Der Ruhm kam für Walter Pfeiffer erst im Pensionsalter
Er gehört zu den gefragtesten Fotografen auf der Welt, doch das war nicht immer so. Walter Pfeiffer erinnert sich anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches an die Anfänge seiner Karriere hinter der Kamera.
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Es ist der grosse karierte, rote Schal über dem schwarzen Rollkragenpullover, der den Künstler verrät. Die ganze Haltung hat etwas Demütiges, das liegt auch an einem neu aufgetretenen Rückenleiden, das die Beweglichkeit des heute 77-Jährigen einschränkt. «Ich bin alt geworden im letzten Jahr», sagt Walter Pfeiffer fast entschuldigend.
Die Aufmerksamkeit, die vielen Auftritte, die Vernissagen in Zürich und Paris, die zahlreichen Interviews anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches «Chez Walti 2000–2022» (Edition Patrick Frey) hätten Spuren hinterlassen. «Ich freue mich, wenn ich danach wieder etwas Ruhe und Zeit für mich habe, um für eine Weile aus dem Rampenlicht zu verschwinden.»
Dann sprudelt es nur so aus ihm heraus – Anekdoten aus dem Leben eines jungen Mannes aus Beggingen, der bei der EPA in Schaffhausen Schaufensterdekorateur lernte, der «etwas Künstlerisches» machen wollte, der Grafiker, Zeichner, vielleicht Maler, aber nicht in erster Linie Fotograf werden wollte.
Er besucht die Kunstgewerbeschule, macht später eine Ausbildung zum Grafiker beim Globus, gestaltet Plakate für das Filmpodium und findet in dem Kurator Jean-Christophe Ammann einen Förderer und Wegbegleiter, der ihn für die Fotografie begeistert. Im Kunstestablishment fühlt sich Pfeiffer nicht zu Hause, seine Motive sind die jungen Menschen und Bekanntschaften, die ihn umgeben und täglich bei ihm ein- und ausgehen.
Die freizügigen, erotisch aufgeladenen Bilder von jungen Männern und Frauen erregen viel Aufmerksamkeit, stossen zunächst aber auf wenig Gegenliebe. Die verspielten, intimen Momentaufnahmen aus der queeren Szene, Underground nannte man es damals, die zu seinem vorläufigen Markenzeichen werden sollten, galten als ein Tabubruch. Nur ohne den Anspruch, einer zu sein. Der grosse Traum: Damit einmal bei Andy Warhol vorzusprechen.
«Immerhin haben die SN darüber berichtet, schauen Sie ins Archiv!» In die damalige Kränkung mischt sich so viele Jahre später endlich ein wenig Genugtuung, ein verschmitztes Lächeln, ein Funkeln in den wachsam beobachtenden Augen hinter der filigranen Metallbrille. Eine Lebensschule sei das gewesen.
Sicherheit ist der Feind der Kreativität
Das Talent und Auge streitet Walter Pfeiffer nie jemand ab, im Gegenteil: «Man hat mir eine Stelle als Lehrer an der Kunstgewerbeschule angeboten. Ein sicherer Job, guter Lohn, keine Existenzsorgen mehr», erzählt Pfeiffer.
«Aber wofür? Für ein Häuschen im Tessin, wenn ich in den Ruhestand gehe? Was ist, wenn ich das nicht will?» Er lehnt ab. Einige Freunde halten ihn für verrückt, was einem mittellosen Künstler Besseres passieren könne, fragen sie. Er aber ahnt es gleich: «Die Sicherheit ist ein Feind der Kreativität.»:
Pfeiffer will nicht das «One-Hit-Wonder» sein, das mit den Konventionen bricht und dann in der Versenkung verschwindet. Er will weitermachen, bleiben, sich beweisen, wozu sonst soll die ganze Aufregung gut gewesen sein.
Während in Zürich die Jugendunruhen toben, bekommt Pfeiffer ein Stipendium für das Zürcher Atelier in New York. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Immer öfter tauchen seine Werke an internationalen Ausstellungen auf und finden nach und nach eine treue Fangemeinde.
In der Schweiz hält sich die Begeisterung da noch in Grenzen. Pfeiffer hat gelernt, mit den gelegentlichen Anfeindungen aus den Feuilletons umzugehen. Als der internationale Durchbruch dann doch eintritt, ist er schon im Pensionsalter: Hochglanzmagazine wie die «Vogue» oder «Dazed» beauftragen ihn immer wieder mit knallig bunten Bildstrecken, er setzt Modedesigner Tom Ford oder Pop-Superstar Pharrell Williams in glitzernden Jacken und mit nacktem Oberkörper in Szene, und das Luxusmodelabel «Bottega Veneta» zählt bei seinem Relaunch letztes Jahr auf seine Dienste.
Ganz erklären kann er sich im Nachhinein nicht, wie er auf einmal zu einem der gefragtesten Fotografen avancierte. Förderer habe es gegeben, glückliche Fügungen da und dort und irgendwann auch einen Agenten, der Pfeiffers Karriere in den Zehnerjahren in andere Sphären katapultiert. Verraten hat er seinen Stil dabei nie. Einen Pfeiffer erkennt man sofort.
«Dieser Ruhm», sagt er am Ende des Gesprächs nachdenklich, «erstaunt mich noch heute. Diese riesige Schlange vor dem Buchladen bei der Buchvernissage in Paris ... das ist verrückt.» Es sei an der Zeit, sich etwas zurückzuziehen, auch einen Agenten habe er im Moment nicht, man müsse nicht ständig präsent sein. Dann zieht er sich den roten Schal über die Ohren und fixiert ihn mit den Händen, als würde er gleich den Kopf darin verstecken. Er lächelt. Dann fragt er: «Wo waren wir stehen geblieben?»