Der Quereinsteiger und seine 19 Detektive

Jurga Wüger | 
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Fabio Hamer ist Feuer und Flamme für seine neue Aufgabe als Primarschullehrer. Bilder: M. Kessler

Fabio Hamer unterrichtet Drittklässler an der Primarschule Schützenweg 2 in Beringen. Der Deutsche ist Quereinsteiger. Seine Rasselbande im Klassenzimmer nennt er liebevoll «meine 19 Detektive» und widmet sich mit Begeisterung der neuen Aufgabe.

Primarschule Schützenweg 2 in Beringen an einem Donnerstagnachmittag. Wir warten auf Fabio Hamer. Der 39-Jährige ist Lehrer an dieser Schule. Die Schule und der Lehrberuf sind seine dritte Berufswahl. Der Deutsche ist Quereinsteiger. Mit 16 Jahren hat er seine Ausbildung als Zimmermann begonnen und war bis zu seinem 26. Lebensjahr als Handwerker tätig. Doch irgendwann kam die Überlegung, wie es mit seinem Leben weitergehen soll. «Ich wollte meinen Horizont erweitern und mich beruflich neu orientieren», erinnert er sich.

Fabio Hamer

Fabio Hamer wurde 1983 in Deutschland geboren und ist gelernter Zimmermann. Von 2009 bis 2011 absolvierte er in der Gotthilf-Vöhringer-Schule in Wilhelmsdorf eine Ausbildung als Arbeitserzieher und erlangte die staatliche Anerkennung. Seit 2016 lebt er in der Schweiz. Seit diesem Jahr unterrichtet er als Primarschullehrer Drittklässler in Beringen. Fabio Hamer ist verheiratet, Vater von zwei Töchtern und lebt mit seiner Familie in Beringen.

Seine Schwester ist zu diesem Zeitpunkt Jugend- und Heimerzieherin. Dank ihr konnte der damals 26-Jährige eine Woche Jugendliche begleiten und kam so auf den Geschmack des Arbeitserziehers. Und plötzlich stand es für ihn fest: «Dieser Beruf und diese Aufgabe, mit Menschen zu arbeiten, faszinieren mich.» Somit kam es dazu, dass er sich in der Gotthilf-Vöhringer-Schule in Wilhelmsdorf für die Ausbildung als Arbeitserzieher einschrieb. Von 2009 bis 2011 absolvierte er die Ausbildung und erlangte die staatliche Anerkennung zum Arbeitserzieher. Nach dieser Ausbildung leitet er in Wilhelmsdorf bis im Jahr 2016 eine Arbeitsgruppe für körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen. Jeden Tag habe er, so Hamer, eine innere Bestätigung bekommen: «Es ist genau das, was ich machen möchte. Die Aufgabe erfüllte mich.» Und: «Es tat mir jeden Tag so gut zu sehen, wie die Menschen ihr Potenzial entwickeln.» Dieses Gefühl begeistere ihn bis heute.

Nach Schaffhausen umgezogen

Doch das Schicksal hatte noch weitere Pläne mit ihm. Im Jahr 2016 lernt er in Schaffhausen seine zukünftige Ehefrau kennen. Es war ziemlich schnell klar, dass sie eine Familie gründen und zusammen in Schaffhausen leben möchten.

Der Lehrplan 21 gibt dem Unterricht, inhaltlich wie formal, den Takt vor.

In der Schweiz arbeitete er als erstes in seinem alten Beruf als Zimmermann, bis er von einem neuen Projekt in Kreuzlingen hörte. Dort war ein Team bemüht, eine neue Jugendwohngruppe zu gründen. Als Fabio Hamer davon erfährt, leuchten seine Augen. Ohne lange zu überlegen, wird er zum Gründungsmitglied und widmet sich mit Haut und Haar den neuen Aufgaben. In der Zwischenzeit wurde Hamer zum zweiten Mal Vater. Aufgrund des langen Arbeitsweges und den unregelmässigen Arbeitszeiten stellte er fest, dass er immer weniger Zeit für seine Familie findet, was ihn zum Umdenken brachte.

Die Welt nicht mehr verstanden

Und dann kam der alles verändernde Monat Mai 2022. Die Kindergärtnerin seiner Tochter ermutigt ihn, sich als Lehrer in Beringen zu bewerben. «Ich habe sofort gespürt, dass das der richtige Weg für mich ist», sagt er und strahlt über das ganze Gesicht. «Ich habe die Welt nicht mehr verstanden, warum ausgerechnet ich gefragt wurde, aber es fühlte sich gut und richtig an.»

Am Abend habe er sich schlau gemacht und so vom Kurs «ready for teaching 2022» – Intensivkurs zum Einstieg in den Lehr­beruf, erfahren. Der Beschrieb des Kurses überzeugt, Fabio Hamer ist Feuer und Flamme. Am nächsten Tag rief er den Schulleiter Florian Wohlwend an. Das Gespräch verlief für beide Seiten erfreulich. Hamer schwärmt: «Es ging nicht nur um Lehrermangel und um die Bemühungen, eine Stelle zu besetzen. Florian Wohlwend hat echtes und aufrichtiges Interesse an meiner Person gezeigt. Das hat mich endgültig überzeugt.» Doch über Nacht kamen die Zweifel. Hamer fragte sich: «Kann ich es überhaupt? Bin ich für diese Aufgabe auch gut genug?»

Sich den Versagensängsten gestellt

Die Zweifel lichteten sich, als ein guter Freund ihn direkt fragte, wovor er denn so grosse Angst habe. Hamer wurde bewusst, dass ihn Versagensängste plagten. «Es war eine Urangst, die mich heimgesucht hat und Urängsten muss man sich stellen», sagte er zu sich selbst und ermutigte sich zugleich: «Ok, Fabio, du packst das!» Nach dieser Erkenntnis sagte er zu und ihm fiel ein Stein vom Herzen. Im Nachhinein sagt Hamer: «In diesem Augenblick wusste ich – ich mache das Richtige.»

Dass er sich dieser Herausforderung stelle, so Hamer, habe auch sehr persönliche Gründe. Seine Tochter kommt nächstes Jahr in die Schule. Die Vorstellung, dass sie mit 40 Kindern im Klassenzimmer sitzt, schaudere ihn. Er sei Lehrer geworden, um tatkräftig dem Lehrermangel entgegenzuwirken.

Kinder sind hellauf begeistert

Der erste Schultag ist Fabio Hamer noch lebhaft in Erinnerung. Er sei aufgeregt gewesen wie ein kleines Kind und vergleicht diesen Tag mit seinem ersten Schultag als Achtjähriger. Seine Klasse lernte er schon vor den Sommerferien kennen. Die Kinder seien hellauf begeistert gewesen, einen jungen Lehrer zu bekommen. Als er am ersten Tag seine Klasse begrüsste, verschwand die Nervosität so schnell wie sie gekommen ist. Was Fabio Hamer aber besonders freut, ist die Tatsache, dass seine Schülerinnen und Schüler ihn nie haben spüren lassen, dass er kein «richtiger» Lehrer sei.

«Meine ‘19 Detektive’ haben mich nie infrage gestellt.» Auch in der Badi, als er mit seinen Töchtern schwimmen ging, habe er diese Vorfreude der Kinder zu spüren bekommen. «Stimmt das, dass Sie nach den Sommerferien unser Lehrer werden?», fragten ihn zwei Mädchen. Als die Antwort positiv ausfiel, war die Freude riesig.

Schulbank drücken ist angesagt

Den Intensivkurs wird Fabio Hamer noch ein Jahr besuchen müssen. Zweimal pro Woche gilt auch für ihn – die Schulbank drücken. Selbst in den Herbstferien wird eine Woche in das Lernen investiert. Dieser Kurs, welchen Peter Pfeiffer und Thomas Meier, «mit grosser Hingabe und Begeisterung» organisieren, gebe ihm Sicherheit und bestärke ihn in seinem Tun.

Den Entschluss, sich dem Lehrerberuf zu widmen hat Fabio Hamer in den vergangenen zwei Wochen nicht bereut, und er ist überzeugt, dass er diese Entscheidung auch in zehn Jahren nicht infrage stellen wird. «Ich gehe jeden Abend mit einem Lächeln ins Bett», sagt der Quereinsteiger Fabio Hamer und strahlt erneut über das ganze Gesicht.

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Kommentare (2)

Peter Dörig Mi 31.08.2022 - 08:19

Ein Aufsteller, Ihr aufgestellter Artikel, liebe Frau Wüger,
was bestätigt ganz gehörig
Ex-Schul-Opa Peter Dörig mit besten Grüssen.

Beat Rüedi-Külling Mi 31.08.2022 - 07:05

Sollte Herr Hamer und mit ihm alle QuereinsteigerInnen tatsächlich erfolgreich sein, muss das Pseudo-Studium an den PHs zu reden geben.

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