Von Beruf Lebensretter

Ralph Denzel | 
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Unregelmässige Arbeitszeiten, schreckliche Erlebnisse und Gewalt - warum sollte jemand beim Rettungsdienst arbeiten wollen? Wir haben mit einem Sanitäter gesprochen.

Man merkt, dass sich Daniel Göggel gewöhnt ist, den Weg, den er mit uns geht, schnell zu gehen. Kaum begrüsst uns der Rettungssanitäter auf der Rettungswache am Kantonsspital Schaffhausen, eilt er mit uns schon zur Fahrzeughalle, um seinen Arbeitsplatz zu präsentieren. Drei grosse Rettungswagen stehen dort. «Zwei davon sind 24 Stunden am Tag immer einsatzbereit», erklärt er.

Göggel ist seit 16 Jahren im Rettungsdienst, hat viel erlebt und viel zu erzählen. Jetzt, wenn er über seinen Beruf und seine Leidenschaft gleichermassen reden kann, nimmt er sich Zeit. Etwas, was in seinem Job entweder im Überfluss oder zu wenig vorhanden ist. «Manchmal gibt es 20 Einsätze an einem Tag - und dann passiert mal wieder 24 Stunden lang gar nichts», sagt er. Routine gibt es in seinem Job nicht. «Es ist jeden Tag etwas Neues – und man kann den Menschen helfen.» Er öffnet die Fahrzeugtür und zeigt das Innere eines Rettungswagens. Das EKG mit integriertem Defibrilator, eine Absaugpumpe - «wenn man irgendwas aus dem Mund eines Patienten entfernen muss» - eine transportable Sauerstoffflasche – es ist viel, was ein Sanitäter wissen und können muss. 

Besonders deutlich wird das, als er den Medizinschrank aufschliesst. Unzählige kleine Ampullen sind dort an einer Tür angebracht. «Das sind die gängigsten Notfallmedikamente», erklärt Daniel Göggel. Als Sanitäter darf er knapp 70 Prozent dieser Medikamente selbst verabreichen. «Die restlichen 30 Prozent darf nur ein Notarzt geben», sagt er. Göggel muss sehr genau wissen, welches Medikament wie wirkt - oder wirken kann. «Das falsche Medikament bei der falschen Diagnose könnte schwerwiegende Folgen für den Patienten haben.»

In drei Minuten einsatzbereit

Wie geht man mit so einem Druck um? Daniel Göggel sagt: «Die Kameradschaft, die wir hier auf der Wache haben, hilft viel. Ich weiss von jedem, dass ich mich zu 100 Prozent auf ihn verlassen kann.» Das merkt man auch, als er uns kurz in den Pausenraum der Wache führt. Dort sitzen mehrere Rettungssanitäter, scherzen und trinken Kaffee zusammen. Von Anspannung - zumindest in diesem Moment - keine Spur. An ihren Gürteln hängen die Funkmelder, die jederzeit losgehen können. Und dann muss es schnell gehen: «Egal ob Tag oder Nacht: Nach der Alarmierung müssen wir binnen drei Minuten unterwegs sein.»

Was die Rettungskräfte dann erwartet, wissen sie selten im Vorfeld – so kann es öfter auch vorkommen, dass sie nicht mehr helfen können. So wie beim Blitzunglück auf dem Säckelamtshüüsli, bei dem 2005 bei einem Gewitter zwei Menschen ums Leben kamen. «Das war das eindrücklichste Erlebnis meiner Laufbahn», sagt Daniel Göggel. Die Opfer waren erst 18 und 23 Jahre alt.

Wie geht man mit sowas um? Daniel Göggel: «Ich kann zum Glück mit meiner Familie darüber reden – oder auch mit den Kollegen.» Vor Ort gibt es im Kantonsspital eine Seelsorge und einen sogenannten Peer, also speziell auf Nachsorge geschulte Helfer. 

Ein Papierschnitt ist kein Fall für den Rettungsdienst

Daniel Göggel liebt seinen Beruf, das merkt man seinen Worten an, in denen nie Verbitterung mitschwingt – ausser, als er zu zwei Themen kommt: «Ich würde mir wirklich wünschen, die Leute würden öfter überlegen, wofür sie den Notruf wählen.» So sei es für ihn und seine Kollegen keine Seltenheit mehr, wegen eines Schnitts im Finger gerufen zu werden. «Die, die das machen, ahnen gar nicht, was sie in Bewegung setzen, wenn sie die 144 anrufen.» Natürlich sei es besser, einmal zu viel als einmal zu wenig den Notruf zu alarmieren, aber: «Ein Schnitt im Finger oder Kopfschmerzen, welche man seit drei Wochen hat, sind eher ein Fall für die Apotheke als den Rettungsdienst.»

Aber nicht nur das belastet seinen Beruf: Auch der Umgang mancher mit seiner Arbeit, seien es Gaffer – oder Menschen, die gewaltätig gegenüber den Helfern werden. «Das Problem kennen wohl die meisten Hilfsorganisationen», so Göggel. In Schaffhausen sei «Gewalt gegen Helfer» bisher noch nicht so ausgeprägt, aber «man merkt, dass das wohl im Kommen ist.» So wurde auch schon ein Kollege von ihm während eines Einsatzes angegriffen. «Ich glaube, die Menschen die sowas machen, lehnen einfach jegliche Art von Staat ab – und wir als Blaulichtorganisation sind in diesem Moment ebenfalls eine staatliche Organisation für die.»

Traumatische Einsätze, unregelmässige Arbeitszeiten und die Sorge vor Gewalt und Krankheiten – wie kann man so einen Beruf nur gerne machen? Daniel Göggel: «Das Gefühl, wenn man erfährt, dass ein Mensch wieder gesund geworden ist dem man geholfen hat – das ist mit nichts zu vergleichen.»Trotz all der negativen Dinge, will er so lange wie nur möglich weitermachen – Tag und Nacht.

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