Als «Düütscher» in Schaffhausen: Ein Erfahrungsbericht

Ralph Denzel | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
Wie sich ein Deutscher in Schaffhausen fühlt. Bild: Selwyn Hoffmann

Seit drei Monaten bin ich jetzt als Grenzgänger in der Schweiz - was ist mir aufgefallen? Ein Erfahrungsbericht über einen «Düütschen» in Schaffhausen.

Jetzt gehöre ich also auch dazu. Zu den zigtausend Grenzgängern, die jeden Tag ihrer Arbeit in der Schweiz nachgehen. Was habe ich nicht alles zu hören bekommen. Neben den gängigen Klischees wie «Dann rollt der Rubel ja bei dir», über «Ohje, das wird teuer – freu dich auf die Steuernachzahlung in Deutschland», zu: «Willst du dir das wirklich antun? Die Schweizer können Deutsche nicht leiden». Nach knapp drei Monaten mit dem «G-Ausweis» in der Tasche ist es Zeit, ein Fazit zu ziehen. Wie ist es als «Düütscher in Schaffuuse»?

Per Du mit dem Chef?!

Den ersten Kulturschock erlebte ich direkt an meinem ersten Tag. Zuvor war ich nur in Deutschland angestellt. Dort ist klar: Wer höhergestellt ist, wird gesiezt. Ohne wenn und aber. Ich habe auch in Teams gearbeitet, wo man sich sogar als Gleichgestellter siezte. Böse Zungen können jetzt sagen, dass wir Deutschen gerne obrigkeitstreu sind – zumindest hier stimmt das: Im Leben nie wäre mir an meinen anderen Arbeitsstellen in den Sinn gekommen, meinen Chef zu duzen. Und selbst wenn wir das «Du» irgendwann angeboten bekommen, ist es üblich - angesiedelt zwischen Kadavergehorsam und Höflichkeit - dass wir immer noch eine Weile ins Sie rutschen, zumindest, bis das Gegenüber mehrmals höflich aber bestimmt darauf hingewiesen hat, dass man doch beim «Du» sei.

Und hier? Mein Chefredaktor heisst Robin und nicht Herr Blanck, sein Stellvertreter ist Sandro und nicht Herr Stoll. Mit meiner Teamleiterin war ich sogar schon während des Vorstellungsgespräches per Du. Mein deutsches Herz, getrimmt auf Obrigkeitstreue, rebellierte zwar die ersten Wochen, aber mittlerweile geht mir sogar das Sakrileg «Du» gegenüber Vorgesetzten über die Lippen.

 

Überhaupt ist das Arbeiten hier anders, als ich es gewohnt bin. Wer nichts anderes kennt als die Arbeit in Deutschland, wird schwer verstehen, wenn ich sage: Es ist alles entspannter. Das bedeutet nicht, dass hier nicht hart gearbeitet wird –das ist noch wie Zuhause. Aber die Art, wie diese Arbeit erledigt wird, ist kollegialer und freundlicher. Wahrscheinlich auch, weil man eben sofort per Du ist. Es ist alles nicht so verbissen und streng wie in Deutschland. Vielleicht habe ich auch einfach das Glück, in einem guten Betrieb zu sein und andere Arbeitnehmer langen sich an den Kopf, wenn sie das hier lesen.

Hassen Schweizer uns Deutsche?

Auch dieses Klischee ist weit verbreitet. Unzählige Menschen, ironischerweise allesamt keine Grenzgänger, zeichneten mir ein Bild von der Schweiz, das direkt aus einem dystopischen Buch von Orson Welles hätte stammen können. Nach einigen Erzählungen hätte man meinen können, es sei Schaffhauser Volkssport Grenzgänger - bevorzugt Deutsche - mit Mistgabeln über den Fronwagplatz zu jagen.

 

Das kann ja was werden, war mein Gedanke, als ich den Arbeitsvertrag hier unterschrieb.

Nach drei Monaten habe ich noch keinen Lynchmob gesehen – und gehe mal davon aus, dass das auch nicht noch passieren wird. Vor allem hier in Schaffhausen scheint es mir, dass man sich mittlerweile schon so an die Grenzgänger gewöhnt hat, dass sie ebenso zum Stadtbild gehören wie der Munot. Man begegnet mir hier mit der gleichen Höflichkeit, wie man sie wohl jedem anderen Menschen in dieser Stadt entgegenbringen würde. Von «Deutschenhass» keine Spur – im Gegenteil: Ich persönlich habe sogar das Gefühl, dass die Menschen hier höflicher sind als in Deutschland. Hier höre ich viel öfter ein «Grüezi» als ich in Deutschland ein «Hallo» höre. Ich kann nicht beurteilen, wie die Situation in grösseren Städten wie Zürich ist, wo natürlich auch die Quote von uns Deutschen um Einiges höher ist als in Schaffhausen – und damit auch die potentiellen Reibungspunkte zwischen den beiden Kulturen. Aber hier kann ich sagen: Vielen Dank, liebe Schaffhauser, dass ihr so nett seid!

 

Bleibt im Dialekt

Ein Punkt, der mir auch immer wieder auffällt: Ich bewundere die Beharrlichkeit, mit der meine Kollegen, trotz mehrmaligem Auffordern, immer wieder ins Hochdeutsche wechseln, wenn sie mit mir sprechen. Vor allem am Anfang wechselte jeder Gesprächspartner aus Höflichkeit ins Hochdeutsche. Ich hatte das Glück/Unglück, dass bei mir Zuhause fast nur Hochdeutsch gesprochen wurde, von daher habe ich nie wirklich den Dialekt gelernt – verstehe ihn aber.

Irgendwann, nachdem ich aufgegeben hatte, meine Kollegen darauf hinzuweisen doch bitte im Dialekt zu bleiben, kam ich zu dem Schluss: Auch wenn manche es nicht gern hören, Schweizer und Deutsche sind in der Beziehung ziemlich gleich, denn: Auch in meiner Heimatgemeinde, wo es noch viel absurder ist, wechseln meine Gesprächspartner grundsätzlich ins Hochdeutsche, wenn sie mit mir sprechen. Das kann so weit gehen, dass, wenn ich mich mit zwei Personen unterhalte, diese untereinander im breiten Dialekt sprechen, aber sofort ins Hochdeutsche wechseln, wenn sie mit mir reden. Die Schaffhauser sind dort ähnlich. Ob an der Supermarktkasse, im Restaurant – hört man, dass ich eben nicht «Hoi» sondern «Hallo» sage, wechseln sofort alle ins Hochdeutsche – nur um dann, bei den Schweizer Kollegen, wieder in den Dialekt zu verfallen.

Am Anfang versuchte ich diesem Problem ebenfalls mit Dialekt zu begegnen und habe meine bescheidenen Kenntnisse über die Schaffhauser Mundart ausgepackt. Diese müssen jedoch so bescheiden gewesen sein, dass meine Gesprächspartner dann erst recht und noch angestrengter mit mir Hochdeutsch gesprochen haben.

Letztlich bin ich jetzt so verblieben, dass ich es wie meine anderen deutschen Kollegen handhabe: Ich spreche einfach Hochdeutsch und warte ab – irgendwann rutschen dann auch die Schweizer Kollegen wieder in ihren Dialekt.

Passend dazu:

Fazit

Schaffhausen war immer schon ein Teil meines Lebens. Ich bin hier geboren worden, war als Jugendlicher wie viele andere Schaffhauser in der Eis-Disco auf der KSS, habe mit meinen Eltern als Kind den Munot erklommen und mich wie ein Ritter gefühlt und hatte meine erste Erfahrung mit Fast-Food im örtlichen McDonald’s. Ich fühle mich hier wohl, in dieser kleinen Stadt. Es ist schön, diese jetzt, da ich hier jeden Tag verbringe, wieder neu kennenzulernen.

Die Klischees, mit denen ich ebenso aufgewachsen bin, haben sich allesamt nicht bewahrheitet. Weder werde ich als Deutscher schräg angeschaut, noch irgendwie nachteilig behandelt. Vielleicht habe ich Glück gehabt, aber so kann ich nur ein positives Fazit ziehen. Schaffhausen, du chliini Stadt, ich hab dich gern!

 

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren