Steuererklärungen im Altpapier

Zeno Geisseler | 
Noch keine Kommentare
Steuererklärungen, Lohnausweise, Bankauszüge: Diese sehr persönlichen Unterlagen lagen gestern in der Stadthausgasse einfach in einer Mulde. Bild Zeno Geisseler

In einer offenen Mulde hat die Stadt Schaffhausen Hunderte von Steuererklärungen liegen lassen. Die Dossiers waren frei zugänglich. Der Datenschützer hat Anzeige erstattet und eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht.

Gestern Morgen, kurz vor neun Uhr. Vor dem Schaffhauser Stadthaus steht eine Mulde, darin seitenweise Altpapier. Aber nicht irgendwelches Altpapier: Es handelt sich um Hunderte von Steuererklärungen von Schaffhauser Bürgern. Ganze Dossiers samt Lohnausweisen und Steuerbescheinigungen der Banken. Die vertraulichen Unterlagen stammen aus dem Jahr 2006 und sollen entsorgt werden.

Besondere Vorkehrungen, die Akten vor neugierigen Blicken zu schützen, sind nicht erkennbar. Die Mulde ist auf beiden Seiten geöffnet, und es ist ganz einfach, unbemerkt an sie heranzutreten. Ohne Weiteres könnte sich jeder Passant ein paar Dossiers schnappen. Es befindet sich zwar ein Mann beim Eingang zum Stadthaus, doch er ist an die Mulde angelehnt und hat ihr den Rücken zugedreht.

Preisig: «Alles in Ordnung»

Steuererklärungen zeigen, wie viel jemand verdient und wie gross sein Vermögen ist. Aber nicht nur das: Das Dokument, das jedes Jahr ausgefüllt und den Behörden übergeben werden muss, legt praktisch das ganze Leben offen. Ob jemand Mitglied einer Kirche ist, eine Scheidung hinter sich hat, geerbt hat, Alimente bezahlen muss, arbeitslos ist, von der Sozialhilfe unterstützt wird oder hohe Krankheitskosten geltend macht, ist in den Unterlagen verzeichnet.

Das Gesetz sieht beim Schutz solcher sensiblen Daten strenge Massnahmen vor. Das «verantwortliche Organ» habe Personendaten davor zu schützen, dass sie verloren gingen, gestohlen, von Unbefugten gelesen oder widerrechtlich verwendet würden (siehe Kasten). Das «verantwortliche Organ», das ist Finanzreferent Daniel Preisig. Er ist nicht der Ansicht, dass bei der Entsorgung etwas falsch gelaufen ist: «Die Vernichtung der alten Steuerdossiers auf diese Weise ist seit Jahren ein eingespielter und bewährter Prozess», sagt er auf Anfrage. Die Mulde sei von Mitarbeitern der Stiftung Impuls gefüllt und dabei auch beaufsichtigt worden. Preisig betont, die Stadt sei sich der Sensibilität der Daten durchaus bewusst. «Die Dossiers werden nach zehn Jahren der Verbrennung zugeführt und dabei auf dem ganzen Weg beaufsichtigt.» Der komplette Transport werde von einem Mitglied der Steuerverwaltung begleitet. «Dieser Mitarbeiter beaufsichtigt, dass der Inhalt der Mulde ohne Zugriffsmöglichkeit für Dritte direkt in die Verbrennungsanlage geht», sagt Preisig. Man werde aber prüfen, ob beim Beladen der Mulde künftig zusätzliche Sicherungsmassnahmen notwendig seien.

Zusätzliche Sicherungsmassnahmen dürften in der Tat notwendig sein. Der Schreibende kann die Mulde und ihren Inhalt jedenfalls unbemerkt fotografieren und auch hineingreifen. Erst nach einigen Minuten dreht sich der Mann, die an die Mulde gelehnt ist, um und fragt, was man da mache. Als man ihn darauf hinweist, dass es problematisch sei, diese Unterlagen so offen zu präsentieren, meint er, er sei hier bloss angestellt. Auch dieser Mann selbst könnte jederzeit Einblicke in die Dossiers nehmen. Von einem Mitarbeiter der Steuerverwaltung, der den Inhalt der Mulde vor einem unbefugten Zugriff schützt, ist nichts zu sehen.

Datenschützer wird aktiv

Weniger entspannt als Daniel Preisig sieht denn auch der kantonale Datenschutzbeauftragte Christoph Storrer die Situation. Nachdem er von den SN auf die Steuerdokumente in der offenen Mulde aufmerksam gemacht worden war, verfügte Storrer gestern per sofort, dass die Akten von der Strasse zu nehmen seien. Weiter hat er gleichentags noch eine Aufsichtsbeschwerde an den Stadtrat erhoben und bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen unbekannt eingereicht. «Es handelt sich meines Erachtens um eine klare Verletzung der Bestimmungen des Datenschutzgesetzes und eventuell auch um eine strafrechtlich relevante Verletzung des Amtsgeheimnisses», sagt Storrer. Es sei davon auszugehen, dass es sich um besonders schützenswerte Personendaten handle.

Ein Punkt, der geklärt werden muss, ist auch, ob der Muldenfirma, einem Schaffhauser Unternehmen, vertragliche Auflagen zur Datensicherung gemacht wurden. Ist dies nicht der Fall, könnte es sich laut Storrer um eine gravierende Verletzung des Datenschutzgesetzes handeln.

 

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren