Landwirte stehen unter Druck

Jean-Claude Goldschmid | 
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Sinkende Preise, wachsende Bürokratie, überlange Arbeitszeiten, familiäre Probleme: Die Gründe sind vielfältig, warum manch ein Bauer nicht mehr weiterweiss. Der Schaffhauser Bauernpräsident rät, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn die Sorgen überhandnehmen.

Drei junge Thurgauer Bauern haben sich kürzlich das Leben genommen. Im zürcherischen Stammertal hat sich vor etwa einer Woche die Frau eines Landwirts umgebracht. Das löst auch unter Schaffhauser Bauern Betroffenheit aus. Laut Christoph Graf, dem Präsidenten des Schaffhauser Bauernverbands, gab es hier zwar in den letzten Jahren keine derartigen Fälle. Und als Aussenstehender wolle er sich auch nicht anmassen, zu den Fällen im Thurgau und im Weinland konkret Stellung zu nehmen. Klar sei aber, dass sich der finanzielle Druck auf die Landwirte in den letzten Jahren verschlimmert habe und die Preise im Keller seien – vor allem bei der Milch. Dort sei der Literpreis innerhalb von anderthalb Jahren von 67 auf 52 Rappen gesunken. Wenn jemand kurz zuvor grössere Investitionen getätigt habe, stehe er nun tatsächlich vor einem Riesenproblem. «Denn Bauern sind heutzutage selbständige Kleinunternehmer», so Graf. Allerdings hätten andere Branchen mit ähnlichen Sorgen zu kämpfen.

Nicht nur Manager betroffen

Ein grosses Problem sei sicher auch die stetig wachsende Bürokratie, mit der sich die Bauern konfrontiert sähen, meint Graf. Gerade ältere Landwirte hätten damit zum Teil grosse Mühe – weil sie schlicht den Durchblick nicht mehr hätten. Dazu komme dann noch die erhebliche Arbeitsbelastung: Viele Bauern arbeiteten deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche. Nicht zuletzt gebe es aber auch rein psychische Pro­bleme ohne wirtschaftlichen Hintergrund. «Depressionen oder ein Burn-out können jeden treffen – nicht nur den Manager, sondern auch den Bauern», sagt Graf. «Eine Patentlösung für diese Problematik gibt es leider nicht.» Allerdings hätten breit abgestützte Betriebe, die nicht nur auf Milchwirtschaft setzten, ein weniger hohes Klumpenrisiko. Für sie sei es sicher einfacher. Gerade im Schaffhausischen seien viele Mischbetriebe zu verzeichnen, zum Beispiel dort, wo die Landwirtschaft etwa mit dem Weinbau verbunden werde – oder wo die Landwirtschaft nur einen Nebenerwerb darstelle. Im Hinterthurgau hingegen gebe es zahlreiche reine Graslandbetriebe, die zu 100 Prozent von der Milchwirtschaft ­abhängig seien.

In der Ausbildung der Landwirte sieht der Schaffhauser Bauernpräsident hingegen kein Defizit. Betriebswirtschaft sei dort schon heute ein sehr wichtiges Thema. Helfen könne letztlich nur professionelle Unterstützung. Dafür gebe es schon länger das bäuerliche Sorgentelefon (siehe Kasten). Allerdings gebe es auch eine gewisse Hemmschwelle, dort überhaupt anzurufen. «Nicht jeder getraut sich das, weil man sich ja selbst nicht blossstellen will», sagt Graf. Könne man sich mit seinen Problemen aber keinen anderen Menschen öffnen, werde die Abwärtsspirale immer schlimmer. Im Unterschied zu anderen Berufen sei es für einen Bauern auch viel schwieriger, den Betrieb einfach aufzugeben und in eine andere Branche zu wechseln – nur schon aus psychologischen Gründen. «Es ist sicher nicht einfach, so ein Lebenswerk einfach aus den Händen zu geben», so Graf.

Immer neue Vorschriften

Christian Roth, Landwirt auf dem Hallauer Schorenhof und Vizepräsident des Bauernverbands, sieht die Sache ähnlich. «Nicht nur bei der Milch, auch beim Getreide sind die Preise enorm unter Druck, und zwar international», sagt er. Dies sei auch der Grund, wieso es schwierig sei, an dieser Situation auf politischer Ebene etwas zu ändern. Ausserdem mache die Politik in der Schweiz ja schon relativ viel für die Landwirtschaft. Die deutschen Bauern seien da viel schlechter dran; dort verspürten auch grössere Betriebe mehr Druck.

«Ein Suizid ist immer etwas Tragisches», sagt Roth. Allerdings sei nicht erwiesen, dass die Suizidquote bei den Landwirten tatsächlich höher sei als in anderen Berufen. Tatsache sei aber der massiv gestiegene Druck auf die Landwirtschaft. «Einerseits fordert man von uns Innovationen und Unternehmertum – andererseits steigen die Vorschriften und Einschränkungen stetig», so Roth. «Ohne eine bestimmte ­Betriebsgrösse wird es da schwierig.»

Ruedi Vögele, Biobauer und neuer Neunkircher Gemeindepräsident, relativiert. «Die Bauern bekommen ja Steuergelder, und da wird eben eine gewisse Kontrolle verlangt», sagt er. Direktzahlungen machten je nach Betrieb 20 bis 35 Prozent der Einnahmen aus. Der administrative Druck sei zwar in der Tat gestiegen – es komme aber auch auf die betriebliche Ausrichtung und den Verschuldungsgrad an, ob jemand damit umgehen könne oder nicht. Viele Bauern seien wohl aber auch zu stolz, zuzugeben, wenn sie Probleme hätten.

Die biologische Landwirtschaft – wie er sie betreibt – habe es insgesamt etwas einfacher als die konventionelle, räumt Vögele ein. Man könne höhere Preise vom Konsumenten verlangen, und dies schlage sich letztlich auch in höheren Stundenlöhnen nieder. Auf die Hilfe des Staats seien aber auch die Biolandwirte angewiesen.

Das Korsett der familiären Herkunft

Hanspeter Vestner, Landwirt und Unternehmer aus Büsingen, sieht ein Grundübel hinter vielen Problemen darin, dass viele Bauern zu wenig flexibel seien und ihren Beruf kaum wechseln wollten, weil sie ihr Bauerntum als Berufung verstünden, die ihnen schon von den Eltern in die Wiege gelegt worden sei. So aber werde es praktisch unmöglich, sich nach Alternativen umzuschauen. Viele Betriebe seien auch schlicht zu klein, um wirtschaftlich funktionieren zu können. Der familiäre Hintergrund spiele oft eine entscheidende Rolle für die Stabilität eines Hofs, sagt Vestner. Wenn aber der Aufwand so gross werde, dass der Bauer 365 Tage im Jahr arbeite, auch die Frau die Gummistiefel anziehen müsse, die Grossmutter im Hoflädeli stehe und der Bauer abends so müde sei, dass er ohne jeg­liches Gespräch gleich ins Bett falle, dann werde es schwierig.

Mit jemandem reden können

Joachim Finger ist Pfarrer in Beringen und Notfallseelsorger. Ein suizidgefährdeter Landwirt hat bei ihm zwar noch nie anklopft, er kennt aber schon auch Fälle von Schaffhauser Bauern, die unter einem Riesendruck stünden. Auch er sieht ein Hauptpro­blem darin, dass die Bauern mit ihrem Grund und Boden verwurzelt seien und ein Berufswechsel in der Regel nicht infrage komme. Sehr wichtig sei es dann, über die vorhandenen Pro­bleme mit jemandem reden zu können. Nur so werde es dem Umfeld ermöglicht, zu reagieren, bevor es allenfalls zu einer Kurzschlusshandlung komme.

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