Alles nach Plan: Hinter den Kulissen auf dem Schaffhauser Bahnhof

Ralph Denzel | 
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Der Bahnhof in Schaffhausen ist ein Knotenpunkt für viele Pendler und Reisende. Wir waren hinter den Kulissen und stellten fest: Der Bahnhof ist aus mehreren Gründen einzigartig.

Der Schaffhauser Bahnhof ist besonders – geschichtlich, von der Infrastruktur her und von seiner Aufteilung. Geschichtlich, weil er für immer mit dem schwersten Bombenangriff während des Zweiten Weltkrieges auf Schweizer Boden verbunden sein wird. Damals starben 40 Menschen, 270 wurden teils schwer verletzt. Von der Infrastruktur her, weil in ihm als einem der letzten Bahnhöfe in der Schweiz noch mit einer Schalttafel gearbeitet wird – und von der Aufteilung her, weil er «nur» zu 65 Prozent in der Hand der SBB ist – der Rest ist im Besitz der Deutschen Bahn. Auch das gibt es nur hier. Hans-Ueli Holzer, der Betriebsleiter des Bahnhofs Schaffhausen, empfängt uns beim Stellwerk, welches sich direkt an Gleis 1 befindet. Täglich laufen dort unzählige Pendler vorbei: «Ungefähr 25‘000 Passagiere haben wir hier jeden Tag», erklärt er. Dann führt er uns hinter die Kulissen des Bahnhofs Schaffhausen.

Wie wird der Bahnhof in Schaffhausen gesteuert?

Hinter einer Glasscheibe direkt an Gleis 1 sitzt ein Mitarbeiter, vor einer grossen Schalttafel. Kleine Linien leuchten immer wieder auf, werden erst rot, dann weiss, dann schwarz. Holzer erklärt: «Mit dieser Tafel kontrollieren wir alles auf dem Bahnhof.» Sie wirkt auf den ersten Blick wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Aber Holzer beruhigt: «Die Technik ist sehr modern.» Trotzdem ist der Bahnhof Schaffhausen einer der letzten seiner Art, der mit so einer Tafel arbeitet.

Wie funktioniert das Gerät? Ein einziger Mann sitzt am Pult, während wir ihm über die Schulter schauen. Vor ihm sind mehrere Bildschirme, über die Zahlen huschen. «Züge sind bei uns immer mit eindeutigen Kennziffern versehen», erklärt uns Holzer. Dadurch sind, vor allem bei Störfällen, schnelle Reaktionen möglich.

Der Mann am Schaltpult ist für ein Gebiet von ungefähr vier Kilometern zuständig – danach übernimmt die Zentrale der Bundesbahn in Bern am Drücker. Er gibt die Fahrerlaubnis, navigiert die Züge und kontrolliert, dass natürlich alles nach Plan verläuft. Fehler können passieren, aber sind laut Holzer eher die Ausnahme, da «das System so programmiert ist, dass eigentlich nichts passieren kann.» Ein Beispiel: Ein Zug steht auf Gleis 1. Ein anderer, der gerade vom Rangierbahnhof kommt, wird vom Fahrdienstleiter ebenfalls auf dieses Gleis geschickt. Das System erkennt in diesem Moment, dass dort bereits ein Zug steht und stoppt daraufhin den anderen, oder lässt es gar nicht erst zu, dass dieser auf dorthin kommt – indem er zum Beispiel eine Weiche, die auf dieses Gleis führt, nicht umstellt.

Im Notfall kann jedoch auch die Kontrolle komplett an den Fahrdienstleiter übergehen, wie Hauser erklärt. «Dafür haben wir dann sehr strenge Verfahrensvorschriften, die eingehalten werden müssen.»

Überhaupt merkt man schnell: Hier ist alles sehr streng reglementiert. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Vernetzung mit der Deutschen Bahn so eng ist. «Die DB hat andere Reglemente als wir», so Holzer. Das führe dazu, dass sich auch die Lokführer immer wieder auf neue Gegebenheiten einstellen müssten.

Wie ist das mit Verspätungen?

Als Pendler kommt man um eine Frage nicht umhin: Warum fährt mein Zug gefühlt so oft direkt vor der Nase weg? Darauf weiss Holzer ebenfalls eine Antwort: «Wenn im Dezember die Fahrpläne ausgegeben werden, dann ist reglementiert, welche Fristen Züge beim Warten haben dürfen.» So liegt es im Ermessen des Fahrdienstleiters, einen Zug etwas warten zu lassen, damit eventuell Anschlussreisende ihren Zug erreichen. Aber auch diese Entscheidung unterliegt Regeln. Steht der Intercity in Schaffhausen zu lange, kann das eine Kettenreaktion hervorrufen, die sich über das gesamte Netz vollzieht. «Wir haben Vorgaben, welche Züge warten können und welche so schnell wie möglich wieder weiterfahren müssen.» Holzer erklärt es so: «Wenn wir auf jeden Zug warten würden, müssten im Zweifel 300 Menschen länger warten und vielleicht ihren Anschluss verpassen, damit zwei andere noch ihren Zug erreichen.» Als Pendler hört man das nicht gern, auch wenn es logisch ist.

Was, wenn ein Zug nicht fährt? Oder wenn ein Lokführer plötzlich krank wird? Holzer: «Wir haben sehr klare Verträge mit Busunternehmern.» Sprich: Dann versucht die SBB so schnell wie möglich einen Ersatz aufzutreiben – oder einen geeigneten Lokführer zu finden. Geeignet deshalb, weil nicht jeder Lokführer auf jeder Strecke fahren darf. «Auf einer Strecke wird nur eingesetzt, wer diese Strecke auch kennt», so Christian Urech, Chef der Lokführer am Schaffhauser Bahnhof. Das ist gegeben, sobald ein Lokführer mehrere Videoaufnahmen von dieser Strecke gesehen hat und mindestens zweimal die Strecke mitgefahren ist, wobei einmal zwingend eine Nachtfahrt gewesen sein muss. Ist das nicht gegeben, oder liegt diese «Einführung» mehr als drei Jahre zurück, darf der Lokführer nicht fahren – egal wie erfahren er sonst ist.

Was passiert, wenn ein Zug in Schaffhausen Endstation hat?

Wir steigen in einen Zug, der in Schaffhausen seinen letzten Halt hat. Vorne im Führerhaus erklärt uns der Lokführer die Lichtsignale auf der Strecke. Einfach losfahren kann er nicht, selbst wenn er es wollte. Erst, wenn der Fahrdienstleiter die Strecke freigibt, kommt er mit seinem Zug voran. Dafür sorgen kleine, gelbe Platten auf den Schienen, die dem normalen Reisenden wahrscheinlich noch nie aufgefallen sind. «Die sind stärker als der Zug und werden aktiviert, wenn ein Lokführer losfährt, obwohl er es nicht darf», so Holzer. Auch das regelt das System automatisch. Jetzt ist alles bereit, dass Signal springt auf Grün und wir setzen uns in Bewegung in Richtung Rangierbahnhof.  Dort angekommen wartet schon die Reinigungscrew, die einmal durch den Zug huscht.

Viel Zeit hat sie nicht.

Auch der Lokführer macht sich auf den Weg und macht eine Runde durch den Zug. «Das dient unserer Sicherheit», erklärt Urech. Manchmal findet man dann Betrunkene oder Personen, die schlicht und ergreifend so tief geschlafen haben, dass sie über die letzte Haltestelle hinaus gefahren sind. Heute ist der Zug leer. Im Führerhaus beginnt wieder die Routine, die vor jeder Fahrt gemacht werden muss. Das wichtigste ist die Kontrolle der Bremsen. Hydraulisch zischt es durch den gesamten Zug, während der Lokführer die vollautomatische Anlage überprüft. Auch die anderen Gerätschaften werden kontrolliert, wie zum Beispiel das Warnsystem, welches standardmässig in jedem Zug vorhanden ist. «Damit sind wir schnell informiert, ob irgendwo was passiert ist – oder können auch direkt selbst informieren.» Nachdem alles geklärt ist, gibt der Lokführer den Hinweis an den Fahrdienstleiter – ein paar Augenblicke später rollt der Zug wieder. Insgesamt standen wir knapp 15 Minuten auf dem Rangierbahnhof. In dieser Zeit wurde der Zug gereinigt, kontrolliert und wieder fahrbereit gemacht. Es muss schnell gehen, das merkt man.

Wie ist die Zusammenarbeit mit den Deutschen Kollegen?

Uns kommt ein Zug aus Deutschland entgegen. Für einige Momente wirkt es, als würden die beiden Loks gleich ineinander fahren. Ein schneller Blick auf den Lokführer beruhigt jedoch wieder. Das System weiss, dass wir auf unserem Gleis unterwegs sind – und auch der Fahrdienstleiter, der wohl eine Weiche zuvor gestellt hat. Wir fahren einfach durch.

Der Deutsche Zug bringt eine neuerliche Frage auf: Warum fielen eigentlich Anfang März, wie bei der Deutschen Bahn geschehen, so viele Züge einfach aus? Betriebsleiter Holzer kennt die unschöne Antwort: «Das hat die DB-Regio so geregelt. Dieser Fall ist eigentlich nicht vorgesehen, aber wenn es passiert – dann ist es eben so.» Sprich: Zugausfälle wurden damals in Kauf genommen. Ob damals noch andere Lokführer verfügbar gewesen waren, weiss Hauser nicht. Aber auch diese hätten sich, zumindest in der Schweiz, an die strengen Regeln halten müssen. Ohne die Streckenkenntnis, hätten sie nicht fahren dürfen.

Sonst jedoch gibt es aber laut Holzer keine Probleme mit den deutschen Kollegen. Er lacht: «Das darf es auch nicht – die DB zahlt immerhin 35% meines Gehaltes!»

Gefahren rund um den Bahnhof

Wir packen unsere Kamera aus und wollen ein paar Aufnahmen machen. Betriebsleiter Holzer warnt uns jedoch sofort: «Passen Sie bitte auf, dass Sie nicht über die weisse Linie treten!» Jeder Reisende hat sie schonmal gesehen, die Markierung, die am Bahnhof vor den Gleisen ist. «Tritt man zu nahe, kann der Sog eines einfahrenden Zuges einen erwischen – und im Zweifel vor den Zug schleudern.» Kommt sowas denn oft vor? Holzer verneint. «Problematisch sind eher die Bahnenthusiasten, die, wenn ein besonderer Zug einfährt, alles andere um sich herum vergessen – und dann immer weiter zurückgehen, bis sie fast auf den Gleisen landen.» Eine junge Frau steht in unserer Nähe und macht gerade ein Selfie mit sich und der Bahn, aus der wir gerade ausgestiegen sind. Holzer: «Oder wir haben solche.»

Damit endet unser Besuch am Bahnhof. Auf Gleis 1 fährt ein Regionalzug ein. Unzählige Pendler steigen aus – einige wirken genervt. Vielleicht haben sie zuvor ihren Anschluss verpasst - und wissen nicht, wieso das notwendig war.

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