Lieblingsstück verloren – und wiedergefunden

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Vor der Bienenbelegstation «Oberer Reiat» hing Eduard Waldvogels Uhr auf Augenhöhe an einem Ast. Bild: Bat

Bei einer zweitägigen Strassenräumung verlor Eduard Waldvogel seine geliebte Uhr im Schnee. Doch was er für praktisch unmöglich hielt, wurde wahr: Anstatt die Uhr mitzunehmen, hängte ein unbekannter Finder sie unübersehbar an einen Baum.

von Selina Battaglia

Kaum an der Bushaltestelle «Reiathöfe» angekommen, ist der Benzingeruch von Eduard Waldvogels ­alten Geländewagen wahrzunehmen, einem Steyr-Puch Haflinger aus dem Jahr 1968. Nachdem wir eingestiegen sind, fährt der Jagdpächter in Richtung seines Hofes, auf dem er bereits seine Kindheit verbrachte. Die Strassen sind heute gut zu erkennen, anders als vor wenigen Tagen, als sie von der weissen Schneepracht ­bedeckt waren. Wie jeden Winter räumte der gebürtige Opfertshofer auch diesmal den Schnee von den Strassen. Doch beim diesjährigen Räumungseinsatz kam ihm seine geliebte Uhr abhanden.

«Ohne diesen anständigen Finder hätte ich die Uhr nicht mehr.»

Eduard Waldvogel, Jagdaufseher

Ein Blick auf das Lenkrad zeigt die Uhr, eine Certina DS, wie gewohnt wieder an seinem Handgelenk. «Dass ich die Uhr wieder habe, verdanke ich einem sehr ­ehrlichen Finder», sagt Waldvogel. Seit 40 Jahren sei das Accessoire ein treuer ­Begleiter und bei jeder seiner handwerklichen Arbeiten dabei gewesen. Die Uhr habe er damals von einem Uhrmacher aus Zürich für 600 Franken gekauft. «Sie funktioniert noch genau so, wie wenn nichts ­gewesen wäre», sagt der 70-Jährige mit Blick auf den Zeitmesser, der mehrere Tage im Schnee lag. Ein Saphirglas schützte ihn vor Kratzern.

Die «Nadel im Heuhaufen»

Beim Hof von Waldvogel angekommen, führt er uns zur Garage. Dort zeigt er den Traktor, mit dem er den Schnee räumte. Auch hier zeigt sich sein Faible für alte ­Objekte: «Der Traktor stammt aus dem Jahr 1964», sagt er. Für die Räumungsarbeiten montiert er jeweils einen spitzigen Pfadschlitten, wie man ihn von tra­ditionellen Pferdepflugschlitten kennt. ­Damit schiebt er einen Grossteil der Schneemassen in Richtung beider Strassenränder. Anschliessend montiert er die gerade Traktorschaufel wieder an und flachte den Schnee ab. «Dadurch wird er so glatt wie auf den Ski- und Schlittelpisten», fügt Waldvogel hinzu. Dies ist dem Jagdpächter wichtig, denn in erster Linie räumt er den Schnee, damit die Kinder die glatten Strassen runterschlitteln können. «Der Verschluss der Uhr ist wahrscheinlich beim Betätigen des Hebels, der die ­Hydraulik hoch und runter bewegt, auf­gegangen», sagt Waldvogel. So sei sie ­zwischen den ­Rädern des Gefährts verschwunden.

Waldvogel zeigt uns den Weg, auf dem er knapp zwei Tage lang die Pflugarbeiten ausführte. Beginnend bei seinem Hof, führt er uns bis zum Skilift «Stich» in Opfertshofen – knappe 1,5 Kilometer. Nachdem er die Uhr verloren hatte, lief er den Weg fünfmal auf und ab, in der Hoffnung, sie wiederzufinden. «Ich ging jedes Mal nach draussen, wenn der Schnee etwas mehr auftaute», sagt Waldvogel. Die Chancen, die Uhr wiederzufinden, schätzte er jedoch gering ein. Bildlich gesprochen: «Wie eine Nadel im Heuhaufen.»

Auf dem Weg zurück halten wir bei der Bienenbelegstation «Oberer Reiat». «Hier an einem Ast hing die Uhr, unübersehbar auf Augenhöhe», sagt Waldvogel. Glücksgefühle durchströmten ihn in dem Moment. «Ohne diesen anständigen Finder hätte ich die Uhr nicht mehr, darum bin ich ihm sehr dankbar», sagt der Naturfreund. Gerne würde er sich bei dem oder der Unbekannten bei einem persönlichen Treffen bedanken.

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