Nach fast 30 Jahren: Fernanda García ist aus Spanien in die alte Heimat Neuhausen zurückgekehrt

Die Bevölkerung Neuhausens ist 2024 stark gewachsen. Vor rund einem Jahr aus Spanien zugezogen ist auch Fernanda García. Die 56-Jährige kennt Neuhausen bereits: Hier hat sie ihre Kindheit und Jugend verbracht. Wie hat sich Neuhausen seither verändert?
Zum Jahresende schauen wir zurück auf die Region und begegnen Menschen, die ihre Gemeinde oder ein Thema geprägt haben oder 2024 etwas Besonderes erlebt haben. Bis Silvester erwarten Sie täglich eindrucksvolle Rückblicke! Alle Texte finden Sie im Dossier.
Frau García, Sie sind in Neuhausen aufgewachsen, haben in den 1970ern und 1980ern hier gelebt. Was kommt Ihnen spontan in den Sinn, wenn Sie an die Zeit zurückdenken?
Fernanda García: Die Rhyfallhalle war für uns als Jugendliche ein Treffpunkt. Von dort aus sind wir im Dorf spazieren gegangen, manchmal bummelten wir auch nach Schaffhausen. Auch das «Fest für Alli» gab es damals, glaube ich, schon. Die Migros ist mir noch gut in Erinnerung, wir haben als Jugendliche immer geschaut, was es dort zu kaufen gibt. Im oberen Stockwerk war das Migros-Restaurant, das viele ältere Menschen aus dem Heim Schindlergut besuchten. Ich habe damals Volleyball gespielt und war bei den Verkehrskadetten, um ein bisschen Geld zu verdienen.
«Ich habe Existenzängste bekommen.»
1996 zogen Sie mit Ihrer Familie dann nach Spanien, in die Heimat Ihrer Eltern. Was hat Sie bewegt, nun nach fast drei Jahrzehnten wieder nach Neuhausen zurückzukehren?
García: Ich habe meine letzte Arbeitsstelle aufgrund einer Restrukturierung der Firma verloren. Und dann habe ich Existenzängste bekommen. Ich habe zwar mein Leben lang im Büro gearbeitet, aber besitze keine Ausbildung und wusste nicht, ob ich mit Mitte 50 nochmals einen neuen Job in Spanien finden würde. Meine Schwägerin Marisa, die in Neuhausen wohnt, hat mir im letzten Winter angeboten, dass ich bei ihr unterkommen könnte, um hier eine Stelle zu suchen. Und tatsächlich hatte ich bereits nach vier Tagen Glück und habe über eine Vermittlungsfirma einen Job bei der IVF Hartmann bekommen.
Die Firma kennen Sie bereits aus Ihrer Jugend…
García: Genau, ich habe nach der Sekundarschule dort gejobbt. Ich wusste nicht, was für eine Lehre ich machen sollte und habe zur Überbrückung in der Verbandsstofffabrik angefangen. Ich habe in der Manufaktur gearbeitet, aber auch mal in der Mensa ausgeholfen. Ich erinnere mich, dass wir ähnlich wie Krankenschwestern angezogen waren, mit weissem Mantel und einer Stoffhaube, die eher Dekoration war. Wir durften geschminkt und mit Nagellack an unsere Arbeitsplätze sitzen. Auf dem WC war das Rauchen noch erlaubt. Heute ist das anders, ich arbeite im Reinraum und fertige Traumabandagen an. Dort trägt man Reinraum-Kleidung und -Haube. Schmuck und Schminke sind nicht erlaubt. Was ich sehr gut finde: Die Mitarbeitenden werden regelmässig über den Geschäftsgang informiert. Sie lassen uns daran teilhaben, was passiert.
«Baulich hat sich in Neuhausen vieles zum Positiven verändert.»
Wie hat sich Neuhausen seit Ihrer Abwesenheit verändert?
García: Baulich hat sich vieles zum Positiven verändert. Zum Beispiel gab es dieses Restaurant, in dem wir hier sitzen (das «Grünerbaum», Anm. d. Red. ) früher noch nicht. Es gefällt mir. Es gehört zum SIG-Areal, das in meiner Jugend nicht zugänglich war. Überhaupt hat sich bei den Gebäuden und den Strassen viel getan. Sehr interessant finde ich etwa den neuen Anbau des Kirchacker-Schulhauses und die Passerelle, die das alte und das neue Gebäude verbindet. Früher gab es viel mehr ältere Häuser. Meine Familie hat damals noch in einem Haus mit Holzheizung gelebt.
In den letzten Jahren sind in Neuhausen auch mehrere Hochhäuser entstanden. Gefallen die Ihnen?
García: Ich finde die Hochhäuser im Rhyfall Village, dem früheren Alusuisse-Areal, sehr schön. Die sind modern, irgendwie anders. Und vor allem die Aussicht aus dem Rooftop-Restaurant auf den Rheinfall und rundherum ist genial. Das gesamte sanierte Areal gefällt mir sehr gut, obwohl es noch etwas eingeschlafen wirkt. Was ich weniger schön finde, ist das Posthof-Süd-Hochhaus an der Poststrasse. Das passt aus meiner Sicht dort nicht hin, es wirkt so riesig.
«In meiner Jugend war es lebendiger im Zentrum, es gab auch mehr Geschäfte.»
Wie nehmen Sie das Leben im Zentrum im Vergleich zu früher wahr?
García: In meiner Jugend war es lebendiger, es gab auch mehr Geschäfte. Die Ecke rund um den alten Migros-Standort am Wildenhof war sehr belebt, der ist jetzt praktisch tot. Nebst der Migros gab es damals auch noch den Coop und mehrere Banken im Dorf. Was die Restaurants und Beizen angeht, ist das Angebot heute noch gross. Allerdings haben einige sehr eingeschränkte Öffnungszeiten. Auf den Strassen im Dorf nehme ich hauptsächlich Touristen wahr. Ich glaube, viele Neuhauserinnen und Neuhauser kommen meist zu den Festen ins Zentrum.
Wie könnte man das Zentrum mehr beleben?
García: Ein Zara oder andere Kleiderketten würden natürlich Leute anziehen. Das fehlt sowohl im Rhyfall Village als auch im Dorf. Was die Veranstaltungen angeht, wird schon einiges versucht. Am 1. Advent gab es zum Beispiel einen Adventsmarkt. Vielleicht sind die Leute nicht motiviert oder sie benötigen mehr Informationen?

In Neuhausen leben Menschen vieler Nationalitäten. Das war bereits in Ihrer Kindheit und Jugend so. Haben Sie seit Ihrer Rückkehr dennoch Veränderungen wahrgenommen?
García: Kennen Sie das Lied von Dr. Wiesmann, «Bloss e chlini Stadt»? Dort singt er: «Goots im Städtli usnamswiis fidel und luschtig zue, sind′s bim Nööcherluege sicher Italiäner.» Früher gab es mehr Italiener und Spanier, jetzt nehme ich mehr Leute aus dem Balkan wahr. Das merkt man auch beim gastronomischen Angebot, es gibt mehr Kebab-Läden.
«Ich mache mir Gedanken, einen neuen spanischen Club zu gründen.»
Sie tragen ein Armband in den spanischen Farben. Haben Sie ausser zu Ihren Verwandten Kontakt zu anderen Spanierinnen und Spaniern in der Region?
García: Nein. Es gibt leider auch keinen spanischen Club mehr. Früher gab es in der Stadt Schaffhausen das Centro Español Iberia, das Centro Gallego, das Centro Andaluz und das Peña Barça. Früher besuchten gefühlt alle Spanierinnen und Spanier, aber auch viele Schweizer, diese Clubs. Das Ambiente war schön, es gab typisches spanisches Essen, es wurde Paella gekocht, die Männer haben Karten gespielt… Ich mache mir Gedanken, einen neuen spanischen Club zu gründen. Es ist viel Arbeit, aber wenn ich Gleichgesinnte finde, würde ich es versuchen.
Wie erleben Sie das Rheinfallgebiet im Vergleich zu früher?
García: Inzwischen wurde ein Spielplatz mit Rutschen für die Kinder gebaut. Das ist gut, denn Kinder sehen sich den Wasserfall vielleicht kurz an und dann sind sie schon nicht mehr interessiert. Und es gibt Sitzbänke und einen Grillplatz. Das ist toll für die Leute, die nicht ins Restaurant gehen wollen oder es sich nicht leisten können. Allgemein finde ich das Gebiet sehr schön.
«Zuhause ist nicht nur ein Ort. Für mich heisst Zuhause Wohlbefinden, Sicherheit, finanzielle Stabilität, Erinnerungen, Erlebnisse, Familie, Freunde und vor allem mentaler Frieden.»
Wo fühlen Sie sich zu Hause, in Spanien oder in Neuhausen?
García: Wenn Sie mich fragen würden, welches ich von meinen drei Kindern am liebsten habe, würde ich Ihnen sagen, dass ich alle drei gleichermassen liebe, mit ihren individuellen Persönlichkeiten. So geht es mir auch mit Spanien und Neuhausen beziehungsweise der Schweiz. Ich habe sogar zwei Muttersprachen: Spanisch und Schweizerdeutsch. Die habe ich zu Hause gelernt. Spanisch mit meinen Eltern und Schwitzerdütsch mit meinen Geschwistern. Zuhause ist nicht nur ein Ort. Für mich ist es Wohlbefinden, Sicherheit, finanzielle Stabilität, Erinnerungen, Erlebnisse, Familie, Freunde und vor allem mentaler Frieden. Ich liebe mein Spanien und meine Stadt Vigo mit den weissen Sandstränden und den vielen sonnigen Tagen, aber heute bin ich dankbar, dass ich hier sein kann und Neuhausen als mein altes und neues Zuhause erleben darf.