«Am ersten Abend gibt es immer Spaghetti»

Saskia Baumgartner | 
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Helen Brander kocht diese Woche zum 199. Mal in einem Schullager. Im Alter von 80 Jahren denkt die Neuhauserin langsam ans Kürzertreten – aber nur langsam.

Der Schnee türmt sich auf den Hausdächern und an den Stras­senrändern. Die Sonne kämpft sich durch die Wolken, ihre Strahlen reflektieren an den blauen Gondeln der leise surrenden Seilbahn. In Klosters ist es an diesem Dienstagmorgen minus 14 Grad kalt.

Fast zu warm ist es hingegen in der grossen Küche des Hauses Erla, wo Helen Brander Lauch, Paprika, Sellerie und Karotten für das Abendessen rüstet. «Heute Abend gibt es Hackküchlein mit Kartoffelstock, Gemüse und Salat», sagt sie. Die Neuhau­serin begleitet diese Woche das Skilager des Schaffhauser Schulhauses Granatenbaumgut. Fünf Tage lang kocht sie für die 33 Schüler und Leiter. Es ist Branders 199. Lager als Köchin.

Für bis zu 150 Kinder gekocht

Das erste Mal ein Schullager begleitet hat sie 1971, als 33-Jährige. Ein befreundeter Neuhauser Lehrer hatte sie angefragt. In den Jahren und Jahrzehnten danach kochte Helen Brander nicht nur in Skilagern, sondern auch bei Neuhauser Schulverlegungen, sie kochte für Beringer und Schaffhauser Klassen und in Konfirmandenlagern. Die grösste Gruppe, die sie je begleitete, waren 150 Schüler.

Das Haus Erla in Klosters kennt die 80-Jährige schon gut. Zum sechsten Mal ist sie im Skilager des «Granatenbaumguts» dabei. Jetzt, gegen 10.30 Uhr, richten sich Leiter und Kinder gerade für das Schlitteln und Skifahren. Immer wieder kommt ein Erwachsener oder ein Schüler in die Küche zu Helen Brander, um sich dort von einem grossen Topf etwas in eine Thermoskanne abzufüllen. «Weil es so kalt ist, haben wir viel Tee gekocht», sagt Brander. Hagebuttentee mit einer Fruchtmischung. «Das haben die Kinder gern, Pfefferminz mögen sie nicht so», sagt sie mit einem Lächeln.

Helen Brander kocht das Gemüse in Salzwasser. Wenn sie damit fertig ist, hat sie bis kurz vor dem Abendessen Zeit für einen Spaziergang. Das verdanke sie vor allem ihrem Mann Pius, sagt sie, und greift an den herzförmigen Anhänger der Kette an ihrem Hals.

Pius Brander ist gelernter Metzger. Er hat 60 Hackküchlein zu Hause in Neuhausen vorbereitet und sogar schon vorgebraten, sodass diese heute Abend nur noch aufgewärmt werden müssen. Er hat Helen Brander bei rund der Hälfte aller Lager begleitet, die meisten davon nach seiner Pensionierung. Dieses Mal ist Pius Brander jedoch zu Hause geblieben. Im Vorjahr habe er aufgrund der etwas höheren Lage in Klosters gesundheitliche Probleme bekommen, sagt Helen Brander. Im Sommer, beim 200. Lager werde der 84-Jährige aber wieder mit dabei sein. Statt von ihrem Mann wird Helen Brander in Klosters diese Woche von Franziska Weber unterstützt, die sie schon seit vielen Jahren kennt.

Durchschnittlich drei bis vier Wochen im Jahr sind bei den Branders seit 1971 für die Lager reserviert. Zeitlich konnte sich Helen Brander dies immer gut einrichten. Eine Zeit lang arbeitete sie beim Neuhauser Wohnheim Diheiplus Teilzeit in der Küche – ansonsten war sie Hausfrau. Einzig als die beiden Kinder noch sehr klein waren, musste eine Lösung gefunden werden. Doch auch das war kein Pro­blem – die Tochter und der Sohn verbrachten die ­Woche jeweils bei einer befreundeten ­Familie.

4 Kilo Braten, 10 Kilo Kartoffelstock

Alle Menüs, die Helen Brander seit ihrem ersten Lager gekocht hat, hat sie fein säuberlich in Notizbüchern eingetragen, die zu Hause im Wohnzimmerschrank stehen. In diesen ist genau nachzulesen, wann Brander an welchem Ort für wie viele Schüler und Leiter welches Essen zubereitet hat – zum Teil mit Mengenangaben. «Schweinsbraten 4 kg, Kartoffelstock 10 kg, Rüebligemüse 6 kg» steht da etwa.

Die Einkäufe vor einem Lager erledigt Brander jeweils selbst, sie wohnt mit ihrem Mann in der Nähe eines Supermarkts. Ein Teil der Lebensmittel wird dann noch vor Ort gekauft. Schon vor der Abfahrt nach Klosters hat Helen Brander mehrere Briefe mit ihren Wünschen für die jeweiligen Tage verschickt – etwa an den Volg.

«Ich habe die Kinder einfach gern, und sie sind auch immer dankbar.»

Im Laufe der Jahre hat die 80-Jährige ein Gespür dafür entwickelt, welches Essen bei den Kindern gut ankommt. Dementsprechend hat es auch einige Klassiker. «Am ersten Abend gibt es zum Beispiel immer Spaghetti Bolognese», sagt Brander. Die Kinder würden dies heute genauso gerne mögen wie schon in den 1970ern. Mit der Zeit verändert habe sich, dass auch auf Vegetarier und muslimische Kinder Rücksicht genommen werde. Das sei aber kein Problem. Zu den Spaghetti gebe es dann halt auch Tomatensauce ohne Fleisch, und auch bei den übrigen Menüs würden immer genügend Beilagen gekocht oder ein Ersatz für das Schnitzel oder die Wurst. Geändert habe sich im Laufe der Zeit auch die Küchenausstattung der Häuser. Früher musste etwa noch von Hand abgewaschen werden, heute gebe es überall Spülmaschinen. «Es ist einfacher geworden», sagt Brander.

Schlechte Erfahrungen hat die Neuhau­serin während all der Jahre eigentlich nie gemacht, wie sie sagt. Mal abgesehen von ihrem Unfall. «In Vinelz am Bielersee bin ich 1975 angefahren worden», sagt Helen Brander. Sie hat das Haus verlassen, weil es in der Nähe brannte, als sie von einem Auto erfasst wurde. «Der Fahrer war nicht ganz nüchtern.» Sie erlitt einen offenen Bruch, lag drei Wochen im Spital. Zum Glück habe ihre Schwester damals kurzfristig für sie als Lagerköchin einspringen können.

Was macht Helen Brander in den Lagern nach all den Jahren noch so viel Spass? «Ich habe die Kinder einfach gern», sagt sie. «Und sie sind immer so dankbar.» In der Küche, wenn die Kinder ihren Ämtli nachgehen und etwa beim Verräumen des Geschirrs mithelfen, könne man sich gut unterhalten und lerne einander kennen. Viele der Kinder des «Granatenbaumguts» kennen Helen Brander noch vom Vorjahr mit Namen – respektive Vornamen. Im Lager duze man sich. Neben den Kindern ge­niesst sie auch die Zeit mit den Leitern – durch die Lager sind einige langjährige Freundschaften entstanden. Nicht zuletzt sind Helen und Pius Brander auch einfach gerne Gastgeber und mögen es, Leute um sich zu haben. Pius Brander macht jedes Jahr noch selbst eine Metzgete für Familie und Freunde, die dann zu Besuch kommen.

Wenn Helen Brander von Klosters zurückkommt, geht es zusammen mit Mann Pius schon bald wieder auf eine Reise. Eine Kreuzfahrt. «Dann können wir uns bekochen lassen», sagt sie.

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