wie mit dieser schwammigen Formulierung umzugehen ist, dann kommt die SVP wieder und sagt: «Ihr habt den Volkswillen nicht umgesetzt.»

Economiesuisse redet von 600 internatio­nalen Verträgen, die neu ausgehandelt ­werden müssten. Ist das übertrieben?

Aellig: Völlig. Die Schweiz hat 4000 multilaterale und 1000 bilaterale Verträge. Ein paar wenige müssten nachverhandelt werden. Doch von Euch Gegnern höre ich nie, welche Verträge denn genau gefährdet sind. Alle 5000 Verträge sind von grossem Nutzen für beide Seiten. Auch die anderen Partner haben ein Interesse daran, die Abkommen nicht zu kündigen. Deswegen kann man davon ausgehen, dass einzelne Nachverhandlungen kein Problem wären.

Hauser: Alle Verträge, welche die Schweiz abgeschlossen hat, sind dem Referendum unterstanden. Wenn niemand Unterschriften dagegen sammelt, heisst das, das Volk hat sie angenommen. Ich sehe nicht ein, wieso man diese neu verhandeln muss.

Die SVP ist der Meinung, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bedrohe zunehmend die Souveränität der Schweiz. Brauchen Menschen nicht Gesetze, die sie vor sich selbst und der Willkür des Staates schützen?

Aellig: Die Menschrechtskonvention wird nicht angezweifelt. Der EGMR ist nicht der Feind, wie uns die Gegner vorwerfen. Bei der Annahme der Selbstbestimmungs-Initiative wird es nicht zu einem Bruch mit Strass­burg kommen. Diese Ängste sind unbegründet. Doch im Fall des schwer kriminellen Mazedoniers aus dem Jahr 2012 hat Strassburg das Bundesgericht zugunsten des Täters überstimmt. Dieses Urteil hat zu einem Paradigmenwechsel geführt. Es war das erste Mal, bei dem fremde Richter über unserer Demokratie standen. Das hat zum SBI-Initiativkern geführt, dass unsere Verfassung Vorrang hat. Es gibt kein Land, das seine Verfassung unter das Völkerrecht stellt. Weshalb ausgerechnet die Schweiz als einziges Land die eigene Verfassung tiefer gewichtet, leuchtet nicht ein.

Hauser: Um SVP-Anliegen wie die Ausschaffungs-Initiative und die Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) umzusetzen, hätte man die Menschenrechtskonvention und die Personenfreizügigkeit kündigen müssen. Da steht für die Schweiz extrem viel auf dem Spiel.

Aellig: Das ist eben die «Verzwergung» der Schweiz, die Ihre Partei freiwillig macht. Wir sind schon ein kleines Land, man muss uns nicht noch kleiner machen. Frankreich und Deutschland haben sich schon mehrmals ­gegen Entscheide des EGMR gestellt und wurden deswegen nicht aus der EU ausgeschlossen. Wir sind das einzige Land, das nie anecken will. Wir müssen aufhören, uns unter Wert zu verkaufen.

Hauser: Da gebe ich Ihnen recht. Speziell die Schaffhauser machen sich klein. Wenn im Nationalrat jemand hustet, verteilt man in Schaffhausen bereits Taschentücher. Doch es ist auch gut zu wissen, wo man steht.

Aellig: Nein. Wir müssen selbstbewusster werden. Wir müssen unsere Verfassung wieder durchsetzen. Unsere direkte Demokratie ist ein weltweites Vorbild. Unser Erfolg gibt uns recht.

Die SVP verspricht Rechtssicherheit. Die Gegner befürchten das Gegenteil. Was stimmt nun?

Hauser: Die SBI schafft nur Instabilität in der sicheren Situation, in der sich die Schweiz jetzt befindet. Der Initiativtext ist schwammig und schafft nur Unklarheit.

Aellig: Rechtsunsicherheit herrscht nur, wenn das Volk die Verfassung nicht mehr beeinflussen kann.

Man befürchtet auch, dass die Schweiz als Partner nicht mehr vertrauenswürdig wäre. Stimmt das?

Aellig: Überhaupt nicht. Die Schweiz hat bewiesen, dass sie Rechtssicherheit bietet. Da habe ich keine Bedenken. Auch bei der Annahme der SBI bleiben wir ein zuverlässiger Handelspartner in allen Abkommen. Die Rechtssicherheit ist mit der direkten Demokratie grösser, als wenn rumänische oder bulgarische Richter aus Strassburg unser Bundesgericht überstimmten.

Hauser: Da bin ich komplett anderer Meinung. Die Schweiz war ein verlässlicher Partner. Doch die SBI ist ein Damoklesschwert, das über uns hängt. Wir wissen nicht, was dann aus der Schweiz wird und was das Ausland über uns denken wird.

Glauben Sie wirklich, dass das Parlament und der Bundesrat mutwillig internationale Abkommen als Vorwand benutzen, um Volksbeschlüsse nicht umzusetzen?

Aellig: Bei der MEI hat man sich ganz klar geweigert, den Volkswillen umzusetzen, mit dem Argument, dass es völkerrechtlich schwierig sei. Dabei hätte man halt die Per­sonenfreizügigkeit nachverhandeln müssen. Doch der Bundesrat würde sich lieber eine Hand abschneiden, als hart nachzuverhandeln. Bundesbern hat verlernt, unsere Interessen gegenüber der EU durchzusetzen.

Hauser: Das Schweizervolk hat über die Personenfreizügigkeit abgestimmt. Die Schweiz ist darauf eingegangen, weil sie es so wollte und sie das Abkommen braucht.

Aellig: Bei einer drohenden Ablehnung des EWR-Beitritts sprach man 1992 von düsteren Zeiten. Dann wurden einzig die Bilateralen ausgehandelt, und es ging alles gut. Jetzt werden von den SBI-Gegnern wieder düstere Zeiten heraufbeschworen. Jetzt soll es bergab gehen, wenn wir uns nicht den fremden Richtern unterwerfen. Dabei passiert auch bei einem Ja zur SBI nur wenig. Man müsste allenfalls ein paar Verträge neu verhandeln. Bundesbern muss endlich lernen, selbstbewusster zu verhandeln.

Ein Schlusswort?

Aellig: Diese Abstimmung ist für den Schutz unserer direkten Demokratie enorm wichtig.

Hauser: Warum ist dann die ganze Schweiz ausser der SVP dagegen?

Aellig: Das ist für mich kein Kriterium. Auch bei der MEI waren alle dagegen. Doch das Volk hat weitsichtig entschieden. Ich bin ein Fan der Schwarmintelligenz. Die Schweizer Mehrheit entscheidet intelligenter und weiser als einzelne Richter in Strassburg.

Hauser: Es ist wieder genau das Gleiche. Die SBI ist genau wie die MEI unklar formuliert. Und die armen Politiker in Bern sollen dann etwas daraus machen.

 

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