Weshalb Sie nach dem Kettcar-Konzert mutiger sein werden

Janosch Tröhler | 
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Kettcar. Bild: Andreas Hornoff/zvg

Die deutsche Rockband Kettcar spielt morgen in der Kammgarn. Im Gepäck der Hamburger: Ihr neues Album «Ich vs. Wir». Wir sagen Ihnen, weshalb sich das Konzert lohnt.

«Es war einer dieser Zyankali-Tage…»

Mit diesen Worten eröffnet die Hamburger Band Kettcar ihr neues Album «Ich vs. Wir» .

Mit dem Song «Ankunftshalle» setzt die 2001 gegründete Band den Ton für das ganze Werk: rasanter Indie-Rock, verspielte Melodien und nachdenkliche Texte.

Dass sich mit «Ich vs. Wir» etwas Grossartiges anbahnt, hatte man ahnen können. Das Album wurde fulminant angekündigt: Die Single «Sommer 89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)» sorgte für ein Erdbeben in der deutschen Poplandschaft. Ein Stück, das mehr eine musikalisch untermalte Geschichte denn konventioneller Song ist. Aufgeladen mit politischer Botschaft, wie man es lange nicht mehr gehört hatte. Von einer Durchschlagkraft, wie man sie lange nicht mehr gespürt hatte.

Wie erwartet, ist «Ich vs. Wir» gespickt mit Betrachtungen der Gesellschaft. Gerade jene Momente, in denen Kettcar ihre Botschaft mit Sturm und Drang vorspielen, sind sie stark. Kettcar vermeiden es, plump und polemisch zu werden. Stattdessen setzen sie auf Poesie, wenn sie in «Wagenburg» über rechtsextreme Tendenzen in Deutschland singen:

Wo Egoschweine erst alleine und dann zusammen nur an sich denkend
Sich zu einem Wir verlieren
Und jedes Wir sind viele Ichs
Und viele Ichs wollen dann die Wagenburg, die Wagenburg formieren

Die Brillanz in Kettcars Songwriting und Haltung manifestiert sich endgültig in «Mannschaftsaufstellung». Die Fussball-Nationalmannschaft wird zur Allegorie für den Rechtsruck. Monoton treibt der Song marschierend vorwärts, drängt wütend das aufgeheizte politische Klima ins Bewusstsein. Ohne das Pathos zu bemühen, klagen Kettcar an. Ihr Psychogramm der «Volksseele» ist akkurat, die Präsentation raffiniert:

Einen Nationalisten als hängende Spitze
Zwei, drei Mitläufer für rassistische Witze
Für die Standards eine, die zuschlagen kann
Und die schweigende Mehrheit als zwölfter Mann

«Jeder weiss, worum es geht», sagen Kettcar in «Mannschaftsaufstellung». Unverblümt zeigen sie mit dem Finger auf die Schuldigen – also auch auf die schweigende Mehrheit. Es ist eine bedrückende Momentaufnahme. Doch so düster dieses Pop-Rock-Album nun erscheinen mag, verabschieden sich Kettcar mit «Den Revolver entsichern» versöhnlich und optimistisch. Eine musikalische Verneigung vor all jenen, die Widerstand leisten:

Irgendjemand sagt: «Gutmensch»
Und du entsicherst den Revolver
Empathie ohne Mitleid
Vielleicht das allerletzte Bollwerk

Wie ein Mantra wiederholen Kettcar die Zeile «Von den verbitterten Idioten nicht verbittern lassen». Vielleicht ist es die wichtigste Botschaft, die Kettcar uns nach ihrer besorgten Umschau in unserer Lebenswelt mitgeben möchten.

«Irgendwann ist irgendwie ein anderes Wort für nie»

Neben kritikreichen Songs finden sich auf «Ich vs. Wir» auch Stücke, die sich «bloss» den Menschenleben widmen. Zwar nichts, was man noch nie gehörte hätte. Nichts, was besonders bemerkenswert wäre, abgesehen von dieser einen Zeile im Refrain von «Benzin und Kartoffelchips»: «Irgendwann ist irgendwie ein anderes Wort für nie.»

Oder «Trostbrücke Süd», die Beschreibung einer Busfahrt als Schicksalsgemeinschaft. Auch hier: Man hat sowas schon mal gehört, was das Stück zwar nicht schlecht macht, aber auch nicht herausragend. Dennoch gibt es wieder eine Zeile, die hängenbleibt: «Wenn du das Radio ausmachst, wird die Scheissmusik auch nicht besser.»

Marcus Wiebusch am Kaltern Pop Festival 2017. Bild: Janosch Tröhler

Keine schlechten Momente

Kettcars «Ich vs. Wir» hat seine grossen Momente. Wenn sie anklagen, wenn die Wut durch ihren glatten Indie-Rock durchsickert, wenn sie Kritik geschickt verpacken. Und das Album hat seine guten Momente, wenn die Band über das Leben philosophiert.

Trotzdem ist es nicht einfach, dieses Album gleich in sein Herz zu schliessen. Das Hindernis ist die Schwere der Texte. Es ist ein Album, das nicht nebenbei zum Abwasch gehört werden kann. «Ich vs. Wir» fordert volle Aufmerksamkeit, verlangt unsere ganze Kapazität, die Welt und uns als Teil davon zu hinterfragen. Der Druck und die Intensität auf dem Album fokussieren die Gedanken.

Die Songs tun das selbst dann, wenn sie nicht auf den ersten Blick politisch aufgeladen sind. Das macht «Ich vs. Wir» zu einem faszinierenden und im positiven Sinne anstrengenden Album. Kettcar sind mutig mit diesem Album, denn kaum ein bekannter Popact hat wie sie den Mumm, sich derart zu exponieren.

Die Herausforderung, dieses Album zu hören und zu begreifen, lohnt sich aber: Am Ende dieser aufreibenden 42 Minuten ist man selbst mutiger geworden.

Live ein Erlebnis

Kettcar spielen morgen (22. Januar 2018) in der Kammgarn. Weitere Information zum Konzert gibt's auf nordagenda.ch. Das lohnt sich, denn Kettcar spielen laut und schnell. Sie sind locker und trotzdem professionell. Die Routine ist spürbar, aber sie geht nicht auf Kosten der Freude. Selbst ihre «Liebeslieder» haben diesen gewissen Drang in sich. Die Hamburger wissen, wie sie das Pathos ihrer Songs attraktiv verpacken müssen, damit sie live ein richtiges Rock-Erlebnis bleiben.

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