Eine heisse Liebe in einer kalten Welt

Maria Gerhard | 
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Setzt alles daran, um ihren Geliebten, den Maler Marcello, zurückzugewinnen: Musetta, die hier von der Sopranistin Lisa Algozzini dargestellt wird. Bild: Michael Kessler

Bald präsentieren die Munot-Opernspiele «La Bohème». Darin spannt Giacomo Puccini den musikalischen Bogen zwischen Freude und Mutlosigkeit, Übermut und Verzweiflung.

Er wird nächste Woche vor grossem Publikum auf der Munotzinne zärtlich die Hand seiner Geliebten Mimì ergreifen und eine der schönsten Arien in Puccinis «La Bohème» singen: «Che gelida manina» («Welch kaltes Händchen»). Doch der bulgarische Tenor Mihail Mihaylov, der als der arme Dichter Rodolfo eine der Hauptrollen bei den diesjährigen Opernspielen übernommen hat, zeigt noch keine Spur von Aufregung. Ganz im Gegenteil: Während Regisseur Philippe de Bros gerade mit dem Schaffhauser Konzertchor und den Sängern der Kantonsschule Trogen probt, juxt der 30-Jährige im Hintergrund mit den anderen Solisten herum. Scherzhaft macht er ein paar Hip-Hop-Tanzbewegungen zur Musik Puccinis, womit er beweist: Oper kann eben auch lässig sein. Und weil die Hitze hier genau wie in der restlichen Stadt aufs Gemäuer drückt, trägt Mihaylov kurze Jeans und ein Polohemd. Aber auch die anderen Darsteller haben sich möglichst luftig angezogen: Jonas Jud, der den Philosophen Colline gibt, hat das lange Lockenhaar zu einem Zopf gebunden und mit einem Strohhut bedeckt, die Damen tragen bunte Sommerkleider. In den Kostümen, die an jene der Erstaufführung 1896 in Turin angelehnt sind, wäre es jetzt wohl doch etwas zu heiss.

An diesem Mittwochabend proben die Solisten zum zweiten Mal, die Chöre überhaupt zum ersten Mal auf dem Munot. Die Bühne steht noch nicht, sie wird erst am kommenden Montag aufgebaut. Nur ein paar Stühle und Tische skizzieren das Café Momus im Pariser Quartier Latin um das Jahr 1830, wo Teile der Oper spielen. «Es wird kein geschlossenes Bühnenbild geben», erklärt Romina Kaap, die für Bühnenbild und Kostüme zuständig ist. Sie sitzt an einer der Bierbänke und ist abrufbereit, wenn etwas gebraucht wird. «Es bleibt luftig, der Munot soll schliesslich mitspielen.» Tatsächlich kann man sich mit dem Fachwerk und dem dicken Gemäuer sehr gut in vergangene Zeiten einfühlen. Einzig die vorbeiziehenden Schwalben, Krähen und ein Flugzeug bilden die Brücke zum Heute.

Zarte Töne auf dem Munot

Im Café Momus, in dem sich die Bohémiens treffen, geht es nun temporeich weiter. Während der Maler Marcello (Serguei Afonin), der Philosoph Colline (Jonas Jud) und der Musiker Schaunard (Marek Pobuda) bereits an den Tischen zechen, tritt Rodolfo, Mihaylov ist nun ganz in seiner Rolle, ein. Er stellt seinen Freunden die von ihm angebetete Mimì (Sabina Bisholt/Alina Godunov) vor. Zusammen feiern sie das Leben, als eine laut singende Kinderschar hereinbricht. In all dem Trubel taucht auch noch Musetta (Lisa Algozzini) auf, die einstige Geliebte des Malers Marcello. Im Schlepptau hat sie ihren neuen Verehrer, den weit älteren und reichen Alcindoro (Krzysztof Borysiewicz). Algozzini, die sich die Rolle mit Mine Yücel teilt, spielt die Musetta mit viel Temperament. Und so küsst sie ihren ältlichen Liebhaber auf den Kopf, während sie zu Marcello, den sie immer noch liebt, hinüberblinzelt. Als die Sopranistin die ersten zarten Töne der Arie «Quando men vo» anstimmt, wird es plötzlich ganz ruhig auf der Zinne. Touristen, die zuvor noch die Aussicht auf die Stadt genossen haben, setzen sich auf die Bänke und lauschen still. Ein Mann legt den Arm um seine Frau. Schade, dass der Regisseur die Sängerin kurz unterbrechen muss, um ihr Anweisungen zu geben.

«Das ist das Leben, das ich gewählt habe. Es ist herrlich.»

Lisa Algozzini, Sopranistin

Anschliessend gibt es eine kleine Pause. Algozzini sagt auf Englisch, dass die Musetta eine Rolle sei, von der sie schon lange geträumt habe. Zwar sei es keine Hauptrolle, aber es sei eine Figur, an die sich das Publikum aufgrund ihrer Impulsivität erinnern würde. «Im letzten Akt bekommt der Charakter zudem noch eine ungeahnte Tiefe, als Musetta sich um die todkranke Mimì bemüht», sagt die junge Frau. Wie viele ihrer Kollegen ist Algozzini international unterwegs. Wenige Tage bevor die Proben in Schaffhausen begonnen haben, hat sie noch in Mozarts «Così fan tutte» in Perugia gesungen. «Das ist das Leben, das ich gewählt habe», sagt sie und lacht, «es ist herrlich.»

Indes sieht das Leben für Rudolfo und Mimì, die Hauptfiguren der Oper, nicht so rosig aus. Bald weicht die anfängliche Lebensfreude im Café Momus der harten Realität: Mimì ist todkrank, und Rudolfo, dem es sogar an Brennholz für den Ofen fehlt, kann ihr trotz seiner inbrünstigen Liebe nicht helfen. Und so werden ihre Hände im Laufe der Oper immer kälter.

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